Mit der Gründung der DDR begann eine Zeit, die von staatlicher Kontrolle geprägt war. Die SED wollte für Gleichheit aller Bürger sorgen, doch das nicht nur in wirtschaftlichen und politischen Bereichen, sondern auch im Privaten. Die Lebens- und Freizeitgestaltung wurde dadurch erheblich beeinflusst. Aber was war mit denen, die ihr Leben nicht durch die sozialistischen Vorgaben einschränken wollten? Antworten darauf gelangen durch Forschungen der Universität Ulm in den letzten Jahren immer mehr an die Öffentlichkeit. Dabei geht es um gezielte Disziplinierung von Frauen, deren Verhalten nicht der sozialistischen Norm entsprach. Der Medizinhistoriker Professor Florian Steger und sein Forschungsteam lieferten die wissenschaftlichen Daten, die bestätigen, dass tausende Frauen zwischen 1961 und 1989 in venerologischen Stationen, auch Tripperburgen, zwangseingewiesen wurden und physische, sowie psychische Gewalt erlebten. Immer mehr Frauen trauen sich jetzt öffentlich über das Erlebte zu sprechen.
Der Weg in die Tripperburg
Frauen, die in die Tripperburgen gebracht wurden, waren von Nachbarn, Kollegen oder sogar Familienmitgliedern gemeldet worden, weil sie viel
ausgingen oder in wechselnder Begleitung von Männern waren. Andere Frauen wurden von der Polizei aufgegriffen, wenn sie sich zu ungewöhnlichen Zeiten an Bahnhöfen aufhielten. Manchmal durchsuchte die Polizei Wohnungen in Problemvierteln. Frauen, die sie hier fanden, wurden sofort mitgenommen. Freunden und Angehörigen sagte niemand, wohin die Frauen plötzlich verschwunden waren. Die festgenommenen Frauen erhielten die Auskunft, sie müssten sich wegen einer Geschlechtserkrankung stationär behandeln lassen. Und das, ohne vorangegangene ärztliche Untersuchung.
Tägliche Demütigung und Misshandlung
Mit der Ankunft auf der venerologischen Station, schnitt das Pflegepersonal den Frauen ihre Haare ab, mit Desinfektionsmitteln und harten Bürsten mussten sie sich waschen lassen. Ein Opfer berichtete, dass man sie schlug, als sie sich weigerte, sich rasieren zu lassen. Alle Frauen erhielten die gleiche Kleidung, vor den Fenstern waren Gitter, die Türen wurden verschlossen. Doch der Terror begann für die Frauen mit den gynäkologischen Untersuchungen, die sie täglich eine halbe Stunde über sich ergehen lassen mussten. Diese Behandlungen waren weder professionell, noch wurden sie behutsam durchgeführt. Eine Frau, die im Alter von 22 Jahren zwangseingewiesen wurde, berichtet Jahre später von einem alten Mann, der sie lange und schmerzhaft untersuchte. Als sie den Behandlungsraum verlassen durfte, lief ihr das Blut an den Beinen herunter.
Vier bis sechs Wochen wurden die Frauen in den DDR-Tripperburgen festgehalten. Das Durchschnittsalter lag bei gerade einmal 22 Jahren, die Jüngsten waren 12 Jahre alt, die Ältesten 72. Jeden Tag mussten sie sich von einem Arzt gynäkologisch untersuchen lassen, aus medizinischer Sicht vollkommen unangebracht. Eine Medikamentengabe und einmalige Kontrolle wären ausreichend gewesen. Hinzu kommt, dass heute festgestellt werden konnte, dass lediglich ein Viertel der Frauen wirklich an einer Erkrankung litt.
„Das ist etwas, was vom Gesundheitsministerium gewollt wurde und von der Staatssicherheit kontrolliert wurde“, sagt der Medizinhistoriker Professor Florian Steger.
