Hab‘ ich schon. Kenn‘ ich alles. Mir macht keine*r was vor. Schon wieder ein Buch über Feminismus? Diese Frage stellen sich manche vielleicht, wenn es um ein weiteres Buch zum Thema Feminismus geht. Ist es mutig, langweilig oder unnötig, ein Buch über Feminismus zu veröffentlichen? In einer Zeit, in der Modeketten T-Shirts mit dem Aufdruck „Feminist“ an die Stange hängen und die Selbstbezeichnung „Feministin“ in manchen Fällen ein cooler Lifestyle ist, kommt dieses Buch. Yalla, Feminismus! Muss das sein? Ja! Unbedingt!
Dr. Reyhan Şahin ist neben ihrer wissenschaftlichen Karriere auch eine bekannte Hip-Hop- und Performance-Künstlerin. Die alevitische Muslimin und promovierte Linguistin verbindet in ihrem Buch Antirassimus, Sexualität und den Islam in einzigartiger Weise.
Kopftuch und Gender Jihad
Islam und Feminismus: geht das? Die Autorin erklärt, dass die Diskurse zur Frauenfrage in der Welt so alt wie der Islam sind. Dr.-Bitch-Splainerin sagt dazu:
„Was mich übrigens dazu motivierte, dieses Buch zu schreiben, weil ich keinen Bock mehr hatte, die Erklär-Kanakin für nicht-muslimische Akteur*innen, Journalist*innen und angehende Feminist*innen zu sein.“ (S. 196)
Gender Jihad ist ein geläufiger Begriff im islamfeministischen Diskurs. Sie sieht den islamischen Feminismus, neben schwarzem und christlich geprägtem Feminismus, als Teil der internationalen Frauenbewegung. Drei Strömungen identifiziert sie in im islamfeministischen Diskurs: konservative, liberale und radikale Vertreter*innen arbeiten mit unterschiedlichen Annahmen. Warum ein Kopftuch Punk sein kann, wird in dem Buch beantwortet. Die soziokulturellen Facetten, die eine Frau* zum Tragen eines Kopftuches bewegen, und wie die einzelnen Tragearten vom islamischen und nicht-islamischen Umfeld kommentiert und verstanden werden, sind in so einer umfassenden Art beschrieben, dass sich jede, die dieses Kapitel gelesen hat, reflektiert mit ihren eigenen Ansichten auseinandersetzen kann und tatsächlich muss.
Fuckademia – Das Berufsleben
Vom Thema Kopftuch und den Facetten und Akteur*innen des islamfeministischen Diskurses leitet Dr. Reyhan Şahin über zum Wissenschaftsbetrieb. Der Welt der Wissenschaft würden viele sicherlich eher ein reflektiertes, offenes Denken in Sachen Geschlechtergerechtigkeit zuschreiben. Die eigenen Erfahrungen, die die Wissenschaftlerin Dr. Reyhan Şahin schildert, zeigen ein düsteres Bild. Auch wenn das Thema nicht viel Raum im Buch einnimmt, wird doch klar, dass eine #metoo-Debatte für den Wissenschaftsbetrieb noch aussteht und der potentiell erwartbare Knall sehr laut sein wird. Hier herrschen oftmals prekäre Arbeitsbedingungen, burschenschaftsähnlicher Zusammenhalt und unsolidarische Karrierehackerei. Die Perspektive ist auch hier nicht nur eine Frauen*perspektive.
