Reflektionen einer jungen Lesbe
Ich bin eine von vielen Lesben, die die meiste Zeit ihres Lebens dachten, sie wären bi. Viele Jahre war ich überzeugt, dass ich auf Männer stehe, obwohl mir immer schnell unangenehm wurde, wenn ein Typ Interesse an mir zeigte. Viele Freundinnen und Bekannte von mir gingen von einer lustlosen Beziehung mit einem Mann in die nächste. Nach Jahren oder gar Jahrzehnten merkten sie, „Hey, Moment, eigentlich steh ich gar nicht auf Männer!“
Wie kann es sein, dass so viele Lesben erst spät merken, dass sie keine Männer lieben?
Bevor viele Lesben ganz zu ihrer Liebe für Frauen stehen können, müssen sie erst die Schranken der Zwangsheterosexualität überwinden. Von früh auf lernen wir die Normen kennen, die Romantik und Sex strukturieren sollen: Männer sind aktiv, Frauen passiv. Männer sind begehrende Wesen, Frauen begehrte. Egal wie aufgeschlossen man ist: Es sind Normen, die man erst durchschauen und aus dem Kopf beseitigen muss, bevor man als Frau dazu stehen kann, Frauen zu lieben. Dass es voll okay ist lesbisch zu sein, wusste ich schon lange. Aber ich tat mich schwer Frauen als Menschen wahrzunehmen, die ich als Frau begehren kann und die mich begehren können. Außerdem wird das sexuelle Erleben von Frauen und die Existenz von Frauen überhaupt sehr darum konstruiert, ein begehrtes Objekt zu sein. So schlichen sich immer wieder Männer in meine Fantasien – die Ritterin in schillernder Rüstung, die mich rettet, gab es nicht in meinen Kindergeschichten.
Ahnungslos drauf losgeflirtet
Nun sagt sich irgendwann die frischgeoutete Lesbe nach der zehnten langweilig-lieblosen Beziehung: „Okay, Männer find ich doch nicht so heiß. Frauen für mich all the way.“ Aber dann merkt die Lesbe, dass es gar keine richtige Anleitung fürs Frauenlieben für Frauen gibt. Ich hab mich schon oft in Situationen wiedergefunden, wo ich schlicht keine Ahnung hatte, ob ich angeflirtet wurde – oder ob ich zurückgeflirtet habe. Das ganze wird ja ohnehin dadurch erschwert, dass Komplimente und Intimität unter Frauen auch freundschaftlich völlig normal sind. Auch hetero Freundinnen nennen mich hübsch oder sexy. Darüber will ich mich auch gar nicht beschweren. Aber wenn man als Frau mit Frauen flirtet, gibt es kein Drehbuch. Als Lesbe muss man das Begehren für sich selbst neu erfinden.
Das alles drückt sich im sogenannten Lesbian Sheep Syndrome aus. Wissenschaftler*innen merkten, dass sich unter Schafen eine signifikante Anzahl an homosexuellen Tieren befindet. Lesbische Schafe wissen aber nicht, wie sie sich anderen Schafen annähern sollen. Deshalb treffen sich ständig lesbische Schäfinnen, bleiben nebeneinander stehen und warten darauf, dass irgendwas passiert und die andere loslegt. Frauen, die Frauen lieben erkannten sich selbst in den Schafen wieder. So betitelten sie das Verhältnis als Lesbian Sheep Syndrome. Denn Frauen flirten miteinander mit einer solchen Vorsichtigkeit, dass sie selbst oft nicht merken, dass sie flirten. Dabei hoffen sie irgendwie, dass die Andere den ersten Schritt macht.
Auch ein bisschen Angst vor sich selbst
In das Lesbian Sheep Syndrome spielt auch Unsicherheit. Frauen fühlen sich beim Flirten nicht nur oft verloren, weil sie keine Anleitung haben. Oft haben sie Angst, dass sie sexistisches Verhalten reproduzieren. Die meisten haben nämlich Erfahrungen damit, wie es sich anfühlt, wenn man von Männern objektifiziert wird. Sie wissen, wie es ist, wenn ihre Grenzen überschritten werden. Einige Frauen haben mir mitgeteilt, dass sie sich beim Annähern an Frauen irgendwann mal gefürchtet haben, sie könnten selbst übergriffig werden. Diese Angst ist in den allermeisten Fällen unbegründet. Aber es fehlen ihnen positiven Vorbilder für lustvolle und respektvolle Begegnungen mit anderen Frauen. So denken sie, sie könnten in dieselbe Muster fallen, die ihnen widerfahren sind.