50.000 Opfer vermutet
Zehn Tripperburgen hat es von 1961 bis 1989 in der DDR gegeben, darunter die Städte: Berlin, Dresden, Leipzig, Rostock, Erfurt, Schwerin, Gera, Halle an der Saale und Frankfurt an der Oder. Während seiner Forschung ermittelte Professor Steger eine geschätzte Zahl von 5.000 Frauen, die auf der venerologischen Station der Poliklinik in Halle an der Saale festgehalten und diszipliniert wurden. Daraus schließe sich die Vermutung von 50.000 Frauen, die dem sozialistischen Disziplinierungssystem der DDR zum Opfer gefallen sind. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit, mit der heute tausende Frauen versteckt in Deutschland leben, begann erst in den letzten Jahren.
Wer kümmert sich um die Frauen aus den Tripperburgen?
Die Frauen, die die sexualisierte Gewalt in den Tripperburgen erleben mussten, kämpfen bis heute mit den physischen und psychischen Folgen. Die Wenigen von ihnen, die den Mut aufbringen, über die Misshandlungen zu reden und zu klagen, erhalten lediglich 307 Euro Entschädigung pro Haftmonat. Auf Nachfragen des ZDFs wiesen das Justizministerium, sowie die Ministerien für Gesundheit, Frauen und Arbeit und die Bundesbeauftragte für SED-Unrecht die Verantwortung von sich. Florian Steger macht in einem Interview deutlich, dass er von der neuen Regierung erwartet, dass sie sich um die Frauen aus den DDR-Tripperburgen kümmert: „Aus meiner Sicht sind wir, ganz klar, diesen Frauen das schuldig. Und wir stehen in der Verantwortung, wenn wir die SED-Diktatur aufarbeiten.“
Svenja Böttjer
ZDF-Sendung Gequält und gedemütigt – Frauen in DDR-„Tripperburgen“
B. meint
Hallo ich bin Babs – nach 47 Jahren bricht es aus mir heraus. ich würde so gerne Kontakt mit jemandem habne der 1977/78 in Halle war. ich kann immer noch nicht zu männl. Ärzten und Therapeuten gehen. Ich habe allgemein Angst vor Krankenhaus ect. – was zur Folge hat das ich so selten wie möglich zur hausärzttin gehe. Aber sie hat mir jetzt geholfen zu einer Psyschologischen Sprechstunde zu gehen. Es ist nioch alles ganz frisch. Mein Problem das ich nicht eine Unterlage habe und mein SV -Ausweis zu DDR Zeiten umgetauscht wurde. Mein Aufenthalt ist dort nirgends festgehalten. Wie kann ich Gerechtigkeit erhalten? Lg. babs
redaktion meint
Hallo Babs, du könntest dich an Birgit Neumann-Becker, die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, über https://aufarbeitung.sachsen-anhalt.de/ wenden. Wir wünschen dir viel Kraft und alles Gute!
Deine Redaktion der frauenseiten
Anna meint
Das Landesverwaltungsamt Halle /Saale,damals Regierungspräsidium,weiß seit 2002 davon und hat nichts gemacht.
Es stimmt so nicht das Frauen sich erst jetzt melden.
Ulrike Hauffe meint
Ich habe mir gerade den zugehörigen Film in der ZDF-mediathek angeschaut. Schrecklich! Was mich aber auch entsetzt ist, dass der Film schon am 21. November 2017 in frontal 21 gezeigt wurde und – hat irgendjemand von euch eine öffentlich hör- oder sichtbare Reaktion erlebt? Das kann nicht nur an mir gelegen haben. Ich bekomme viel mit.
Jule meint
Wow…es macht mich sehr betroffen, dass ich noch nie irgendetwas in der Richtung vorher gehört hatte- obwohl ich in Rostock, in einer Familie aus ehemaligen DDR-Bürger*innen, aufgewachsen bin! Das macht zudem mal wieder deutlich, dass in den Schulen, auch in den neuen Bundesländern, viel zu wenig über diese Zeitperiode unterrichtet wird…
Danke für diesen Artikel, ich werde mir auf jeden Fall auch die Sendung anschauen!