Archiv der Kategorie: Roman

Drei Tage mit dem Tod

Buchcover mit drei gezeichneten schwarz-weiß Figuren

(c) Kiepenheuer Witsch

Thees Uhlmann, Sophia, der Tod und ich

Was für ein intelligentes, witziges, nachdenkliches Buch!
Der Ich-Erzähler ist einer von denen, die man nicht wirklich bemerkt. Er gehört zu den sogenannten „kleinen Leuten“, deren Meinung in Wahrheit nicht interessiert. Er ist 42, arbeitet als Altenpfleger, kommentiert auf schnoddrige Art und Weise, was ihn umgibt, interessiert sich für Fußball, schreibt seinem Sohn, der bei seiner Mutter lebt, jeden Tag eine Karte – er lebt eben so vor sich hin.  Er ist also den meisten von uns sehr nahe, auch darin, dass er nicht über den Tod nachdenkt. Der klingelt aber eines Tages an seiner Tür, gibt ihm noch drei Minuten und will ihn dann mitnehmen. Weiterlesen

Südstaaten Blues

Cover mit einer Hausfassade

(c) Diogenes Verlag

Carson McCullers, Die Ballade vom traurigen Café

„Die Stadt selbst ist trostlos…“ so beginnt die Autorin ihre Erzählung. Eine Kleinstadt im amerikanischen Nirgendwo der 20er oder 30er Jahre. An der verlassenen Hauptstraße steht ein altes windschiefes vernageltes Haus. Es war vor langer Zeit ein Laden und ein Café und gehörte der reichen Miss Amelia, einer eindrucksvollen Frau: unabhängig und stark wie ein Mann, die ausgezeichneten Whisky brannte, handwerklich ebenso geschickt war wie beim Heilen von Krankheiten, der alles gelang – außer gut mit anderen Menschen auszukommen. Sie zog alle übern Tisch und fing wegen Nichtigkeiten Streit an. Kurz, sie war in der ganzen Stadt respektiert und gefürchtet. Weiterlesen

Schwindel im Kreisverkehr

Cover mit Zwei Auto-Lenkrädern

(c) Nagel & Kimchi

Dominique Paravel: Die Schönheit des Kreisverkehrs

Ich gebe es zu: Auf der Suche nach einer schnellen Urlaubslektüre war ich nicht wirklich wählerisch – überschaubar sollte sie sein und irgendwas eher Leichtes. So griff ich in der Bibliothek ein bisschen wahllos in das Regal „Der literarische Tipp“ und dort zu einem Titel, der mich neugierig machte. Die Schönheit des Kreisverkehrs?? So gelangte ich unversehens in eine unterhaltsame und skurrile Erzählung, auf die sicher weder ich noch kaum jemand aus meinem Umkreis gestoßen wäre. Immerhin erinnerte ich mich gleich an die Begeisterung der Franzosen für diese eher nervigen Kreisel, die alle Nase lang den Verkehrsfluss unterbrechen. Dass sie im Mittelpunkt eines Romans stehen könnten, fand ich gewagt. Sie sind es aber tatsächlich. Weiterlesen

Landleben als grüne Hölle

Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern

grüne Gummistiefel

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München/Umschlagmotiv: © Simon Belcher/Getty Images

Christin ist Anfang zwanzig und wohnt irgendwo im Niemandsland in Meck-Pomm. Sie ist zu ihrem Freund Jan gezogen, und viele Alternativen hatte sie auch nicht: keine Ausbildung, Vater Alkoholiker, Mutter abgehauen. Eigentlich will sie ja auch mit Jan zusammen sein, aber nicht mit allem, was an ihm dranhängt: ein Milchviehbetrieb in ständiger Finanznot, Jans autoritärer Vater, der nichts von ihr hält und sie herumkommandiert, dessen blasse schwangere Lebensgefährtin; der Stallgeruch, der kaputte Trecker und das ewige Melken zu nachtschlafender Zeit. Kirschlikör, kleiner Feigling und anderer Schnaps dieser Sorte sind Christins verlässliche Begleiter. Sie mogelt sich mit kleinen oder auch dicken Lügen durch den Alltag. Die Dorffeste mit den herumhängenden Jugendlichen machen die Tristesse auch nicht besser, es wird gesoffen, gekokst und ´ne schnelle Nummer geschoben, so war es bisher auch bei Christin: Niemand kommt raus, nichts ändert sich für sie, weder mit noch ohne Jan. Weiterlesen

Kakophonie

Buchcover mit Mann mit Aktentasche

(c) Kiepenheuer und Witsch

Julian Barnes, Der Lärm der Zeit

Wie eine Partitur blättert Barnes das Leben des Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975) auf, vom jungen Mann, der „Auf der Treppe“ steht, zu dem erfolgreichen Vertreter seines Staates „Im Flugzeug“ bis zu dem alten Mann „Im Auto“.

