Christopher Isherwood: Leb wohl, Berlin
Eine Silhouette von einer Frau in schwarzen Strapsen, einer Weste, Handschuhen und einem Bowler – und zwischen ihren Beinen ist das Brandenburger Tor abgebildet. Wenn Sie den Film „Cabaret“ kennen, wissen Sie, das ist Sally Bowles, dargestellt von Liza Minelli. Die literarische Vorlage des Films ist jetzt neu herausgekommen.
Christopher Isherwood hat sie geschrieben, in seinem Episodenroman „Leb wohl, Berlin“. Er ging 1929 nach Berlin, später hat er gestanden, dass ihn die sexuellen Abenteuer „mit Jungs“ reizten. Er hält den Roman zusammen: „Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, ich denke nicht.“ Er verdient seinen Lebensunterhalt mit Englisch-Stunden und lebt im Übrigen dürftig in einer Pension. Und da trifft er sein Personal: die Vermieterin, den Barmann, die Prostituierte, die Jodlerin in einem Varieté und natürlich Sally Bowles. Die versucht, eine große Schauspielerin zu werden – indem sie mit Männern schläft, auf dem Sofa liegt, mit „Chris“ plaudert und „Prärieaustern“ schlürft. In weiteren Episoden schildert Isherwood seine Ferien auf Rügen, die er mit einem schwulen Paar verbringt, seine Behausung bei einer Proletarierfamilie und seine Begegnung mit Bernhard, dem jüdischen Besitzer eines Kaufhauses. Von dem erfährt er zum Schluss, dass er tot ist, gestorben an einem Herzschuss. Das ist die drastischste Episode, sonst ist die ganze Halbwelt-Szenerie nur eben grundiert mit Erwähnungen der Nazis. Eben noch fand man eine Person ganz sympathisch, schon gehört sie zu „den anderen“, die gegen Juden hetzt oder Disziplin propagiert.
Isherwood selbst verlässt seine Position der „Kamera“ nicht. Am Ende reist er nach England zurück. „Das arme Fräulein Schroeder ist untröstlich. ….. Es hat keinen Zweck, ihr etwas zu erklären oder mit ihr über Politik zu reden. Sie passt sich jetzt schon an und wird sich auch jedem anderen neuen Regime anpassen. …… Wollte man sie daran erinnern, dass sie bei den Wahlen im letzten November für die Kommunisten gestimmt hat, so würde sie das wahrscheinlich energisch abstreiten und selbst daran glauben, dass sie die Wahrheit sagt. Sie akklimatisiert sich nur ….. Tausende wie Fräulein Schroeder akklimatisieren sich. Sie müssen ja weiter in dieser Stadt leben, ganz gleich welche Regierung an der Macht ist.“ Und so heißt es „Leb wohl, Berlin“.
Christopher Isherwood, Leb wohl, Berlin, 267 S.
Original 1939, Atlantik-Verlag 2015, 9,99 €