Trost durch Vögel

Cover mit Vogel vor Landschaft

(c) S. Fischer Verlage

Norbert Scheuer, Die Sprache der Vögel

„Im vergangenen Jahr habe ich über 137 Vogelarten beobachtet, darunter 35 Erstsichtungen.“ Paul Arimond schreibt Tagebuch und lässt seine LeserInnen an seinen Beobachtungen teilhaben, er bildet sogar einen Teil in sogenannten „Kaffeeaquarellen“ ab, nennt die lateinischen Namen der Vögel und er legt ein Buch an, in dem er Vogelfedern dokumentiert. Er ist aber nicht als Ornithologe unterwegs, sondern 2003/2004 im Krieg in Afghanistan als Sanitäter.

Er hat sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet, vermutlich um familiären Konflikten zu entfliehen und seinem Schuldgefühl zu entgehen, das ihn im Griff hat, seit er einen Autounfall verursacht hat, der das Gehirn seines Freundes unwiderruflich geschädigt hat.

Er kommt in ein Lager, schläft mit zwei Kameraden in einem Container, ihm ist schrecklich heiß und genauso kalt, er schildert die Tristesse der Kantine, vergnügt sich in der Bar und hockt lesend und schreibend in der Bibliothek. Er empfindet das Lager schon bald als „großen Käfig“, der mehrfach gesichert ist.

Gelegentlich fährt er mit auf Patrouillen und geht seinem Job als Sanitäter nach. So verbindet er einem afghanischen Mädchen seine Brandwunden, stopft einem Gestorbenen die Därme in den Leib zurück, sammelt die herumliegenden Gliedmaßen eines Kameraden auf.

Bald schon fragt er sich, „was mich in dieses Land, in diesen Krieg geführt hat“.

In 4-5 km Entfernung liegt ein See, unerreichbar für ihn, da die Soldaten das Lager nicht verlassen dürfen. Dieser See wird zu seinem Sehnsuchtsort, zumal dort viele Vögel leben. Es gelingt ihm, die Barrikaden zu überwinden – allerdings nur bis er geschnappt wird. Er bekommt eine milde Strafe. Die Kameraden schließen ihn aus, einer fürchtet sogar, dass die Bekanntschaft mit einem „Deserteur“ seine Karriere gefährden könnte. Ein Kamerad sagt: „Man wäre nicht normal, wenn man nicht irgendwann verrückt würde.“ Er hingegen beschwört die Vögel als Schutz: „Ich will nicht verrückt werden. Es tröstet mich, die Vögel zu beobachten, ihnen beim Fliegen zuzusehen.“ Als ihm aus der Heimat gemeldet wird, dass sein Freund gestorben ist, wird er „verrückt“. Die Taliban greifen den Bus an, mit dem auch er zum Flughafen nach Kabul gebracht werden soll.

Paul Arimond wird von keiner Ideologie getrieben. Auf die Frage seines Kommandanten, warum sie in Afghanistan seien, antwortet er „genau das, was man uns erzählt hat. Wir verteidigen die Freiheit dieses Landes und die Freiheit der westlichen Welt.“ So hat er auch nichts, um die Realität zwischen Beschuss und Langeweile zuzukleistern. Und die Vögel? „Vögel haben so vielfältige Farben wie die Dinge, die sie wahrnehmen. Manchmal verschwinden sie über dem Wasser, sind wie weggezaubert für unsere Sinne. Verschwundenes, das anwesend bleibt. Vielleicht ist so die Wirklichkeit, die wir nie begreifen werden, vielleicht gibt es aber auch Momente, in denen wir Dinge verstehen, ohne sie zu kennen.“

Dieser melancholische Zweifel geht noch lange in einem herum.

Norbert Scheuer, Die Sprache der Vögel, 238 Seiten, Fischer Taschenbuch, 2016 (zuerst 2015).
Scheuer ist 1951 geboren, sein Roman stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.