Heiratsmarkt auf kaukasisch

Zwei Frauen mit Kopftuch schauen auf Frau im Bikini am StrandGanijewa, Alissa: Eine Liebe im Kaukasus

Patja lebt in Dagestan, ist „schon“ 25 und immer noch nicht verheiratet. In der Siedlung, in der ihre Eltern leben, drängen sie alle, sich endlich einen Mann zu suchen: Freundinnen, Nachbarinnen und natürlich ihre Mutter. Nicht anders ergeht es Marat, einem jungen Anwalt in Moskau und ebenfalls aus der Siedlung stammend: Seine Mutter hat eine Liste von Kandidatinnen erstellt, die abgearbeitet werden muss – denn die Eltern haben eigenmächtig schon einen Hochzeitssaal gemietet. Bis die beiden sich über den Weg laufen, wird noch einige Zeit in der Geschichte vergehen.

Crash zwischen Tradition und Moderne

Es geht aber nicht nur um die traditionellen Geschlechterverhältnisse, in denen wie eh und je eher verheiratet als geheiratet wird. Alissa Ganijewa beschreibt drastisch den Crash jahrhundertealter Traditionen mit der globalisierten postsowjetischen Welt. In ihr sind Laptops und Handys zwar selbstverständlich, aber das Entkommen der jungen Generation aus den Konventionen ist trotzdem schwer. Die Siedlung entstand, wie das informative Nachwort der Übersetzerin beschreibt, durch die massive Umsiedlungspolitik der Bergdörfer in stadtnahe neue Orte. Die Bewohner wurden als rückständig angesehen, die abgeschnitten von der Entwicklung in einer von Mythen und Geistern bevölkerten starren Welt lebten und nicht mehr in die Sowjetunion passten.

Heiraten oder verheiratet werden?!

So lebt in der Siedlung manches fort, das vergnüglich absurd und leicht erzählt wird, aber zugleich zutiefst befremdlich ist. Neben den mütterlichen Verkupplungsversuchen geistert auch die Gestalt von Halilbek durch den Roman, abwechselnd als geistlicher Führer bewundert oder als Krimineller verteufelt. Korruption, Gewalt und religiöse Auseinandersetzungen gehören zum Alltag der Siedlung ebenso wie der Klatsch über Liebe, Verrat und Liebeskummer. In dieser Gemengelage hangeln sich Patja und Marat durch den Heiratsmarkt, bis sie sich endlich kennen- und lieben lernen. Vorher müssen noch ungebetene KandidatInnen abgewiesen werden, was insbesondere für Patja zum Hindernislauf wird. Glücklicherweise ist die Geschichte keine Seifenoper und hält ein unerwartetes Ende bereit!

Das Interessante an diesem Buch ist die Vielschichtigkeit, die ein buntes Mosaik einer für uns schwer zugänglichen Gesellschaft ausbreitet – absurd und komisch, auch fremd und bedrohlich, aber schön zu lesen und nie langweilig.

Portraitfoto Alissa Ganijewa

(c) Greg Bal / Suhrkamp Verlag

Alissa Ganijewa wurde 1985 geboren, wuchs in Dagestan auf und lebt seit 2003 in Moskau. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen einer neuen russischen Schriftstellergeneration.
Eine Liebe im Kaukasus ist 2016 bei Suhrkamp erschienen, hat 238 Seiten und kostet 22,- €.