Anke Stelling, Schäfchen im Trockenen
Resis Lage ist prekär: Schriftstellerin ohne festes Einkommen, vier Kinder, davon zwei schwer pubertierend, der Mann Sven ebenfalls brotloser Künstler, finanziell ständig am Limit, eine gekündigte Wohnung und eine gescheiterte Freundschaft mit ihrer langjährigen Freundesclique. Sie selbst schreibt an einem Buch – genau an diesem Buch, das ich gerade lese, wie mir scheint. Ein „generationsübergreifendes Überforderungsprojekt“, das Resi und Sven sehendes Auges angezettelt haben, mit dem Resi hadert und zu dem sie dennoch steht – selbst Schuld eben. Schon der erste Teil des Buchs vermittelt den Alltag dieser Mutter, ohne sich und uns Lesenden die Entscheidung zwischen Heulen und Lachen zu erlauben, denn es ist immer beides. Abends, wenn die letzten Schulbrote mit der ungesunden Erdnussbutter geschmiert sind, wird Resi in ihrem kleinen Kabuff – die Abstellkammer, wo sonst immer die Waschmaschinen stehen – genau über den Wahnsinn des Familienlebens schreiben und sich fragen, warum sie dieses Leben führt.
Es ist vor allem Hilflosigkeit und Wut, was Resi antreibt. Sie will ihren Kindern, vor allem ihrer vierzehnjährigen Ältesten Bea, schonungs- und illusionslos die Widersprüche ihres Lebens offenlegen, ihren permanenten Kampf gegen das Scheitern als Mutter und als Schriftstellerin nicht schönreden. Nicht wie ihre eigene Mutter alles verdrängen, was die Kinder hätte belasten können. Denn dadurch ging sie, unvorbereitet auf das Leben, in manche Falle.
Einmal Unterschichtkind, immer Unterschichtkind
Die größte Falle wirkt bis heute: Als Kind aus „einfachen Verhältnissen“, ist sie die erste in ihrer Familie, die Abitur machen kann und im Gymnasium mit den dort hingehörenden Kindern befreundet ist. Kinder von Anwälten, Ärzten und dem entsprechenden Lebensstandard, mit denen sie gemeinsam von Zusammenleben und Kinder großziehen träumt, wo soziale Unterschiede keine Rolle spielen sollen. Aber es ist und bleibt Illusion: Die Freundinnen und Freunde sind die Gewinner, sie und Sven die Verlierer. Die Clique gründet eine Baugruppe und alle haben das nötige Startkapital, bis auf Resi und Sven, und an dieser Nahtstelle bricht der soziale Unterschied für Resi auf. Nicht etwa dass die anderen sie direkt ausgrenzen – im Gegenteil bietet einer der Freunde ihr an, ihren finanziellen Anteil zu übernehmen – aber sie empfindet das als gönnerhafte Geste, um sein schlechtes Gewissen mit Wohltätigkeit zu betäuben, und lehnt ab. Statt dessen schreibt sie als Auftragsarbeit einen Artikel über die Baugruppe und darüber, wie auf subtile Weise alle anderen mit ihrer sozialen Klasse Frieden geschlossen haben und wie sich ihre gemeinsamen Ideale in den schicken glatten Oberflächen und begehbaren Wandschränken aufgelöst haben – das Gegenteil von dem, was sie vor langer Zeit vorhatten. Und alles, was nicht ins heile-Welt-Konzept passt, wird unter den Teppich gekehrt. Dass Resi dies ans Licht zerrt, verzeiht die Gruppe ihr nicht.
Mit feinem spitzen Stift
Der Roman hat mich sofort fasziniert, vor allem wegen der präzisen Sprache, mit der die Autorin die Beziehungen ihrer Figuren beschreibt, fern jeder schwarz-weiß-Optik. Sie braucht nichts Grobes und gerade durch den feinen Stift wird es besonders spitz. Aber es ist mir schwer gefallen, über das Buch zu schreiben. Der rote Faden der Geschichte ist ein Knäuel, so wie Resis ganzes Leben, mit Hin- Und Herblenden und ohne den Anspruch, alles zu entwirren. Dieser Roman ist eben, so sagt sie, das Gegenteil von „gut gebaut und elegant“.
Einige Rezensionen feiern den Roman als brillante Abrechnung mit der neuen deutschen ex-68er-Schickeria. Ja, stimmt, aber das finde ich zu kurz gegriffen. Resis Beobachtungen sind scharfzüngig und garstig, aber auch sich selbst gegenüber als Arme-Leute-Kind, das nichts geschenkt bekommt. Sie sieht sich keineswegs als die proletarische Heldin. Sie fragt sich, stimmt ihre schonungslose Abrechnung mit der falschen neuen Welt oder ist es nicht doch auch Neid auf die Erfolgreichen? Resis Lage als Loserin, wie sie sich ohne jedes Selbstmitleid sieht, wird nicht als Erfolgsstory verkauft, sondern ist Quälerei, Kampf um das eigene Selbstbewusstsein, die Unfähigkeit den Kindern ein Vorbild sein zu können, oft nahe an der Verzweiflung.
Mit dem Ende der Geschichte kommt eine neue Wendung, aber das müsst ihr selbst lesen. Es lohnt sich unbedingt.
Anke Stelling wurde 1971 geboren und hat verschiedene Romane veröffentlicht. Das Buch „Schäfchen im Trockenen“ hat 272 Seiten, ist 2018 im Verbrecher Verlag erschienen und kostet 22 €. Für den Roman gewann sie 2019 den Preis der Leipziger Buchmesse. Das Buch gibt es auch in der Bremer Stadtbibliothek.