Bist Du das heute schon gefragt worden? Wie hast Du darauf geantwortet? Warst Du ehrlich und direkt oder hast Du über verschiedene Antworten nachgedacht, ehe Du dich für eine entschieden hast? Hast Du dabei vielleicht sogar dein jeweiliges Gegenüber in die Wahl mit einbezogen? Schließlich kann diese Frage von Arbeitskolleg*innen anders gemeint sein, als von deiner besten Freund*in oder einer ärztlichen Fachperson? Angenommen, Du hast ehrlich geantwortet und deinem Gegenüber zugestanden, dass es dir im Augenblick nicht besonders gut geht, wie war die Resonanz? Wurden Deine Gefühle akzeptiert oder gab es nur ein gutgemeintes, tröstendes „Ach das wird schon wieder!„, ein unpassendes Schmunzeln, einen abfälligen Blick oder bloße Ignoranz?
Die beschriebenen Alltagssituationen rund um die Frage „Wie geht’s?“, zeigen den inflationären Gebrauch der Frage nach dem gesundheitlichen Befinden. Nicht immer ist sie wirklich ernst gemeint und nur selten antworten wir ehrlich. Das hat den einfachen Grund, dass Gesundheit ein persönliches und sensibles Thema ist, das in unserer Gesellschaft mit allerhand Stigmatisierungen und Tabuisierungen einhergeht. Wir alle sind Betroffene und doch ist das System entlang sämtlicher Unterscheidungsmerkmale (Alter, Geschlecht, Herkunft, Klasse, sexueller Orientierung, Beruf, Einkommen, Religion, Wohnregion) problematisch und ungerecht.
Betrachten wir das Thema Gesundheit in unserer Gesellschaft, rücken veraltete patriarchale, binäre und rassistische Strukturen in den Vordergrund. Forderungen nach Zugängen zu gleicher, medizinischer Versorgung und Diversität innerhalb medizinischer Forschung werden lauter. In der Regel wird anhand des biologisch männlichen, weißen Körpers entschieden, inwieweit Forschungsgelder und -Ressourcen investiert werden. Viele Krankheitsbilder sind Entwurf der männlich gelesenen Norm und Perspektive. Die Gesundheit von FLINTA* Personen wird an den Rand gestellt. Damit reproduziert das moderne Gesundheitssystem immer wieder längst überholte gesellschaftliche Normvorstellungen.
Ein gutes Beispiel für diese problematischen Normvorstellungen ist die Kampagne „Herzbeben? Willste nicht erleben!“, die von Pheline Hanke ins Leben gerufen wurde, von uns aktuell unterstützt wird und über die Ihr in den nächsten Tagen auf unserem Blog noch mehr erfahren werdet. Neben Diskriminierungen von FLINTA* mit Herzleiden, ist das Gesundheitssystem in unterschiedlichsten Weisen ungerecht. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Diskriminierung von FLINTA* im Gesundheitswesen aufzuzeigen. Jedoch müssen neben der Geschlechterthematik noch weitere ungerechte Strukturen berücksichtigt werden. So sind FLINTA* mit Behinderung nicht nur aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, sondern erfahren zusätzliche Einschränkungen aufgrund ihrer Behinderung. Weiblich gelesene BIPoC sind ebenfalls überschneidenden Diskriminierungen ausgesetzt. Sie werden im Gesundheitssystem aufgrund ihres Geschlechts, aber auch aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe diskriminiert.
Diese historisch gewachsenen, klassistischen, rassistischen und ableistischen Strukturen sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft und damit auch unseres Gesundheitssystems. Uns ist klar, dass wir als überwiegend weiße, privilegierte Redaktion keine Betroffenen der rassistischen und ableistischen Diskriminierung sind. Trotzdem wollen wir darüber aufklären, dass es neben der Geschlechterproblematik im Gesundheitssystem auch andere Formen der Diskriminierung gibt, auch wenn wir diese niemals nachempfinden können. Wir wollen Betroffenen eine Plattform geben, Erfahrungen jeglicher Form der Diskriminierung zu teilen. Somit hoffen wir, dass ein breites Bild von Diskriminierungen im Gesundheitssystem entstehen kann, welches wir so nicht hätten portraitieren können.
Innerhalb unseres Gesundheitsspecials sind vor allem Themen vertreten, die sehr vielseitig und oftmals weniger bekannt sind. Politische Themen mit einer langen Debattenkultur wie beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen des § 218/219 StGB oder die ethischen Fragen bezüglich Pränataldiagnostik erwarten Euch. Unterstützende Angebote, die sich gegen die FLINTA* Diskriminierung im Gesundheitswesen stark machen, wollen wir Euch aber auch nicht vorenthalten: In Bremen gibt es zum Beispiel das Zentrum Frauengesundheit in Tenever, die Berliner Zeitschrift Clio oder Gynformation aus Hamburg.
Ziel dieses Schwerpunktes ist es, die im Gesundheitssektor oft benachteiligte Gruppe wie FLINTA* in den Fokus zu rücken. Die mangelnde Aufmerksamkeit der Diskriminierung ist massiv. Deshalb müssen einseitige, fehlerhafte Studien und Behandlungen, die sich am weißen, männlich gelesenen Körper orientieren, benannt werden. Diskriminierende Strukturen im Gesundheitssystem müssen öffentlich hinterfragt werden.
Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen dieser interessanten und abwechslungsreichen Artikel zum Thema Gesundheit. In diesem Sinne: bleibt gesund!
Einen großen Dank an dieser Stelle gilt allen Illustrator*innen, Autor*innen, Fotograf*innen und anderweitig Beteiligten, die wochenlang an diesem Special recherchiert und gearbeitet haben: Anne, Larissa, Glenys, Irene, Imke, Lewis, Lena, Lilli, Carl, Lina, Roja, Karolin, Melissa, Teresa, Susann, Maria, Pheline, Lea, Renate
Ulrike Hauffe meint
Ich finde euren derzeitigen Gesundheitsschwerpunkt eine tolle Idee!