Als er „Auf der Treppe“ steht, ist Schostakowitsch schon ein erfolgreicher Komponist, dessen Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ im In- und Ausland bejubelt wird. 1936, in einem Schaltjahr, besucht Stalin die Oper, zusammen mit Molotow,Mikojan und Schdanow. Stalin verbirgt sein Gesicht hinter einem Vorhang, die Regierungsloge liegt über dem Schlagzeug und den Blechbläsern, und die sind die Anführer einer infernalisch lauten Musik. Stalin verlässt die Oper. Am übernächsten Tag erscheint in der Prawda der Artikel „Chaos statt Musik“, er wird Stalin zugeschrieben. In dem Artikel wird die Musik scharf abgelehnt, vor allem aber wird sie dem „Formalismus“ und „Linksabweichlertum“ zugerechnet. Das sowjetische Publikum erwarte eine melodiöse, romantische Musik. Schostakowitsch wird aus dem Komponistenverband ausgeschlossen, seine Oper darf nicht mehr gespielt werden, Weiterlesen

Wörter mit Eigenleben

Arabische Muster in Lila

(c) Random House btb

Nava Ebrahimi:  Sechzehn Wörter

Sechzehn Wörter erinnern Mona immer wieder daran, dass die deutsche Sprache, in der sie ihr Leben in Deutschland gestaltet, nicht ihre Muttersprache ist. Sie überfallen die junge Deutsch-Iranerin  hinterrücks, sie ist ihnen ausgeliefert – bis sie anfängt, eins nach dem anderen zu übersetzen und sich damit ihrer Geschichte zu stellen. Und so betrachten wir zu Beginn jedes Kapitels eines dieser eleganten, verschnörkelten und auf uns so geheimnisvoll wirkenden arabischen Zeichen. Darunter eine Darstellung der Wörter in lateinischer Schrift, die jedoch auch zunächst rätselhaft bleiben und die im Laufe des Kapitels und schließlich im Laufe der ganzen Geschichte ihren Zusammenhang enthüllen. Weiterlesen

Gutsituiertes Elend

Cover mit rot-blau-gelben Mustern

(c) Droschl Verlag

Gertraud Klemm: Aberland

Zwei Frauen in gutbürgerlichen Verhältnissen beschreiben ihr Leben: Ich-Erzählerin Elisabeth und ihre Tochter Franziska. In abwechselnden Kapiteln kommen sie zu Wort und setzen das Bild ihres Alltagslebens zusammen.

Die Mutter…

Elisabeth ist Ende 50, verheiratet mit Kurt, zwei Kinder – es könnte auf einen geruhsamen Lebensabend hinauslaufen.  Stattdessen hadert Elisabeth mit dem Altern, mit ihrer erkalteten Ehe, ihrer angespannten Beziehung zu ihrer Tochter Franziska, mit der Pflege der ungeliebten dementen Schwiegermutter, und nicht zuletzt mit ihrem verhinderten Seitensprung mit dem Maler Jakob. Weiterlesen

Freiwillig gefangen

 

Buchcover mit Frau und Mann in blauem Overall

(c) Berlin Verlag

Margaret Atwood, Das Herz kommt zuletzt

Charmaine und Stan sind noch nicht lange verheiratet, sie sind ein typisches Paar der amerikanischen unteren Mittelschicht. Sie hat es gern sauber und liebt Blümchenmuster, er gebraucht schon mal einen Kraftausdruck, fühlt sich von „den Reichen“ übervorteilt und hält den Mund. Gerade haben sie begonnen, sich eine Existenz aufzubauen, da geraten sie in eine Wirtschaftskrise, die viel Ähnlichkeit mit der Finanzkrise hat. Sie verlieren ihr Häuschen, das sie durch harte Schufterei abbezahlen, und ziehen in ihr Auto um, immer in Angst vor Vandalen. Charmaine hat einen kleinen Job in einer schäbigen Bar, dort sieht sie die Werbung für die Stadt Consilience mit dem „Positron-Projekt“. Weiterlesen

Heiratsmarkt auf kaukasisch

Zwei Frauen mit Kopftuch schauen auf Frau im Bikini am StrandGanijewa, Alissa: Eine Liebe im Kaukasus

Patja lebt in Dagestan, ist „schon“ 25 und immer noch nicht verheiratet. In der Siedlung, in der ihre Eltern leben, drängen sie alle, sich endlich einen Mann zu suchen: Freundinnen, Nachbarinnen und natürlich ihre Mutter. Nicht anders ergeht es Marat, einem jungen Anwalt in Moskau und ebenfalls aus der Siedlung stammend: Seine Mutter hat eine Liste von Kandidatinnen erstellt, die abgearbeitet werden muss – denn die Eltern haben eigenmächtig schon einen Hochzeitssaal gemietet. Bis die beiden sich über den Weg laufen, wird noch einige Zeit in der Geschichte vergehen. Weiterlesen

Von Bienen und Menschen

Buchcover mit toter Biene

(c) btb

Lunde, Maja: Die Geschichte der Bienen

England 1852, Ohio, USA 2007, China 2098 – das sind die Schauplätze dieses Romans. Und, wie der Titel naheliegt, geht es in jedem dieser Teile um Bienen und die Menschen, die ohne sie nicht leben können.

Im England des 19 Jahrhunderts versucht William seine enttäuschten wissenschaftlichen Ambitionen zu überwinden. Sein Mentor hat sich auf gehässige Weise von ihm zurückgezogen, er muss seine umfangreiche Familie mit sieben Töchtern und dem schwierigen Sohn Edmund mittels eines Ladens ernähren, seine Ehe mit Thilda ist frustrierend. Einer tiefen Depression entkommt er durch ein Buch über Bienen, das ihn mit neuem wissenschaftlichem Eifer erfüllt. Er will eine neuartige Bienenbehausung konstruieren, die das Arbeiten mit Bienenvölkern einfacher macht. Weiterlesen