„Wenn jemand mich Schätzchen nennt, dann kriegt er klar den Satz zurück: Ich bin Steffi, du kannst mich vernünftig anreden“, erklärt die Inhaberin der Kneipe Oililio in Horn-Lehe. Seit 2011 führt Steffi Schmidt erfolgreich die Kneipe in Universitätsnähe, wo sich Mercedes-Bandarbeiter*innen mit Professor*innen über einem Bier unterhalten. Ich spreche mit ihr über ihren beruflichen Werdegang, der sie von der Ausbildung als Tischlerin zwar nicht zur Millionärin führt, aber zu einer eigenen Kneipe mit einem Miteinander, was unbezahlbar ist. Sie erzählt von der Selbstständigkeit, die sie gegen eine geregelte Arbeitswoche eingetauscht hat, und über die Kneipe als Stadtteiltreffpunkt, wo man den Alltag vergessen kann. Wir unterhalten uns über Sexismus, der in der Kneipenszene immer noch gang und gäbe ist, aber im Oililio auf klaren Widerstand trifft. Liegt das etwa am weiblichen Führungsstil?
Von der Tischlerin zur Kneipeninhaberin
Die Inhaberin des Oililio kommt ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Celle in Niedersachen. In dem Dorf gibt es nur eine Kneipe, wo sie sich mit Freund*innen immer zum Billard spielen trifft. Ansonsten hat sie als Jugendliche mit der Kneipenszene kaum Berührungspunkte. Stattdessen träumt die junge Frau davon Tischlerin werden. Nach dem ersten schulischen Lernjahr findet sie allerdings keinen Ausbildungsplatz in einem Betrieb: „Man hat als Mädel damals nichts bekommen. Die häufigste Ausrede war immer, wir haben keine sanitären Anlagen für Frauen. Es hätte zwei verschiedene Umkleideräume und zwei verschiedene Toiletten gebraucht und das hatten die Betriebe nicht.“ Deswegen macht Steffi Schmidt eine Ausbildung in der Hotellerie, sie rutscht mehr oder minder rein in die Gastronomie. In dieser Zeit lernt sie viel, auch dass sie diesen Beruf psychisch und physisch nicht ihr Leben lang machen kann und möchte. Deswegen entscheidet sich die Hotelfachfrau für eine weitere Ausbildung als Ernährungsberaterin, aber damals gibt es keine freien Stellen in diesem Berufsfeld: „Also habe ich mir gedacht, wieder ab in die Gastronomie. Denn arbeitslos bist du als Gastronomie-Mensch nie, es gibt immer Jobs. In Bremen kannst du die Schlachte einmal rauf und runter, irgendjemand nimmt dich schon.“
Zu Beginn arbeitet sie in einem Bremer Hotel, die Stadt gefällt ihr, und sie lernt in Bremen auch ihren Mann kennen. Dieser feiert seinen Dreißigsten im Oililio, was damals noch Oininio heißt, und so nimmt alles seinen Lauf. Die Kneipe wird zunächst zum Treffpunkt mit Freund*innen und dann zu ihrer eigenen. Die Entscheidung, die Kneipe zu übernehmen, gleicht einer Nacht und Nebel Aktion.
„Ich habe an der Tür den Aushang gesehen, dass der Vorgänger die Kneipe abgeben möchte. Da habe ich gedacht, du wolltest dich schon immer selbstständig in der Gastronomie machen und jetzt ist hier ein fertiger Laden. Ist zwar Abendgeschäft, aber irgendwie auch nett und die Gegend ist schön, du kennst den Laden, warum nicht. Und dann habe ich meine Freundin angerufen und gefragt, hast du Lust. Die hat im Parkhotel Köchin und in Worpswede noch Restaurantfachfrau gelernt. Sie war kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung. Ich bin ja gelernte Hotelfachfrau, also wir hatten zusammen einen ganz guten Hintergrund und bisschen Erfahrung.
Ihre Freundin unterstützt Steffi Schmidt nur für drei Jahre, sie boxen sich zusammen durch die Anfangsphase. Skepsis erfahren sie in dieser Zeit vor allem wegen ihres Geschlechts.
