Wo sich Eisbär und Grönlandhai guten Tag sagen

Cover mit Landschaft und HausJoachim B. Schmidt, Kalmann

Kalmann ist 33 und lebt in Raufarhöfn, einem Nest auf Island, zu dem man „am Ende der Welt links abbiegen“ muss, wie es seine Mutter beschreibt. Sie ist die zweitwichtigste Person in seinem Leben, aber die allerwichtigste ist der Großvater, von dem Kalmann alles gelernt hat, was ihm wichtig ist: Schneehühner und Polarfüchse jagen, Grönlandhaie fangen und zu Gammelhai zu verarbeiten. Vor allem hat ihm der Großvater erklärt, dass er zwar etwas zurückgeblieben ist, aber dass das eigentlich egal ist. Er lebt inzwischen allein, kommt mit allen gut aus und macht sich über alles in der Welt so seine eigenen Gedanken. Wenn er mal gehänselt wird, dass er den IQ eines Schafs habe, beunruhigt ihn das kein bisschen: Schafe können ja gar keinen IQ-Test machen!

Also „kein Grund zur Sorge“, einer seiner Lieblingssätze. Dass er ein bisschen besonders ist, fällt auch gar nicht so sehr auf, denn das Dorf ist insgesamt eine Ansammlung recht schräger Gestalten, wie die schöne Schuldirektorin, die schüchterne Dagbjört, Kalmanns cooler Bloggerfreund, der Bibliothekar in Frauenkleidern, die leutselige Magga, die litauischen  Gastarbeiter im Hotel, die attraktive Nadja.

Manchmal rastet Kallmann aus, verletzt sich selbst und macht Sachen kaputt. Einmal hat er als Zwölfjähriger die kleine Dabjört die Treppe runtergeschupst und ihr den Arm gebrochen, weil er in sie verliebt war. Dann bringt ihn seine Mutter wieder zur Ruhe.

Vor allem liebt es Kalmann, mit seiner Sheriff-Ausstattung – Cowboyhut, Sheriffstern und Mauserpistole – durch die Gegend zu ziehen. Reliquien, die er als Junge von seinem Erzeuger, einem amerikanischen Soldat, bei ihrem einzigen Zusammentreffen bekam. Das einzige, was Kalmann wirklich fehlt, ist eine Frau, da hat er bisher noch keine wirkliche Chance gehabt. Aber ansonsten lebt er durchaus gemütlich und zufrieden in Raufarhöfn.

Kein Grund zur Sorge – oder doch?
Bis die Sache mit der Blutlache passiert, die er im Schnee findet, und es dann mit der Ruhe vorbei ist. Denn gleichzeitig ist der reiche Unternehmer Robert McKenzie verschwunden und das ganze Dorf steht Kopf: Polizei, Rettungswache und die Presse rücken an und alle wollen plötzlich was von Kalmann. Insbesondere die Polizistin Birna, die den Fall aufklären soll,  versucht, aus Kalmann schlau zu werden und muss sich wohl oder übel seinem Gesprächs- und Gedankentempo anpassen. Ob es ihr gelingt? Zumindest, so viel sei verraten, können alle im Dorf am Ende froh sein, dass es Kalmann gibt.

Ein besonderer Blick auf das Leben
Wir sehen Kalmanns überschaubare Welt, die plötzlich an Fahrt gewinnt, konsequent aus seiner Sicht und lernen allmählich die Logik seiner Beobachtungen kennen. Wir fahren mit ihm zum Fischen raus, gehen mit ihm jagen und beobachten ganz genau die Menschen um ihn herum. Und manchmal ist uns mit Kalmann fast zum Weinen zumute, wenn er sieht, wie sein Großvater in die Demenz entgleitet. Die Mischung aus Treuherzigkeit, naiver Klugheit und Pfiffigkeit ist köstlich. Kalmann macht sich so seine Gedanken. Unbekümmert glaubt er an sich.  Er nimmt alles sehr ernst und wörtlich, auch die verrücktesten Situationen und wiederholt gern Allgemeinplätze, die aus seinem Mund oft urkomisch klingen. Und so gibt es viel zu lachen, wir lachen manchmal über ihn und seinen ungewollten Humor, aber meist mit ihm über die verrückten Zustände in Raufarhöfn. Er redet nicht gern viel, und so tappen wir wie das ganze Dorf bis zum Schluss im Dunkeln.

Ein bisschen Coming of age, ein bisschen Lokalkolorit, ein bisschen Krimi – aber der Roman ist auf kein Genre zu reduzieren, auch wenn die Geschichte spannend ist. Das Buch ist wunderbar menschlich, ohne kitschig zu sein, und ist eine Lektüre, die ungeheuren Spaß macht !

Joachim B. Schmidt, geboren 1981 in Graubünden, ist Journalist, Autor dreier Romane und diverser Kurzgeschichten. 2007 ist er nach Island ausgewandert, wo er mit seiner Familie in Reykjavik lebt und Touristen über die Insel führt.

2 Gedanken zu „Wo sich Eisbär und Grönlandhai guten Tag sagen

  1. Heidemarie Gniesmer

    Das Buch „Kalmann“ hat mich gefesselt, amüsiert und getröstet. Ich habe ein paar Fotos vom Ort des Geschehens. Wo und wie kann ich sie beisteuern?
    Heidemarie

    1. Alwine Beitragsautor

      Liebe Heidemarie,
      danke für deinen Kommentar und das Angebot von Fotos! Zusätzliche Bilder wie z.B. Landschaftsfotos sind leider nicht vorgesehen. Vielleicht hast du eine andere Möglichkeit, sie zu veröffentlichen?
      Alwine

Kommentare sind geschlossen.