“Ich entschied, dass es nichts mit der Struktur einer Familie zu tun hatte, ob sie gesund oder kaputt war. Eine kaputte Familie ist eine Familie, in der jedes Mitglied sich selbst zerstören muss, um ins System zu passen. Eine gesunde Familie ist eine Familie, in der jedes Mitglied sich so an den Tisch setzen darf, wie es ist, in dem Wissen, dass es dort immer geborgen und gleichzeitig frei sein wird.” – Ungezähmt, Glennon Doyle, 2020
Beim Lesen dieses Absatzes mussten wir erst mal innehalten und nachdenken. Wie funktionieren die einzelnen Personen im System Familie? Aus Sicht der Autorin sollte jede Person so sein wie sie ist. Und doch gibt es in der Realität stereotype Rollen, wie zum Beispiel den “Familienvater”.
Familienväter
und (Familien-)Mütter
Wieso ist in den Medien immer wieder von “Familienvätern” die Rede, nicht aber von “Familienmüttern”? Was ist überhaupt ein “Familienvater”? Werfen wir einen Blick auf die Wortbedeutung. Laut Duden handelt es sich um einen “Vater, besonders im Hinblick auf die Fürsorge für seine Familie”. Der Begriff taucht häufig in Verbindung mit Worten wie Ehemann, brav und vorführen auf. Das Wort “Familienmutter” gibt es auch. Es bedeutet analog “Mutter, besonders im Hinblick auf die Fürsorge für ihre Familie”, wird im Alltag jedoch kaum verwendet.
Ein fürsorglicher Vater?
Häufig wird also von einem “Familienvater” statt nur Vater gesprochen, wo jedoch alle nur Mutter statt “Familienmutter” sagen. Der Grund dafür steckt in dem, was über die offizielle Bedeutung hinweg in Begriffen mitschwingt. Das Wort Mutter allein wird meist sofort mit Fürsorglichkeit verbunden, “Vater” jedoch nicht, daher der Zusatz. Das zeigt, welche Geschlechterrollen wir dabei eigentlich im Kopf haben.
Vater, Mutter Kind?
Darüber hinaus werden oft heteronormative Stereotype bedient, wenn wir von “Familienvätern” sprechen. Dabei kommen viele Familien gut ohne Vater aus und nicht alle Väter haben eine Familie, in anderen Familien gibt es mehrere Väter. Die Welt ist bunter, als solche Begriffe suggerieren, brauchen wir sie dann noch?
Die Vater-Rolle heute, modern oder urzeitlich?
Wir können heute beobachten, erleben und auch mitgestalten, ob sich die Vaterrolle ändert – oder eben nicht. Habt ihr schon mal überlegt, was ihr mit dem Begriff “Familienvater” verbindet? Dazu wollen wir einige Menschen aus unserem Alltag zu Wort kommen lassen, zwei davon sind selbst Eltern:
Was verbindest du mit dem Begriff „Familienvater“?
“Der Begriff ‘Familienvater’ widerspricht für mich jeder feministischen Ansicht. Er kommt für mich aus den 50-er und 60ern, verbunden mit einer Hierarchie: Oben steht der ‘Familienvater’ und hat die Kinder unter sich. Er bringt das Geld ran, versorgt die Familie. Die Mutterrolle ist die ‘Kümmerin’ wie in den alten Dr. Oetker-Werbungen. Heute wird der Begriff in den Nachrichten meist nur dann verwendet, wenn etwa ein Mann seine Familie ermordet hat und um darzustellen, wie schlimm dies ist, fast als Rechtfertigung.” – M. (32)
“Der Familienvater ist in der Generation meiner Eltern häufig eine Person gewesen, die stark von den gesellschaftlichen männlichen Vorstellungen in der Nachkriegszeit geprägt worden ist. Gefühle und Schwäche zu zeigen, sind dieser Person fremd. Sie verkörpert die Rolle des ‘Geldnachhausebringers‘, welche, damit verbunden, inhärent über eine Autorität verfügt.” – B. (27)
“Ich glaube, dass ich mit dem Begriff Familienvater eigentlich nichts Besonderes assoziiere. Mit Vater und Mutter, also Eltern im Allgemeinen, verbinde ich eigentlich immer Schutz, behütet sein und Geborgenheit.” – F. (29)
Wie denkst du, sollte ein Familienvater sein?