„Denn auch jüngste Versuche, die universitäre Institution im Hinblick auf Diversität zu öffnen, haben bisher zur Folge, dass in erster Linie weiße Frauen eingestellt werden. Wahre intersektionale Diversity an deutschen Hochschulen, im Sinne des Vorkommens von mehr Menschen mit Migrationsbiografie, gestaltet sich bislang anscheinend schwierig. Und wenn People of Color Posten an Universitäten erhalten, erfolgt dies aus unüberwindbaren fachspezifischen Gründen der „Interkulturalität“, also, wenn es wirklich keine anderen weißdeutschen Menschen mit derselben Qualifikation gibt oder es, wie zum Beispiel bei Fächern wie Afrikawissenschaften oder Turkologie, komisch aussehen würde, wenn dort jemand ohne einen dem Fach entsprechenden Background arbeiten würde. (…) Ein weiterer Grund welhalb ein*e PoC eine Stelle an der Universität bekommt, ist Tokenisierung: das gezielte Einstellen von Vertreter*innen einer Minderheit als personalpolitische Maßnahme, um Diversität oder gesellschaftliche Pluralität vorzutäuschen.“ (S.243)
„Die mickrige Professorinnenschaft ist aber nur die Spitze der Klitoris in der Hochschullandschaft. Oder besser gesagt, die Vorhaut des Elfenbeinschwanzes, deren verborgene Facetten wie etwa dominante weiße Männlichkeit, Elitarismus, Diskriminierung und insbesondere die mangelnde Präsenz von Schwarzen Wissenschaftler*innen und/oder Wissenschaftler*innen of Color, je weiter man sie nach hinten zieht, zum Vorschein kommen.“(S.244)
Erleben von Diskriminierung – Die Blaupause der Musik
Arbeit, Leben, Musik, Kunst. Eine übergreifende feministische Perspektive, die Mehrfachdiskriminierungen und insbesondere auch Rassismus und Sexismus einbezieht, das ist der Kern von Yalla, Feminismus!. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht das Werk so wichtig für aktuelle Diskurse in Sachen Gendergerechtigkeit und Rassismus. Fans der Hip-Hop Szene werden mit vielen Fakten aus der Szene konfrontiert. Manch eine*r wird das eigene Hörverhalten ändern, ob der Fragestellungen von fiktiver und realer Person. Denn auch hier kommt immer wieder die Frage auf, inwieweit die Songtexte einzelner Künstler*innen, die sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch darstellen, egal ob autobiografisch oder nicht, unterstützenswert sind. Oder wird damit ein Vorbild für Hörer*innen entwickelt, das Unterdrückung von Frauen* als Normalzustand postuliert?
Die Frage nach der Diskriminierung im Hip-Hop lässt sich in weiten Teilen auch auf das generelle Musikgeschäft übertragen. Wer sich für dieses Thema interessiert, der wird Lösungsvorschläge und viele Denkanstöße zum Thema bekommen. Frauen*, die Musik machen, finden sich hier wieder. Die selbst erlebten strukturellen Machtmechanismen erzeugen beim Lesen wirkliche Aha-Erlebnisse. Schilderungen, die wir aus autobiografischen Büchern bekannter Musikerinnen kennen, werden auch hier im Abschnitt Hip Hop geschildert. Ob es eine Kim Gordon von Sonic Youth in ihrem Buch Girl in a band ist oder Frauenbands ihre Tourerlebnisse, wie im Buch Rocken und Hosen, schildern. Die Musikrichtung ist dabei unerheblich. Das Erleben von Diskriminierung eine zeichenbare Blaupause in all den Musikszenen.
Feminismus? Yalla!
Ein Buch für alle, die sich aus der weißen privilegierten Feminismus-Blase herausbegeben wollen und fundierte Informationen schätzen. Menschen, die intersektionale Betrachtungsweisen, also gesamtdiskriminerende Situationen besser einordnen möchten. Frauen*, die im Berufsleben stehen und sich mehr oder weniger unterschwelligen Benachteiligungen ausgesetzt fühlen. Personen, die diese zuweilen leisen Diskriminierungen in einen konkreteren Kontext setzen möchten. Beziehungsweise Menschen, die mit Frauen* arbeiten und für die strukturellen Benachteiligungen besser sensibilisiert werden möchten und/oder besonders: gegen sie als Ally (Verbündete*r) ankämpfen wollen.
Und: es ist ein gut geschriebenes Sachbuch zu einem Thema, zu dem es nicht genug Bücher geben kann. Die Leser*innen werden mit einem klug ausgewählten Glossar abgeholt. Die Struktur absolut klar. So macht ein Buch über Feminismus Spaß. Wir brauchen mehr davon.
Renate Strümpel
Dieser Text erschien erstmalig in gekürzter Form im ZMag Ausgabe Februar/März 2020
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