Gutsituiertes Elend

Cover mit rot-blau-gelben Mustern

(c) Droschl Verlag

Gertraud Klemm: Aberland

Zwei Frauen in gutbürgerlichen Verhältnissen beschreiben ihr Leben: Ich-Erzählerin Elisabeth und ihre Tochter Franziska. In abwechselnden Kapiteln kommen sie zu Wort und setzen das Bild ihres Alltagslebens zusammen.

Die Mutter…

Elisabeth ist Ende 50, verheiratet mit Kurt, zwei Kinder – es könnte auf einen geruhsamen Lebensabend hinauslaufen.  Stattdessen hadert Elisabeth mit dem Altern, mit ihrer erkalteten Ehe, ihrer angespannten Beziehung zu ihrer Tochter Franziska, mit der Pflege der ungeliebten dementen Schwiegermutter, und nicht zuletzt mit ihrem verhinderten Seitensprung mit dem Maler Jakob. Kurt hat ständig Affären, Jakob und seine brotlose Kunst verlieren allmählich an Attraktivität, die Tochter geizt mit Vertrauen und dem Enkelkind. Elisabeth schaut mit Missfallen auf ihre ereignisarme, um nicht zu sagen hohle Umgebung, vor allem aber auf sich selbst und ihren erschlaffenden Körper, mit dem Gefühl, das Leben endgültig verpasst zu haben. Einzig ihre verstorbene Freundin Edith war eine Art Verheißung auf eine Lebensalternative. Die beiden träumten von einem gemeinsamen Leben ohne die lästig gewordenen Männer. Stattdessen wird sich nichts mehr verändern in ihrem Leben.

… und die Tochter

Franziska hat noch viel Leben vor sich, aber auch schon einigen Frust  hinter sich. Ihr Ehe mit Tom, die eine Beziehung auf Augenhöhe sein sollte, ist seit Manuels Geburt  immer stärker in das klassische Modell der Hausfrauenehe abgeglitten. Manuel ist über drei, da möchte Tom nun das zweite Kind und damit das Ideal der gelungenen kompletten Familie durchsetzen – ohne allerdings Franziska nennenswert zu entlasten. Sie wiederum hat das Kindertümeln ihrer Umgebung und die halbherzige Hilfe des Ehemanns satt und möchte endlich ihre Dissertation beenden, da wäre ein zweites Kind das Aus. Schon Manuel hat sie an den Rand der Belastbarkeit gebracht, und vor allem an die ihrer Ehe

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(c) Dolores David

Ein Roman ohne viel Handlung, dafür mit vielen Beobachtungen, vielen Alltagsmomenten und Schlüsselsituationen, die Müttern und Töchtern ziemlich bekannt vorkommen, schonungslos bis zur Schmerzgrenze. Ein klarer Blick auf die Gegebenheiten ist nicht unbedingt aufbauend, aber  unerlässlich für jede Entwicklung. Eine lesenswerte Lektüre.

Das Buch ist erschienen im Literaturverlag Droschl, Wien 2015, hat 184 Seiten und kostet 19,- Euro. Es war auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015.

Gertraud Klemm, geboren 1971 in Wien, „ist eine österreichische Schriftstellerin, deren Werk die feministische Analyse der zeitgenössischen bürgerlichen Frauenrolle ins Zentrum ihrer Erzählungen rückt.“ (Sagt Wikipedia)