Freiwillig gefangen

 

Buchcover mit Frau und Mann in blauem Overall

(c) Berlin Verlag

Margaret Atwood, Das Herz kommt zuletzt

Charmaine und Stan sind noch nicht lange verheiratet, sie sind ein typisches Paar der amerikanischen unteren Mittelschicht. Sie hat es gern sauber und liebt Blümchenmuster, er gebraucht schon mal einen Kraftausdruck, fühlt sich von „den Reichen“ übervorteilt und hält den Mund. Gerade haben sie begonnen, sich eine Existenz aufzubauen, da geraten sie in eine Wirtschaftskrise, die viel Ähnlichkeit mit der Finanzkrise hat. Sie verlieren ihr Häuschen, das sie durch harte Schufterei abbezahlen, und ziehen in ihr Auto um, immer in Angst vor Vandalen. Charmaine hat einen kleinen Job in einer schäbigen Bar, dort sieht sie die Werbung für die Stadt Consilience mit dem „Positron-Projekt“. Weiterlesen

Heiratsmarkt auf kaukasisch

Zwei Frauen mit Kopftuch schauen auf Frau im Bikini am StrandGanijewa, Alissa: Eine Liebe im Kaukasus

Patja lebt in Dagestan, ist „schon“ 25 und immer noch nicht verheiratet. In der Siedlung, in der ihre Eltern leben, drängen sie alle, sich endlich einen Mann zu suchen: Freundinnen, Nachbarinnen und natürlich ihre Mutter. Nicht anders ergeht es Marat, einem jungen Anwalt in Moskau und ebenfalls aus der Siedlung stammend: Seine Mutter hat eine Liste von Kandidatinnen erstellt, die abgearbeitet werden muss – denn die Eltern haben eigenmächtig schon einen Hochzeitssaal gemietet. Bis die beiden sich über den Weg laufen, wird noch einige Zeit in der Geschichte vergehen. Weiterlesen

Von Bienen und Menschen

Buchcover mit toter Biene

(c) btb

Lunde, Maja: Die Geschichte der Bienen

England 1852, Ohio, USA 2007, China 2098 – das sind die Schauplätze dieses Romans. Und, wie der Titel naheliegt, geht es in jedem dieser Teile um Bienen und die Menschen, die ohne sie nicht leben können.

Im England des 19 Jahrhunderts versucht William seine enttäuschten wissenschaftlichen Ambitionen zu überwinden. Sein Mentor hat sich auf gehässige Weise von ihm zurückgezogen, er muss seine umfangreiche Familie mit sieben Töchtern und dem schwierigen Sohn Edmund mittels eines Ladens ernähren, seine Ehe mit Thilda ist frustrierend. Einer tiefen Depression entkommt er durch ein Buch über Bienen, das ihn mit neuem wissenschaftlichem Eifer erfüllt. Er will eine neuartige Bienenbehausung konstruieren, die das Arbeiten mit Bienenvölkern einfacher macht. Weiterlesen

Dem Leben ins Herz geguckt

Buchcover in Grautönen

(c) Luchterhand Verlag

Terézia Mora, Die Liebe unter Aliens
Als Terézia Mora in diesem Winter den Bremer Literaturpreis bekam und ich ihre Dankesrede hörte, war ich hingerissen. Statt dieser doch oft etwas abgenutzten artigen Worte las sie – eine Geschichte vor! In der ging es unter anderem um das nicht gerade einfache Leben einer Frau zwischen Schriftstellerin mit klammen Mitteln und gestresster Mutter einer Halbwüchsigen. Das Unverblümte, Ungeglättete und Ehrliche daran gefiel mir auf Anhieb. Wie sie zum Beispiel klarmachte, dass ein solcher Preis auch wegen des Preisgeldes etwas sehr Erstrebenswertes ist.

Also klar: von der wollte ich mehr lesen. Als erstes nahm ich mir „Das Ungeheuer“ vor, der Roman, mit dem Mora 2013 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Zugegeben: mit diesem Roman kam ich erst mal überhaupt nicht zurecht und brachte ihn nach den ersten 50 Seiten Ratlosigkeit zurück in die Bibliothek. Dann also der von der Bremer Jury erwählte Band „Die Liebe unter Aliens“. Weiterlesen

