Terézia Mora, Die Liebe unter Aliens
Als Terézia Mora in diesem Winter den Bremer Literaturpreis bekam und ich ihre Dankesrede hörte, war ich hingerissen. Statt dieser doch oft etwas abgenutzten artigen Worte las sie – eine Geschichte vor! In der ging es unter anderem um das nicht gerade einfache Leben einer Frau zwischen Schriftstellerin mit klammen Mitteln und gestresster Mutter einer Halbwüchsigen. Das Unverblümte, Ungeglättete und Ehrliche daran gefiel mir auf Anhieb. Wie sie zum Beispiel klarmachte, dass ein solcher Preis auch wegen des Preisgeldes etwas sehr Erstrebenswertes ist.
Also klar: von der wollte ich mehr lesen. Als erstes nahm ich mir „Das Ungeheuer“ vor, der Roman, mit dem Mora 2013 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Zugegeben: mit diesem Roman kam ich erst mal überhaupt nicht zurecht und brachte ihn nach den ersten 50 Seiten Ratlosigkeit zurück in die Bibliothek. Dann also der von der Bremer Jury erwählte Band „Die Liebe unter Aliens“.
Er enthält 11 Geschichten. Ich bin kein Fan von Kurzgeschichten. Sie verwirren mich durch die Vielzahl unterschiedlicher Handlungen und Personen, oder sie ermüden mich, weil sich oft ein gleichmäßiger Erzählstil durchzieht und ich trotzdem immer wieder neuen Anlauf nehmen muss. Terézia Moras Geschichten kriegte ich in keine der beiden Schubladen. Ihre Geschichten könnten nicht unterschiedlicher sein. Dennoch zieht sich etwas hindurch: Sie erzählt von einsamen Personen, auch wenn sie – wie in der titelgebenden Geschichte – ein Paar sind. Terezia Mora verfolgt sie in ihrem oft banalen Alltag und spürt darunter ihre Traurigkeit, Rat- und Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit auf. Und erzählt von ihrem Weiterleben. Dass diese Ansammlung grau gefärbter Innenleben aushaltbar ist, liegt an Moras lakonischer, unsentimentaler Kratzbürstigkeit. Sie schont dabei weder ihre Figuren noch ihre LeserInnen. Aber auf dramatische Katastrophen zulaufende Finale gibt es bei ihr nicht, noch nicht einmal ein Zu-Ende-Erzählen. Die Personen gehen ihrer Wege und lassen uns – meist ziemlich unvermittelt – einfach stehen, in einer nagenden Ratlosigkeit: Wohin und warum zum Beispiel ist das junge Mädchen aus der Titelgeschichte verschwunden? Überhaupt, diese Geschichte ist wirklich eine der schönsten in dem Band – wenn es bei Mora so etwas wie Schönheit überhaupt gibt. Da sind die beiden Jugendlichen; den einzigen brüchigen Halt finden sie aneinander. Sandy lebt in den Tag hinein und kifft, Tim hält seine Lehre als Koch nur durch, weil seine Chefin Ewa ihm mütterlich-resolut unter die Arme greift. Durch Ewas illusionslosen Blick sehen wir die beiden, aber auch Ewa als alternde Frau mit einem stumpfen Exemplar von Mann, die den besseren Teil des Lebens hinter sich hat und mit einer Mischung aus Genervtheit und Rührung auf das junge Paar guckt.
In Alltag verpackte Gefühle
Gescheiterte Beziehungen und unverarbeitete Trennungen bevölkern die Geschichten von Mora. Der alleinstehende Ex-Marathonläufer, der einen jugendlichen Dieb verfolgt, der Teilzeitvater, dessen Jugendfreund gestorben ist, die alleinerziehende Mutter zwischen Kind, Fotografenjob und Lebenshunger, der Mann, der heimlich einmal im Jahr seine Halbschwester trifft, die Professorin, die von ihrem Geliebten nach acht Jahren verlassen wurde… Ihre Geschichten kommen undramatisch und in Bruchstücken hervor, eingepackt in die freudlosen Routinen der ProtagonistInnen. Nur selten erlaubt uns Mora, einen Hoffnungsschimmer zu entdecken. Was also hat mich bewegt, immer weiter zu lesen, alle Geschichten? Sie schreibt beiläufig, knapp und treffend, sie schafft es, auf dem engen Raum der Kurzgeschichte den Zustand und die Stimmung ihrer Personen zu entfalten. Manchmal kommt ein trockener Humor zum Vorschein: „…ich fotografiere sie, sie posiert, sie ist schön, denkt aber, sie wäre noch schöner.“ Oder so wirklich schöne Sätze: „Er stand da ganz versunken, und als neben ihm jemand den Laden betrat, erklang die Türklingel mit einer Brutalität, wie ein zu früh gestellter Wecker, die Frau sah in die Richtung, macht sich für ein Lächeln bereit, aber bevor es fertig war, war Masahiko Sato schon geflohen.“ Dies aus der letzten Geschichte. Und falls es jemandem gelingt, nicht alles zu lesen, dann sollte es auf jeden Fall die titelgebende und die letzte sein.
Das Buch ist 2016 im Luchterhand Verlag erschienen und hat 267 Seiten.
Es ist in der Stadtbibliothek Bremen ausleihbar.
Terezia Mora wurde 1971 in Ungarn geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Sie ist Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Übersetzerin aus dem Ungarischen und schreibt in deutscher Sprache. Sie bekam viele Literaturpreise, wie 1999 den Ingeborg-Bachmann-Preis und 2013 den Deutschen Buchpreis.