„Wir sind jetzt die dritten Gastronomen, die hier drin sind. Also zwei vor uns, aber das waren immer Männer. Da wurde erstmal geguckt, ach hier, zwei junge Mädels. Ich war Anfang dreißig, sie war Mitte zwanzig, also beide noch relativ jung. Dann kam immer die Frage, kann man denn davon leben und dann haben wir immer gedacht, das geht euch nichts an. Wenn wir nächstes Jahr immer noch hier sind, dann kann man wohl davon leben. Aber das war wirklich anstrengend am Anfang. Zum Beispiel mit den Geschäftspartnern, sei es der Getränkelieferant oder Sky, mit denen du Verträge abschließen musst. Da wurdest du immer nicht so ganz für voll genommen, weil wir ja nur zwei Mädels waren. Nach den drei Jahren kam zwei Jahre ein Freund, der die Kneipe mit mir noch zwei Jahre geführt hat. Da habe ich den Unterschied erstmals gemerkt. Vorher habe ich gedacht, das ist normal. Skepsis, wir sind neu. Aber danach kam der Kollege dazu, das war ein ganz anderer Schnack nach außen.“
Die Kneipe als Stadtteiltreffpunkt
Der Vorgänger von Steffi Schmidt führt die Kneipe nur als Hobby. Sein Konzept: Tür auf und hoffen, dass Gäst*innen kommen. So funktioniert Kneipe heutzutage nicht mehr, sagt seine Nachfolgerin, du musst den Gäst*innen Angebote machen. Also modernisiert, organisiert und strukturiert die neue Inhaberin das Oililio um. Sie führt den „Studi Abend“ mit günstigen Angeboten ein und holt damit die Studierenden zurück, die doch schließlich um die Ecke wohnen. Weitere Veranstaltungen folgen, es geht von Karaoke, Quizabenden, Tanznächten mit Live Musik über das gemeinsame Fußball Gucken, Grillen und einen günstigen Absacker nach der Arbeit trinken: „Wir haben nach und nach ausprobiert was geht. Und mittlerweile wird hier alles angenommen, egal was wir machen, die Leute kommen.“
Das Konzept, das sie verfolgt, funktioniert.
„Das soll der Treffpunkt für den Stadtteil sein. Und das ist aufgegangen, tatsächlich. Es ist wirklich der Stadtteil, der hierher kommt und sich trifft. Manchmal kommt auch einfach einer alleine und weiß, ich finde hier schon jemanden zum Erzählen. Man hat mit dieser Kneipe einen Ort, wo man mal eben was Kleines isst und kurz schnackt oder sich eine Veranstaltung aussucht. Der eine mag gerne Fußball gucken, der andere hört sich gerne die Musik an. Das klappt gut. Das haben wir vor allem in der Corona Pandemie arg gemerkt. Da haben wir uns ein Wochenende im Monat immer vor die Tür gestellt und haben einen Außer-Haus-Verkauf gemacht. Und da kamen auch immer alle an und haben gesagt, ihr müsst bleiben und wenn es euch nicht gut geht, dann sagt Bescheid und wir helfen. Da hast du gemerkt, du wirst im Stadtteil akzeptiert, du bist angekommen und es wird so angenommen wie du es machst.“
Steffi Schmidt hat mit dem Oililio einen Ort erschaffen, an dem sich der bunt gemischte Stadtteil Horn-Lehe treffen kann und sich jeder wohl zu fühlen scheint.
„Hier wohnen sehr viele verschiedene Leute. Du hast hier ja die Studierenden, das ist schon mal ein großer Punkt, dass hier viele junge Leute sind. Du hast aber auch die Renter*innen, die hier schon lange wohnen. Du hast junge Familien, die hierhergezogen sind. Durch die Schwimmbäder hast du generell nochmal andere Leute hier, bei der Uni und in Horn. Du hast hier die Professor*innen, du hast die normalen Arbeiter*innen, du hast alle Schichten hier. Manchmal haben wir Samstagabend Tanznacht. Dann kommst du auch einfach so wie du bist, du musst dich nicht aufbrezeln, sondern du kommst einfach mit deiner Jeans und deinem T-Shirt und tanzt. Ich glaube, das beschreibt uns ganz gut. Dann hast du hier die jungen Mädels, die Älteren, die Herren, alles Durcheinander. Dann kommt nach einem ABBA-Lied irgendein Techno-Lied und alle tanzen mit.“
Am liebsten trinken die Stadtteil-Bewohner*innen vor allem Bier. Es gibt aber natürlich auch Wein und eine Auswahl an Cocktails. Wer es gerne fruchtig mag, bekommt im Oililio zum Beispiel den Strawberry Sunrise, bestehend aus Wodka, Erdbeerlikör, Ananassaft, Orangensaft und Erdbeersirup. Als Hungerstiller stehen Chili con und sin Carne, Flammkuchen, die beliebten Toastis und ein vegetarisches wechselndes Special auf der Speisekarte. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Steffi Schmidt mag am liebsten den selbstgemachten Eistee, denn sie zählt zu den wenigen Gastronom*innen, die nicht mehr als nur ab und zu einen Schnaps mittrinken. Denn die Kneipe ist ihr Arbeitsplatz und wie in jedem anderen Beruf auch, herrscht dort Alkoholverbot.
„Schätzchen, machste mal“ ist nicht erlaubt
Es ist ein offenes Geheimnis: Flinta*, die sich in der Kneipenszene bewegen, sei es als Mitarbeiter*in oder als Gäst*in, werden oft Opfer von sexistischen Kommentaren und übergriffigem Verhalten. Das ist auch der Inhaberin des Oililio bewusst, allerdings sieht sie auch, die Zeiten ändern sich.