Doch zu lernen, dass man mit dem Lesbian Sheep Syndrome nicht alleine ist, hilft vielen Frauen, die Frauen lieben, darüber hinauszuwachsen. Das Lesbian Sheep Syndrome bei einem Schwarm anzusprechen, kann sogar ein toller Eisbrecher sein, um aus der „Flirten wir?“-Hölle auszubrechen und die eigene Zuneigung in klaren Worten auszudrücken.
Nicht nur Lesben dürfen darüber nachdenken
Ich möchte, dass dieser Artikel nicht nur Lesben erreicht. Auch bi-Frauen, pan-Frauen, oder Frauen die sonst queer sind müssen sich damit auseinandersetzen, dass das Frauenlieben für Frauen nicht so klar definiert ist. Aber auch für Heterofrauen ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie uns von klein auf vermittelt wird, wie unsere Sexualität durch das Begehren von Männern bestimmt wird.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass wir erkennen, wie positive und lustvolle Beziehungen zwischen Frauen immer noch in Medien schwer aufzufinden sind. Es ist kein Zufall, dass wir als Frauen, die Frauen lieben in Filmen und Serien eine kurze Lebensspanne haben. Dies spiegelt wider, dass die breitere Gesellschaft sich leidenschaftliche Beziehungen zwischen Frauen schlecht vorstellen können. Und diese Vorstellungen erreichen auch uns Lesben und anderen frauenliebende Frauen. Das schon lange bevor wir überhaupt wissen, dass wir Frauen lieben – oder Männer eben nicht. Medien zu fördern, die für uns sind und Frauenbeziehungen positiv darstellen, sind sicherlich ein guter Ansatz um etwas gegen das Lesbian Sheep Syndrome zu machen. Aber auch eben einfach mal offen darüber zu reden.
Kathy Hemken
Sylvia meint
Ein interessanter Ansatz, danke dafür. Da fühle ich mich doch gleich verstanden. Mir ist erst vor 5 Jahren ein Licht aufgegangen, bin mittlerweile 60 und das totale Schaf. Wie und auch wo funktioniert das Sichkennenlernen?
Ein weiterer Aspekt des Spätmerkens hat, und sicher nur nicht in meinem Fall, mit einem sehr schlechten Verhältnis zur Mutter zu tun. Der Blick wird verstellt von Angst und Misstrauen. Oft nicht bewusst aber leider entscheidend.
Sina meint
Danke für die Perspektive <3
Als bi Frau kann ich dieses 'Fehlen einer Anleitung' sehr nachvollziehen. Währenddessen werden mir hetero sexuelle Inhalte quasi dauernd aufgedrängt, ich kann mich dem kaum entziehen. Und leider beeinflusst das.
Eine Überlebende meint
Bei mir kam Zwangsheterosexualität nach dem Missbrauch durch einen transidenten Mann auf (Cotton Ceiling). Aber das macht mich ja zur “Terf” der man am besten noch die Zähne ausschlagen sollte. (solche Sprüche liest man immer wieder von pro trans)
Johanne Wessels meint
Danke für deinen spannenden Text. Ich bin schon mein Leben lang mit Frauen zusammen und habe in der annäherungsphase oft die Kavalierin “gespielt”, was ich mir in den letzten Jahren aber versucht habe abzugewoehnen, weil ich inzwischen auch gerne mal umworben werde, mich gut als Frau fühle und ich es als stimmig empfinde, wenn zwei Frauen gleichermaßen Schritte aufeinander zugehen bzw. sich nicht festgelegt auf ein Verhaltensmuster fühlen, sondern sich vertrauensvoll von ihren ur-instinkten leiten lassen und dabei Freiheit zum Spielen aller Rollen besteht… bestenfalls:-).
Nun fühle ich mich aber herausgefordert, da ich mich in eine Heterosexuelle Frau verliebt habe. Ich wäre sicherlich NICHT verliebt, wenn nicht von Ihr auch etwas ausgehen würde. Sie schaut mich sehr intensiv an und ihre Stimme wird innig und weich. Sie meldet sich auch oft bei mir. Sie betont aber daß sie Hetero wäre, fängt aber trotzdem immer wieder an zu flirten (aus meiner Sicht) ich habe ihr gesagt, daß mich so eine doppelte Aussage verwirrt. Ich fühle mich dadurch emotional geöffnet aber”darf” gefühlt keinen Schritt weitergehen. Fühle mich wie ein Schaf ;-). ich glaube tatsächlich, dass sie in sehr alten sichtweisen und rollenverständnis steckt, obwohl sie sehr offen ist, steckt das aber tief in ihrem Unterbewusstsein……