Was hier nach einer knackigen Schlagzeile klingt, ist auch eine. Allerdings ohne Clickbait, sondern auf echten Tatsachen basierend.
Was ist passiert?
Kurz zum Background: Am 3. April ereignete sich im Steintor-Viertel einen Überfall auf ein Uhrmachergeschäft. Der Ladenbesitzer war mit Reizgas und mehreren Schlägen angegriffen worden. Der ganze Ablauf ist durch eine Überwachungskamera aufgezeichnet. Auf dieser ist auch zu sehen, wie nach kurzer Zeit eine Frau in den Laden eilt — Ute Kraft. Sie hatte aus ihrer nebenliegenden Schneiderei das Poltern gehört und ihren Kollegen zugerufen „Ruft sofort die Polizei!“, Daraufhin schnappte sie ihre Schneiderelle und stürmte ins Nachbargeschäft, um dort schließlich den Angreifer mit mehreren Schlägen und Rufen in die Flucht zu schlagen. Dieser konnte mittlerweile durch die Polizei ermittelt und festgenommen werden.
Für ihren Mut wurde Ute Kraft gestern offiziell vom Senator für Inneres und Sport belobigt und wir waren dabei.
Was steckt dahinter?
Vor allem spannend: Im Gespräch ergab sich die Frage über die Angemessenheit ihres Eingreifens. „Sie haben auf jeden Fall alles richtig gemacht. (…) Ich bin sehr erfreut darüber, dass sie da heil rausgekommen sind.“ sind die Worte des Senators Ullrich Maurer und lassen durchschimmern, dass das Thema mehr Facetten hat, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. „Wenn irgendwie möglich, sollte man versuchen, mit polizeilichen Maßnahmen vorzugehen und sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Ute Kraft bestätigt, dass sie Glück hatte, aber äußert, dass sie jederzeit wieder so handeln würde; weniger als eine halbe Minute habe es gedauert bis sie bei ihrem Nachbarn eintraf, da sei nicht viel Zeit geblieben, zu überlegen.
„Wir können ja alle Opfer sein, […] da wünschen wir uns ja alle, dass uns geholfen wird.“
„Das war ein gutes Zusammenspiel zwischen Polizei, Bevölkerung, Zivilcourage und Untersuchungsmöglichkeiten und die Botschaft muss sein: Wer eine solche Tat begeht, der läuft hohe Gefahr, ermittelt zu werden.“ (KriPo Bremen)
Der zentrale Punkt, um den sich das Thema kreist: Zivilcourage. Ausgehend von diesem konkreten Beispiel fragen wir uns, ob und wie es einen angemessenen Umgang mit der Thematik geben kann. Wo beginnt die moralische Notwendigkeit zu helfen? Und wo hört sie auf, wenn das Risiko über die eigene Gefährdung zu hoch wird?
Damit wir alle auf dem gleichen Nenner sind, erstmal eine Definition des Phänomens: „Zivilcourage beinhaltet die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Sicherheit und Bequemlichkeit in einer unangenehmen oder auch bedrohlichen Situation zurückzustellen, um sich für eine als gerecht erachtete Sache einzusetzen und entsprechend aktiv zu werden.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Zivilcourage)
Nicht nur in so einem konkreten Fall wird das Thema wichtig, auch als FLINTA* Person im Alltag ist man häufig damit konfrontiert, in bestimmten Situationen einschätzen zu müssen, wie gehandelt werden soll.
Wie verhalte ich mich also in solchen Situationen?
Das Adjektiv, das am prägnantesten erscheint, ist das des „aufmerksam“ Seins:
In erster Linie selbst aufmerksam werden, die Situation erstmal einschätzen und sich einen Überblick über die Beteiligten und deren Zustand verschaffen. Dann mit lauter Stimme den/die Täter*in auf sich aufmerksam machen und schließlich andere Leute auf das Geschehen aufmerksam machen.
Nicht alle Leute sind für jede Reaktion geeignet und nicht alle Situationen sind für jede Reaktion geeignet. Man muss also in jedem Augenblick einzeln entscheiden. Dennoch lassen sich je nach Situation grobe Handlungsempfehlungen aussprechen: Grundsätzlich geht es darum, sich selbst verantwortlich zu fühlen und nicht darauf zu setzen, dass andere Anwesende zur Tat schreiten und so Zeit zu verschwenden. Bestenfalls löst das aus, dass sich auch andere beteiligen.
Wenn keine Gefahr besteht, bedeutet das, dem Opfer zur Seite zu stehen und Hilfe anzubieten, das Opfer aus der Situation zu entfernen und zu deeskalieren. In einer gewalttätigen Situation, in der man sich selbst in Gefahr bringen würde, sollte hingegen lieber erst die Polizei gerufen und nicht selbst zur Tat geschritten werden. Also lieber aufmerksam bleiben und sich für die spätere Tatschilderung wichtige Details merken. Außerdem Abstand halten und selbstbewusst aufzutreten. Bestenfalls sogar den/die Täter*in durch unerwartete Handlungen oder laute Schreie irritieren und im Tathergang stören. So wird eine Gelegenheit, ein Überraschungsmoment geschaffen, den das Opfer für eine Flucht nutzen kann. (Quelle: https://bundesnetzwerk-zivilcourage.de/verhaltenstipps/)
Was heißt das konkret?
Im Wege steht dem oft Angst und das Unterschätzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Je nach Situation komme es aber vielmehr auf eine innere Entschlossenheit an, zur Hilfe zu eilen. Abgesehen von der Notwendigkeit, die Polizei so früh wie möglich einzuschalten, kann ein solcher Anruf auch die Möglichkeit bieten, eine Verhaltensanleitung durch die Beamt*innen zu bekommen. (Quelle: Frauen und Zivilcourage: Selbstbewusst eingreifen und helfen (polizei-dein-partner.de))
Hier findet ihr nochmal eine kompakte Zusammenfassung mit Schritten, an die man sich halten kann.
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