Archiv der Kategorie: Roman

Trost durch Vögel

Cover mit Vogel vor Landschaft

(c) S. Fischer Verlage

Norbert Scheuer, Die Sprache der Vögel

„Im vergangenen Jahr habe ich über 137 Vogelarten beobachtet, darunter 35 Erstsichtungen.“ Paul Arimond schreibt Tagebuch und lässt seine LeserInnen an seinen Beobachtungen teilhaben, er bildet sogar einen Teil in sogenannten „Kaffeeaquarellen“ ab, nennt die lateinischen Namen der Vögel und er legt ein Buch an, in dem er Vogelfedern dokumentiert. Er ist aber nicht als Ornithologe unterwegs, sondern 2003/2004 im Krieg in Afghanistan als Sanitäter. Weiterlesen

Liebe auf brüchigem Eis

Buchcover mit Paar und Wellen

(c) Verlag Kiepenheuer & Witsch

Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer

Liat stammt aus Tel Aviv, Chilmi aus Ramallah – aber sie wären sich dort, obwohl so nahe beieinander, nicht begegnet. Sie mussten um die halbe Welt, um sich zu treffen. In New York lernen sie sich kennen und verlieben sich Hals über Kopf, fliegen sozusagen auf- und ineinander. Er ist Maler, sie Übersetzerin, beide Mitte/Ende zwanzig. Mitten im eiskalten New Yorker Winter tauchen sie in ihre Liebe ein und sind einander für Wochen genug. Eine intensive Liebesgeschichte, die aber entscheidende Fallstricke aufweist. Eine Israelin und ein Palästinenser, das ist nur möglich um den Preis, den festgefahrenen politischen Hintergrund zwischen Israel und Palästina auszuklammern. Weiterlesen

Warschau / Holland

Cover in rot und orange

(c) Wallstein Verlag

Lot Vekemans, Ein Brautkleid aus Warschau

Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt: der von Marlena, der von Andries, der von Szymon. Das sind auch die wichtigsten Personen des Romans.

Marlena ist 25, sie lebt bei ihren Eltern, denen ein kleiner Hof eine Stunde von Warschau gehört. Sie verträgt sich nicht mit ihrer Mutter. Auf der Rückfahrt vom Besuch des Papstes trifft sie zufällig in einem Restaurant Natan, einen Amerikaner, der in Polen die Geschichte seiner im Holocaust ermordeten Familie rekonstruiert. Marlena verliebt sich unsterblich in Natan und er wohl auch in sie. Drei Monate sind sie zusammen, dann muss er zurück in die USA. Weiterlesen

Das Dorf als Abgrund

Abbildung des Kampfläufers

Buchcover (c) Luchterhand

Juli Zeh: Unterleuten

Ein Dorf im Brandenburgischen im Jahr 2010. Klein, nette alte Bauernhäuser, mit einer Handvoll Bewohnern, umgeben von viel Natur – das könnte eine Idylle sein. Diesen fatalen Irrblick treibt uns Juli Zeh ziemlich schnell aus. Schon die Tatsache, dass ihr neuer Roman 640 Seiten hat, lässt das erahnen – eine Idylle wäre auf ein paar banalen Seiten abgehandelt. Stattdessen führt sie uns Schritt für Schritt in die dörfliche Hölle, die sie mit messerscharfem Blick und spitzer Feder genüsslich seziert. Weiterlesen

Eine junge Frau gegen Rassismus

Buchcover mit Streifen

(c) Fischer Verlag

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

Ifemelu aus Nigeria, die in den 1990er Jahren in die USA ausgewandert ist, hat nach einigen Jahren beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren. Um diesen Beschluss und seine Ursachen im alltäglichen Rassismus in den USA dreht sich das Buch. In vielen Rückblenden erzählt Ifemelu ihre Lebensgeschichte, ihre Jugend in Nigerias unterer Mittelschicht, ihre erste und große Liebe zu Obinze und ihren Wunsch nach einem Leben ohne Armut. Denn in Nigeria lebt ihre Familie zwar nicht am Existenzminimum, aber die Verhältnisse und damit die Chancen auf eine Zukunft verschlechtern sich immer mehr, die Korruption nimmt zu und ohne Protektion und Beziehungen kommt niemand zu etwas. Weiterlesen

Wer bin ich?

Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit

Buchcover mit Liebespaar in Braun

(c) Diogenes Verlag

Jules ist der Erzähler. Seine glückliche Kindheit endet jäh, als er zehn Jahre alt ist und seine Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglücken. Bis dahin war er ein draufgängerisches Kind, jüngstes von drei Geschwistern, der extrovertierten Liz und dem Einzelgänger Marty. Die Kinder kommen in ein Internat, nicht in eins dieser schicken, sondern in ein ganz normales, und werden sofort getrennt. Jules ist unglücklich und er ist ein Träumer. „Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte, und dann ist es zu spät.“ Weiterlesen

Vietnam erobert den Prenzlauer Berg

Buchcover mit Bambusbrücke vor blauem Himmel

(c) C.H.Beck Verlag

Karin Kalisa: Sungs Laden

 Ein kleiner unscheinbarer Obst- und Gemüseladen am Prenzlauer Berg in Berlin wird zum Kristallisationspunkt für eine Bewegung, die den ganzen Stadtteil erfasst. Unmöglich?! Nicht bei Karin Kalisa.

Ihre Zutaten: Eine Grundschule in Berlin, die auf Anordnung von oben eine „Woche der Verständigung“ gestalten soll – ausgerechnet in der stressigen Vorweihnachtszeit; eine vietnamesische Familie, deren Mitglieder in der ehemaligen DDR als VertragsarbeiterInnen für das „Bruderland“ gearbeitet haben und geblieben sind; eine Großmutter, die eine schmerzliche Vergangenheit mit sich trägt. Weiterlesen

Kein home sweet home

bjerk_auerhausBjerg, Bov: Auerhaus

Sechs junge Leute gründen eine Land-WG und ziehen zusammen in ein altes Haus in ihrem Dorf. Klingt unspektakulär, ist aber ein Gebilde voller Abgründe. Alle haben mehr oder weniger gruselige Familienverhältnisse, wollen raus aus dem Dorfmief oder sich zumindest abgrenzen: Frieder, der versucht hat, sich umzubringen, sein Freund Höppner, der den „fiesen Freund meiner Mutter“, kurz „2F2M“ , satt hat; seine Freundin Vera, die ihn gern hat, aber nicht mit ihm schlafen will; Cäcilia aus gutem ödem Hause; Harry, der seinen Eltern nicht sagen kann, dass er schwul ist; Brandstifterin Pauline, die Frieder in der Psychiatrie kennengelernt hat. Alle wissen nur, was sie nicht wollen, aber das reicht nur knapp, um das Hier und Jetzt hinzukriegen. Sie leben also gemeinsam drauflos mit dem rührenden Charme von Jugendlichen, die ihren Sack voller Ideen und Hoffnungen zusammenkippen, die klauen, kiffen, trampen, sich grundlos am Küchentisch kaputtlachen, die allen möglichen Scheiß machen, zusammenhalten und davon träumen, dass diese Schwebe nie enden soll. Weiterlesen

Selbstbestimmt leben im Schatten von Tschernobyl

Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

Cover mit Birke und junger Frau

(c) Kiepenheuer & Witsch

Die Gegend um Tschernobyl ist eine „Todeszone“, in der niemand mehr wohnen soll – eigentlich. Baba Dunja sieht das anders. Die alte Frau ist in ihr Dorf Tschernowo zurückgekehrt, wohl wissend, dass sie und die Handvoll anderer Heimkehrer verstrahlt sind. Die Alternative, in der Kleinstadt Malyschi zu wohnen, kommt für sie nicht in Frage, denn „die grauen fünfstöckigen Häuser aus der Chruschtschow-Zeit haben löchrige Rohre und schimmelnde Pappwände“. In Tschernowo hingegen bewohnt Dunja wieder ihr altes Häuschen, in ihrem Garten gedeihen die Tomaten und Gurken, Himbeeren und Äpfel wie zuvor.

Sie hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst, sagt Baba Dunja über sich in dem Monolog, den sie mit sich führt und der dieses Buch mit einer ruhigen nachdenklichen Sprache füllt. Weiterlesen

Kleinfamilie on the Road

Toews_Trautmans

Buchcover

Miriam Toews: Die fliegenden Trautmans.
Hattie ist mit Anfang 20 nach Paris geflohen, weg aus einer kanadischen Kleinstadt und weg von ihrer etwas verrückten Familie. Aber dann kommt ein Anruf ihrer kleinen Nichte Thebes, dass deren Mutter wieder einmal vom psychischen Absturz bedroht ist. Thebes´Bruder Logan ist aus der Schule geflogen – kurz: nur Hattie kann versuchen, die Lage in den Griff zu kriegen. Sie fliegt nach Hause, bringt die schwer depressive Min in eine Klinik und beschließt, mit den Kindern deren Vater Cherkis zu suchen, der schon vor Jahren abgehauen ist, weil Mins Krankheit die Beziehung ruiniert hat. Thebes ist 11 und blitzgescheit, redet ununterbrochen und hat eine blühende Fantasie. Logan ist 15 und einsilbig, zieht sich wann immer möglich in seinen Kapuzenpulli zurück oder trainiert Basketball. Diese ungleiche Dreier-Combo macht sich in einem klapprigen alten Van auf den weiten Weg nach South Dakota… Weiterlesen