„Ich glaube, wenn du eine meiner Aushilfen fragst, die junge Studentinnen sind, und mich, die jetzt Mitte vierzig ist, sehen wir das anders. Ich bin aufgewachsen in einer Gastronomie, wo Polizist So-und-So dir auf den Hintern haut und sagt, bring mir nochmal ein Bier. Das war völlig normal. Das wurde uns erklärt, als völlig normales Verhalten. Du fandest das vielleicht nicht gut, aber es war so. Somit habe ich in einer Gastronomie angefangen, in der du nicht mit deinem Namen angesprochen wirst, sondern mit „Schätzchen oder Mäuschen“. Hier passiert das tatsächlich kaum. Wenn mal jemand trotzdem „Schätzchen“ sagt, dann kriegt er klar den Satz zurück, „Ich bin Steffi, du kannst mich vernünftig anreden“. Und dann klappt das auch. Wir hatten mal einen Gast, das war wirklich schlimm, aber das haben wir erst nach Ein-zweimal-Kommen mitgekriegt. Der hatte immer sein Handy in der Brusttasche und ist dann durch den Laden und hat immer versucht, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Bis wir gemerkt haben, dass der die Kamera anhatte und einfach die Mädels gefilmt hat. Dann hat der Hausverbot bekommen.“
Steffi Schmidt erzählt, dass sich die „Schätzchen, machste mals“ oft von alleine aussortieren, weil sie merken, dass sie mit ihrer Art und den Sprüchen im Oililio nicht willkommen sind. Entweder kommen sie erst gar nicht wieder oder es kommt zu einem Sinneswandel. Plötzlich scheint man sich mit Männergruppen, die eine*n zuerst mit „Schätzchen, machste mal“ ansprechen, doch nett und respektvoll unterhalten zu können. Ich frage sie, ob dieses nette Miteinander ihrem Führungsstil geschuldet sei, der sich vielleicht doch von dem ihrer männlichen Kollegen unterscheidet.
„Grundsätzlich ist das sicher anders, wie Männer und Frauen das angehen. Ich bin hier sehr wenig autoritär. Ich arbeite hier mit allen, die da sind, zusammen und vor den Gästen haben wir alle den gleichen Stand. Wenn eine Aushilfe eine Ansage gemacht hat, dann stehe ich dazu, dann ist das so. Klar, ich bin hier für alles verantwortlich, aber nicht wirklich autoritär. Ich mag das auch nicht. Ich kenne das von der Ausbildung her, da gab es diese klassischen Hierarchien in der Gastronomie. Die bin ich auch alle durchlaufen. Aber ich wollte das hier nicht und ich glaube, es funktioniert ganz gut. Ich habe eine Aushilfe, die schon, seit sie sechzehn ist, in der Gastronomie arbeitet, und die sagt, so einen entspannten Arbeitsplatz hatte sie noch nie. Das ist auch nett mal zu hören.“
Selbstständigkeit im Tausch gegen Freizeit
An ihrem Beruf schätzt Steffi Schmidt vor allem die Selbstständigkeit, dass sie niemandem Rechenschaft schuldig ist, außer sich selbst gegenüber. Anders als in der Hotellerie, da war sie als Rezeptionistin immer Ansprechpartnerin Nummer eins, und musste Probleme lösen, für die sie nicht verantwortlich war. Als Inhaberin ist sie zwar auch die erste Ansprechpartnerin, aber sie weiß, wenn ein Fehler passiert, dann hat sie diesen auch selbst zu verschulden. Diese Selbstständigkeit hat sie aber auch gekostet: eine fünf Tage Woche, einen geregelten Arbeitsablauf und viel Freizeit. Stattdessen ist ein zwölf Stunden langer Arbeitstag zur Normalität geworden und das geht dauerhaft an die Substanz. Denn sie steht nicht nur selbst hinter der Theke, sondern kümmert sich auch um das Organisatorische. Dazu gehört die Buchhaltung, die Abrechnung der Aushilfen, die Planung der Events, und die Pflege der Homepage. Das nette Miteinander mit den Gäst*innen und innerhalb des Teams hilft ihr, sich damit abzufinden, deswegen hat Steffi Schmidt die Kneipe auch noch nicht abgegeben. Ursprünglich wollte sie diese eigentlich nur zehn Jahre führen und danach zu einem Montag-bis-Freitag-Job wechseln.
Was wünscht sie sich für die Zukunft?
Für die Zukunft der Kneipe wünscht sie sich als Inhaberin vor allem, dass diese weiter so bleibt wie sie ist, auch wenn sie selbst nicht mehr da ist. Schließlich hat der Stadtteil ihr Konzept genauso angenommen und es scheint, zumindest zur Zeit, erfolgreich zu sein. Privat hofft sie, sich irgendwann aus dem Abendgeschäft zurückziehen zu können und nur noch für die Hintergrundgeschichten zuständig zu sein. Aber das liegt noch in ferner Zukunft, denn: „Solange die Gesundheit mitmacht und der Spaßfaktor im Vordergrund steht, mache ich weiter“.
Marit Hertrampf
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