Das Geschlecht kann nicht isoliert von anderen Unterdrückungsmerkmalen betrachtet werden!
Die verschiedenen Wellen der Frauenbewegung setzten sich allesamt für die Gleichberechtigung von Frauen in Staat und Gesellschaft ein. Doch auch heute noch sind Frauen in einem komplexen Netz aus Hierarchien und Unterdrückungen gefangen. Dennoch hat sich deutlich herausgebildet, dass Merkmale von Unterdrückungen eng miteinander verwoben sind. Dies erkannte auch schon die ehemalige Sklavin und Frauenrechtlerin Sojourner Truth. Sie war der Meinung, dass das Geschlecht niemals getrennt von weiteren Kategorien sozialer Ungleichheit oder Normierungen gedacht werden kann. Diese Thematik kam erneut in den achtziger Jahren durch die afroamerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw auf. Migrantinnen, jüdische Frauen und women of color kritisierten den weißen Mainstream-Feminismus und das eindimensionalen Verständnis von der sogenannten globalen Schwesternschaft.
Wen meinen die Mehrheitsfrauen eigentlich, wenn sie von „der Frau“ sprechen?
Aufgrund ihrer ethnischen Abstammung fühlten sich Truth und Crenshaw nicht durch den Feminismus der weißen Mittelschichtsfrauen vertreten. Dieser vertrat hauptsächlich Frauen, die weiß, weiblich, heterosexuell, westlich, nicht behindert und aus der Mittelschicht abstammten. Differenzen und Hierarchien zwischen Frauen wurden kaum bis gar nicht thematisiert. „Bin ich denn etwa keine Frau?“, fragte Truth diesbezüglich und kritisierte das Vereinheitlichen von Ungleichheiten mit denen Frauen konfrontiert sind. Inhalte der Frauenbewegung wurden viel zu selten mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit zusammengeführt. Ethnizität, ‚Rasse‘, Klasse, Religion, Sexualität, Alter, Behinderung… die Kategorien sind endlos!
Erfährt die weiße Mittelschichtsfrau etwa dieselben sozialen Ungleichheiten wie eine Frau mit Migrationshintergrund, eine lesbische oder behinderte Frau?
Nein, natürlich nicht. Die alleinige Fokussierung auf das Geschlecht als Unterdrückungsmerkmal greift zu kurz. Frauen sind unterschiedlichen Unterdrückungsmerkmalen ausgesetzt und machen andere Erfahrungen. Die Lösung: intersektioneller Feminismus. Dieser beachtet auch Frauen, die sich im Mainstream Feminismus ausgeblendet fühlen.
Der Begriff Intersektionalität stammt aus dem englischen ‚intersection‘, der Straßenkreuzung. Das Bild beschreibt die Überkreuzungen, Verwobenheit und Schnittpunkte verschiedener Merkmale der sozialen Diskriminierungen.
Geschlecht: behindert, besonderes Merkmal: Frau
Ein Beispiel für intersektionelle Verwobenheit sind Frauen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung. Sie kritisieren, dass sie in der Gesellschaft nur unter dem Aspekt ihrer körperlichen oder geistigen Benachteiligung gesehen werden. Oft wird ihnen ihre Geschlechtsidentität abgesprochen. Sie gelten als asexuelle Gruppe zwischen den Geschlechtern. Ein Beispiel ist die Beschilderung von öffentlichen Toiletten, die eine Geschlechtslosigkeit von behinderten Frauen in der Gesellschaft konstruiert. Während „die Frauenbewegung“ in den 1970er Jahren den §218 und das Abtreibungsverbot kontrovers diskutierten, war für behinderte Frauen ein ganz anderes Thema relevant: Sie wollten eine Abschaffung der (Zwangs-)Sterilisation behinderter Mädchen und Frauen, die noch bis 1990er ohne Einwilligung der betroffenen Person durchgesetzt werden konnte.
Wie kann eine Frauenbewegung effektiv agieren ohne die Bedürfnisse aller Frauen über einen Kamm zu scheren?
Dies ist im größeren Umfang leider kaum möglich. Im Alltäglichen Leben können wir aber darauf achten, die Gesellschaft mit einem „inklusiveren Blick“ zu betrachten. Die Unterschiede innerhalb einer Kategorie sind oftmals größer als zwischen ihnen. Es ist wichtig sich über seine eigenen Privilegien in der Gesellschaft bewusst zu werden. Ein genaueres Hinschauen lohnt sich also, wenn es mal wieder um „DIE Frau“ geht.
Wer mehr zum Thema Intersektionalität erfahren will, kann sich das neue Video von Laci Green und Franchesca Ramsey ansehen.
http://https://www.youtube.com/watch?v=z-nmxnmt_XU&feature=player_embedded
Laura Frey
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