Margaret Atwood, Das Herz kommt zuletzt
Charmaine und Stan sind noch nicht lange verheiratet, sie sind ein typisches Paar der amerikanischen unteren Mittelschicht. Sie hat es gern sauber und liebt Blümchenmuster, er gebraucht schon mal einen Kraftausdruck, fühlt sich von „den Reichen“ übervorteilt und hält den Mund. Gerade haben sie begonnen, sich eine Existenz aufzubauen, da geraten sie in eine Wirtschaftskrise, die viel Ähnlichkeit mit der Finanzkrise hat. Sie verlieren ihr Häuschen, das sie durch harte Schufterei abbezahlen, und ziehen in ihr Auto um, immer in Angst vor Vandalen. Charmaine hat einen kleinen Job in einer schäbigen Bar, dort sieht sie die Werbung für die Stadt Consilience mit dem „Positron-Projekt“. Diejenigen, die dorthin ziehen, sollen in schönen, sauberen Häusern wohnen, ihre jetzige Situation soll vergessen sein. Stan und Charmaine lassen sich anwerben, sie unterschreiben einen Vertrag, der sie für ihr ganzes Leben verpflichtet. Sie unterschreiben freiwillig, nachdem sie eine Einführung in das Projekt bekommen haben: Sie werden einen Monat in ihrem Haus wohnen und den nächsten im Gefängnis verbringen. In der Zeit wird ein Paar das Haus bewohnen, das zuvor im Gefängnis war. Im Gefängnis werden sie Arbeiten leisten, die das Gefängnis zu einer Win-Win-Situation machen. Und draußen werden sie Arbeiten verrichten, die ihnen Spaß bringen. Es gibt schmackhaftes Essen und jeder erhält Geld. Natürlich gibt es das alles nicht umsonst: Sie dürfen das Gelände von Consilience nicht verlassen und sind totaler sozialer Kontrolle unterworfen. Aber in ihrem Schrottauto waren sie zwar persönlich frei, doch gefangen in der Armut.
Die totalitäre Gesellschaft zeigt das wahre Gesicht
Charmaine und Stan sind anfangs zufrieden mit ihrem Leben, dann aber gehen sie gegen die Gebote sexuelle Beziehungen zu dem Paar ein, das in ihrem Haus wohnt, wenn sie im Gefängnis sind. Und so werden sie, gegen ihren Willen, zu Widerständigen.
Die Personen sind vor allem solche, die mit der Kontrolle von Consilience beschäftigt sind. Sie sind also die Unsympathischen, meisterhaft charakterisiert. Aber auch die HauptprotagonistInnen Charmaine und Stan laden nicht zur Identifikation ein. Man kann sie verstehen, ja, aber sie sind so schrecklich kleinbürgerlich, so stellt man sich die Trump-AnhängerInnen vor.
Margaret Atwood schreibt spannungsreich mit zahlreichen Anspielungen auf das US-amerikanische System; ihre Science-fiction-Welt ist nicht allzu weit von der realen Welt entfernt.
Meiner Ansicht nach wird allerdings die politische Dimension des Buches zu sehr von der sexuellen überlagert.
Margaret Atwood bekommt den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sie hat zahlreiche Romane geschrieben, bekannt wurde sie durch Der Report der Magd.
Das Herz kommt zuletzt ist von Monika Baark übersetzt, es hat 390 Seiten, ist 2017 im Berlin Verlag erschienen und kostet 22 €.