Trost durch Vögel

Cover mit Vogel vor Landschaft

(c) S. Fischer Verlage

Norbert Scheuer, Die Sprache der Vögel

„Im vergangenen Jahr habe ich über 137 Vogelarten beobachtet, darunter 35 Erstsichtungen.“ Paul Arimond schreibt Tagebuch und lässt seine LeserInnen an seinen Beobachtungen teilhaben, er bildet sogar einen Teil in sogenannten „Kaffeeaquarellen“ ab, nennt die lateinischen Namen der Vögel und er legt ein Buch an, in dem er Vogelfedern dokumentiert. Er ist aber nicht als Ornithologe unterwegs, sondern 2003/2004 im Krieg in Afghanistan als Sanitäter. Weiterlesen

Liebe auf brüchigem Eis

Buchcover mit Paar und Wellen

(c) Verlag Kiepenheuer & Witsch

Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer

Liat stammt aus Tel Aviv, Chilmi aus Ramallah – aber sie wären sich dort, obwohl so nahe beieinander, nicht begegnet. Sie mussten um die halbe Welt, um sich zu treffen. In New York lernen sie sich kennen und verlieben sich Hals über Kopf, fliegen sozusagen auf- und ineinander. Er ist Maler, sie Übersetzerin, beide Mitte/Ende zwanzig. Mitten im eiskalten New Yorker Winter tauchen sie in ihre Liebe ein und sind einander für Wochen genug. Eine intensive Liebesgeschichte, die aber entscheidende Fallstricke aufweist. Eine Israelin und ein Palästinenser, das ist nur möglich um den Preis, den festgefahrenen politischen Hintergrund zwischen Israel und Palästina auszuklammern. Weiterlesen

Warschau / Holland

Cover in rot und orange

(c) Wallstein Verlag

Lot Vekemans, Ein Brautkleid aus Warschau

Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt: der von Marlena, der von Andries, der von Szymon. Das sind auch die wichtigsten Personen des Romans.

Marlena ist 25, sie lebt bei ihren Eltern, denen ein kleiner Hof eine Stunde von Warschau gehört. Sie verträgt sich nicht mit ihrer Mutter. Auf der Rückfahrt vom Besuch des Papstes trifft sie zufällig in einem Restaurant Natan, einen Amerikaner, der in Polen die Geschichte seiner im Holocaust ermordeten Familie rekonstruiert. Marlena verliebt sich unsterblich in Natan und er wohl auch in sie. Drei Monate sind sie zusammen, dann muss er zurück in die USA. Weiterlesen

Das Dorf als Abgrund

Abbildung des Kampfläufers

Buchcover (c) Luchterhand

Juli Zeh: Unterleuten

Ein Dorf im Brandenburgischen im Jahr 2010. Klein, nette alte Bauernhäuser, mit einer Handvoll Bewohnern, umgeben von viel Natur – das könnte eine Idylle sein. Diesen fatalen Irrblick treibt uns Juli Zeh ziemlich schnell aus. Schon die Tatsache, dass ihr neuer Roman 640 Seiten hat, lässt das erahnen – eine Idylle wäre auf ein paar banalen Seiten abgehandelt. Stattdessen führt sie uns Schritt für Schritt in die dörfliche Hölle, die sie mit messerscharfem Blick und spitzer Feder genüsslich seziert. Weiterlesen

Eine junge Frau gegen Rassismus

Buchcover mit Streifen

(c) Fischer Verlag

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

Ifemelu aus Nigeria, die in den 1990er Jahren in die USA ausgewandert ist, hat nach einigen Jahren beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren. Um diesen Beschluss und seine Ursachen im alltäglichen Rassismus in den USA dreht sich das Buch. In vielen Rückblenden erzählt Ifemelu ihre Lebensgeschichte, ihre Jugend in Nigerias unterer Mittelschicht, ihre erste und große Liebe zu Obinze und ihren Wunsch nach einem Leben ohne Armut. Denn in Nigeria lebt ihre Familie zwar nicht am Existenzminimum, aber die Verhältnisse und damit die Chancen auf eine Zukunft verschlechtern sich immer mehr, die Korruption nimmt zu und ohne Protektion und Beziehungen kommt niemand zu etwas. Weiterlesen

Wer bin ich?

Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit

Buchcover mit Liebespaar in Braun

(c) Diogenes Verlag

Jules ist der Erzähler. Seine glückliche Kindheit endet jäh, als er zehn Jahre alt ist und seine Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglücken. Bis dahin war er ein draufgängerisches Kind, jüngstes von drei Geschwistern, der extrovertierten Liz und dem Einzelgänger Marty. Die Kinder kommen in ein Internat, nicht in eins dieser schicken, sondern in ein ganz normales, und werden sofort getrennt. Jules ist unglücklich und er ist ein Träumer. „Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte, und dann ist es zu spät.“ Weiterlesen