bleiben wollen, gehen müssen

Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen.

Portrait Jenny Erpenbeck

Jenny Erpenbeck, Frankfurter Buchmesse 2012 (c) Lesekreis Wikimedia

Schon dieser Titel eines Buches, das sich mit Flucht, mit weiten Wegen und neuen Lebensphasen beschäftigt, ist genial. Und wer das Buch in die Hand genommen hat, wird sich ihm kaum mehr entziehen können. Dabei ist es ein sehr ruhiger Rhythmus, in dem der Roman beginnt: Richard, ein emeritierter Professor der Altertumskunde, fängt an, sein neues Leben zu gestalten und zu überdenken. Er lebt allein, nachdem seine Frau vor einigen Jahren starb und seine junge Geliebte ihn verlassen hat. Sein Blick gleitet über den See bei seinem Haus in Berlin – ein Mann ist hier ertrunken, wurde aber nie gefunden. Dieses und anderes Ertrinken durchzieht als Unterströmung den ganzen Roman. Weiterlesen

Jugendliebe – zart und traurig

Astrid Rosenfeld: Elsa ungeheuer

Buchcover mit bunten VögelnKarl ist acht und lebt mit Vater und Bruder Lorenz in der Oberpfalz, als Elsa in sein Leben tritt. Seine verrückte Mutter ist kurz zuvor vom Balkon gesprungen. Bevor das Leben der beiden Jungs wieder in normale Bahnen gelangt, wird das Dorf von sensationellen Nachrichten aufgewühlt: Mathilde, die schöne Gastwirtstochter vom Jagdhof gegenüber, erscheint nach zehn Jahren wieder auf der Bildfläche.  Über sie und ihre kleine Tochter sind wilde Geschichten im Umlauf, die auch Karl und Lorenz nicht unbeeindruckt lassen. Elsa ist elf, wild und unberechenbar, und Karl gerät bedingungslos in ihren Bann – ein Leben lang, wie sich erweisen wird.  Weiterlesen

Junge Frau auf schwankendem Boden

Olga Grajsnowa: Der Russe ist einer, der Birken liebt.

Buchcover

(c) Hanser Verlag

Die 20-jährige Mascha lebt in Frankfurt mit ihrem deutschen Freund Elias. Sie ist in Aserbeidschan geboren und (nicht-gläubige) Jüdin, ist mit den Eltern vor Progrom und Bürgerkrieg  geflohen, dolmetscht arabisch u. französisch, liebt Männer und Frauen; ihr Freund Cem und ihre ehemalige große Liebe Sami sind ebenfalls versprengte Menschen, die in Deutschland nie wirklich angekommen sind. Elias ist der erste Mann, der Mascha das Fuß fassen ermöglichen könnte. Fatalerweise stirbt er völlig unerwartet an einer Infektion.

Mascha verliert den ohnehin schwankenden Boden unter den Füßen. Weiterlesen

Eine mutige Künstlerin in Island

Kristin Marja Baldursdóttir: Die Eismalerin.

Ihr sucht noch eine spannende und zu Herzen gehende Urlaubslektüre? Hier ist sie!

Buchcover Die Eismalerin

(c) Fischer Verlage

Island Anfang des 20. Jahrhunderts: Die Witwe Steinunn zieht mit ihren sechs Kindern aus einem kleinen isländischen Fischerdorf in die Stadt Akureyri, denn alle Kinder – auch die Mädchen – sollen eine Schul- und Berufsausbildung bekommen. Trotz ihrer großen Armut schaffen es alle, indem sie hart arbeiten und zusammenhalten. Karitas, die Protagonistin des Romans, ist die zweitjüngste und ein besonderes Mädchen: sie hat ein großes Maltalent. Während die anderen Schwestern bodenständige Berufe wie Hauswirtschaft und Hebamme  erlernen, wird sie von einer reichen Bürgerin gefördert und bekommt sie  eine Kunstausbildung in Kopenhagen finanziert.

Nach ihrer Rückkehr stellt sie sich ein Leben als Malerin mit eigenem Atelier vor, doch diesen Ambitionen kommt ihr ein Mann in die Quere: der hübsche und männliche junge Fischer Sigmar… Weiterlesen

Doppelleben in Israel

Buchcover mit Landstraße

Cover (c) Kein & Aber Verlag

Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken.
Etan Grien ist Arzt in einem Krankenhaus irgendwo in einem Wüstenort in Israel. Sein Leben gerät jäh aus den Fugen, als er eines Nachts einen Mann umfährt, ihn sterbend liegen lässt und Fahrerflucht begeht. Er verschweigt den verstörenden Vorfall, um Familie – seine Frau Liat und seine beiden kleinen Söhne – und Karriere nicht zu gefährden. Doch am nächsten Tag steht eine junge Frau aus Eritrea vor der Tür mit seinem Portemonnaie in der Hand, das sie am Unfallort gefunden hat. Sirkit ist die Ehefrau des überfahrenen Mannes. Sie bestellt Etan in eine verlassene Autowerkstatt, wo er illegale Einwanderer behandeln soll. Da sie ihn in der Hand hat, muss er sich darauf einlassen und arbeitet jede Nacht heimlich in der improvisierten Krankenstation. Weiterlesen