“Ein moderner Vater kümmert sich genauso um die Kinder wie die Frau und sorgt dafür, dass er auch den mental note mitträgt, also er denkt mit und packt zum Beispiel selbst die Sonnencreme ein. Der ‘moderne Familienvater’ nimmt sich Elternzeit. Und zwar mehr als 3 Monate und nicht um nach Thailand zu fliegen. Sondern auch um zum Beispiel das Kind in der Krippe einzugewöhnen. Jetzt sind Mann und Frau auf einer Ebene und beide haben die Verbindung zu den Kindern, das ist jedenfalls der Wunsch.” – M. (32)
“Eltern sind für mich mit den Idealen der bedingungslosen Liebe und Fürsorge verbunden. Sie sehen Familie als schützenswertes Refugium an, in der ein Kind auf die Welt vorbereitet wird. Sie erklären Zusammenhänge und versuchen mit Geduld auf Fragen einzugehen sowie in Hinblick auf die Bedürfnisse ihrer Kinder aufmerksam zu sein.” B. (27)
“Ich finde es schwierig, diese Frage zu beantworten. Ich glaube nicht, dass es eine Vorlage gibt, welche Rolle ein Mensch in einer Familie haben sollte. Und ich glaube auch, dass das nicht konstruktiv wäre für ein gutes Familien-Zusammenleben. Ich denke, wenn es an die Väter dieser Welt geht, dann sollte jeder Mensch derjenige sein, den sein Kind gerade braucht. Und das ist immer sehr unterschiedlich, je nachdem in welchem Lebensabschnitt das Kind sich gerade befindet. Das sind dynamische Elemente und keine statischen Eigenschaften” – F. (29)
In welchen Bereichen deines Lebens hat eine Person die Rolle eines Familienvaters eingenommen? Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
“Mein eigener Vater hat in einigen Aspekten die Rolle des klassischen ‘Familienvaters’ übernommen. Man hat manchmal schon ein bisschen gemerkt, dass er teils das Oberhaupt der Familie war. Nicht so stark, weil ich auch aus der DDR komme und das Familienbild ein anderes als im Westen war, Kinder kamen auch mit 1 Jahr schon in die Krippe, anders als heute in Bremen, Frauen gingen dann schnell wieder arbeiten. Entweder ganz oder gar nicht.” – M. (32)
“Ein starkes Männerbild, das den Fels in der Brandung darstellt und schützt, kann etwas Gutes sein. Diese Stärke zeigt sich aber u.A. dadurch, dass Gefühle erklärt und sie im Miteinander zugelassen werden. Den Willen, für seine Kinder an sich zu arbeiten, habe ich leider zu spät als Qualität meines Vaters schätzen gelernt.” – B. (27)
“Vater- oder Mutterfiguren, das stelle ich jetzt extra gleich hier, haben für mich häufig etwas damit zu tun, dass sie einen Rahmen geben, ein bisschen Führung, wie so Leitlinien, in denen man sich bewegen kann. Menschen, die einem Tipps geben. Und ich glaube, dass diese Rollen vielfältig sind und von allen möglichen Personen eingenommen werden können. Das konnte mein Lehrer sein, wenn er mir mal gesagt hat, dass ich etwas machen muss. Auch das war eine Leitlinie” – F. (29)
Was sind eure Antworten auf diese Fragen? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!
Gottfried Lehrter & CK
Sabine Herbst meint
Mich ärgert der Begriff „Familienvater“, weil ich damit archaische Herrschaftsansprüche verbinde, die sich in Richtung „Familienoberhaupt“ bewegen! „Mutter“ erfährt hierbei eher die übliche untergeordnete Vorstellung von emotionaler Versorgerin und „Wogenglätterin“, und zwar die Wogen, die der „Familienvater“ mit seinem Anspruch auf Macht(worte) schlägt. Und: Auch, wenn auf dem Papier „Familienmutter“ existiert: ich kenne keine Texte aus den Medien, in denen davon die Rede ist!
Daher würde ich es begrüßen, den Begriff „Familienvater“ abzuschaffen! „Vater“ reicht doch wohl als Verwandtschaftsbezeichnung! Das wäre doch tatsächlich mal Gleichberechtigung!