Wörter mit Eigenleben

Arabische Muster in Lila

(c) Random House btb

Nava Ebrahimi:  Sechzehn Wörter

Sechzehn Wörter erinnern Mona immer wieder daran, dass die deutsche Sprache, in der sie ihr Leben in Deutschland gestaltet, nicht ihre Muttersprache ist. Sie überfallen die junge Deutsch-Iranerin  hinterrücks, sie ist ihnen ausgeliefert – bis sie anfängt, eins nach dem anderen zu übersetzen und sich damit ihrer Geschichte zu stellen. Und so betrachten wir zu Beginn jedes Kapitels eines dieser eleganten, verschnörkelten und auf uns so geheimnisvoll wirkenden arabischen Zeichen. Darunter eine Darstellung der Wörter in lateinischer Schrift, die jedoch auch zunächst rätselhaft bleiben und die im Laufe des Kapitels und schließlich im Laufe der ganzen Geschichte ihren Zusammenhang enthüllen.

Es ist die Geschichte einer iranischen Familie, in der Migration, missglückte Ehen, die Suche nach Liebe und Identität eine wesentliche Rolle spielen. Die dominante und eigenwillige Großmutter hat ihr Leben lang alle Fäden gezogen. Nun ist sie gestorben und ihre Enkelin Mona reist mit ihrer Mutter in den Iran, in das Land, zu dem sie eine „On-off-Beziehung“ hat und um das sie jahrelang einen großen Bogen gemacht hat. Sie hat dort nie gelebt, bis auf ein Jahr als Journalistin mit einem Rechercheauftrag. Ihr damaliger Liebhaber Ramin, den sie zwar aus den Augen verloren, aber nie ganz aus ihren Gefühlen vertrieben hat, ist nun wieder zur Stelle. Monas Leben und ihre Zerrissenheit zwischen den Kulturen und Sprachen zeigt sich an ihren komplizierten Beziehungsversuchen – weder mit deutschen Männern noch mit Ramin findet sie eine Perspektive in der Liebe. Und weder im Iran noch in Deutschland ist sie wirklich zu Hause.

Bittere Wahrheiten, undramatisch verpackt

Mit einem feinen Gespür und genauem Blick für biografische Brüche und Diskriminierungen, aber ohne Schuldzuweisungen beschreibt Ebrahimi nachdenklich und ratlos ein Leben, in dem alte Wurzeln gekappt wurden und neue nicht wachsen wollen, in dem alles Vertraute trügerisch ist und das Fremde plötzlich nahe kommt. Die Wörter werden nicht zerredet, die Sprache bleibt sparsam und gibt Raum für eigenes Nachspüren.  Die Autorin lässt keine Dramatik aufkommen und begegnet der Melancholie ihrer Protagonistin mit kühler Komik, zum Beispiel in den Trauerritualen im Iran: Mona wundert sich, warum die pflichtbewussten Tränen um die tote Großmutter die Wimperntusche der Cousinen nicht verschmieren – „Weil wir Permanent-Make-Up haben“. Oder in den Kommentaren der Großmutter mit ihrem losem ordinären Mundwerk, die lästert: „Die Fariba hat einen lieben, gutaussehenden Mann, der sie mit Geld überhäuft. Die hat wohl eine goldene Kos, weil so hübsch ist sie ja nicht.“ Kos – eines der sechzehn Wörter, das mit „Scheide“ nur unzureichend übersetzt ist –  „Möse“ würde der Sprache der Großmutter  wohl eher gerecht.

Monas gebrochenes Verhältnis zum früh verstorbenen Vater und zur Mutter kommen nicht von ungefähr, denn sie bergen ein Familiengeheimnis, das sich erst am Ende dieses intensiven Romans enthüllt. Die feinen Risse unter der Oberfläche einer scheinbar gelungenen „Integration“ lassen uns sensibilisiert zurück.

Unbedingt lesenswert!

Portrait Nava Ebrahimi

(c) Katrin Ohlendorf

Nava Ebrahimi, 1978 in Teheran geboren, studierte Journalismus und Volkswirtschaftslehre in Köln. Sie arbeitete als Redakteurin bei der Financial Times Deutschland und der Kölner StadtRevue. Nava Ebrahimi veröffentlichte bereits verschiedene Kurzgeschichten in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften. Sie lebt mit ihrer Familie in Graz. »Sechzehn Wörter« ist ihr erster Roman.

Sechzehn Wörter von Nava Ebrahimi  ist 2017 im btb Verlag erschienen, hat 313 Seiten und kostet 18 €. Es ist auch in der Bremer Stadtbibliothek ausleihbar.