Erwachsen werden in Nazi-Österreich

Robert Seethaler: Der Trafikant.

trafikant1937: Die Witwe Huchel schickt ihren 17jährigen Sohn Franz aus Oberösterreich  nach Wien zu ihrem alten Freund Otto Trsnjek, der dort einen Kiosk – eine „Trafik“ betreibt. Hier lernt Franz nicht nur Zeitung lesen, sondern trifft auf interessante Kunden, wie den „Deppendoktor“ Sigmund Freud, mit dem er über die Liebe und das  Leben ins Gespräch kommt. Der Junge hat nämlich Liebeskummer, denn seine erste Liebe Anezka arbeitet im Kabarett und lässt sich nur sporadisch auf ihn ein. Schließlich geht sie mit einem Nazi davon. Die allmähliche Nazifizierung Österreichs und die Judenverfolgung führen zur Verhaftung und Ermordung von Otto, so dass Franz die Trafik weiterführt, bis er selbst in die Hände der Gestapo gerät.

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Landleben unverklärt

Hansen, Dörthe: Altes Land.

Buchcover mit Rabe und Kirschen

Buchcover

 Vera ist ein Flüchtlingskind, das mit ihrer Mutter aus Pommern nach dem Krieg auf dem Obstbauernhof der Eckhoffs gestrandet ist. Sie bleibt mit dem kriegsgestörten Pflegevater Karl in dem düsteren alten Haus, nachdem ihre Mutter mit einem neuen Mann weggeht. Sie wird Zahnärztin, pflegt Karl bis zu seinem Tod, bleibt allein auf dem Hof und ein Fremdkörper zwischen den alteingesessenen Bauern. Ihre ungelebte Liebe Heinrich Lührs vom Hof nebenan ist das Gegenteil: verheiratet, drei Söhne, sein Haus, sein Garten und sein Leben tipp topp. Die beiden bleiben sich aber trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Krisenzeiten eine Stütze, z.B. als Karl und als Heinrichs Frau sterben.
Veras Nichte Anne, verhinderte Pianistin und Tischlerin, zieht mit dem kleinen Leon zu ihr auf den Hof, als ihr Mann eine Neue hat. Die beiden spröden Frauen kommen sich allmählich näher, sie verbindet ihre Einsamkeit und die Nachkriegsgeschichte der entwurzelten Familie.
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Aufräumen im Leben

Angelika Waldis, Aufräumen

waldis_aufraeumen_wpLuisa ist ungefähr 70, als sie beschließt, in ihrem Leben Ordnung zu schaffen. Damit meint sie aber nicht so ein bisschen Rumputzen, sondern Grundsätzliches: Sie will mit ihrem Mann Alfred, ihrem Schwiegersohn Roman und Doktor Hausammann aufräumen. „Dass es lauter Männer sind, ist Zufall. Es sind einfach drei, die ihr, Luisas, Leben verwüsten, das ist alles. Sie müssen weg. Erst wenn sie weg sind, wird sie Ruhe haben.“ So zufällig wirkt es aber nicht. Besonders Alfred, den sie ja nun aus nächster Nähe erlebt, wirkt wie ein typisches Mannsbild. Sie fährt nach Genua, wo Alfred jetzt lebt, in der Tasche hat sie alle Zutaten für den geplanten Mord. Weiterlesen

Verloren in Paris

Portrait Patrick Modiano

Patrick Modiano (c) Frankie Fouganthin, Wikipedia

Patrick Modiano:
Im Café der verlorenen Jugend
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, in unserem Blog nur Bücher vorzustellen, die mir selbst gefallen. Aber wo nach dem Literaturnobelpreis alle Welt von Modiano geredet hat, war ich natürlich neugierig  und habe daraufhin auch einen Roman von ihm gelesen. Und sage ich ein paar Takte darüber. Weiterlesen

Das Mädchen und der Tod – in Nazideutschland

Bücherstapel

(c) Schütte

Markus Zusak, Die Bücherdiebin.
Was für ein Buch! Der Ich-Erzähler ist der Tod und erzählt die Geschichte von einem Mädchen in Nazideutschland, das in Bücher vernarrt ist. Die kleine Liesel wird von der Mutter zu Pflegeeltern gebracht, erlebt auf dem Weg dorthin den Tod des kleinen Bruders und stiehlt dort ihr erstes Buch: das „Handbuch für Totengräber“. Weiterlesen