Das ungute Gefühl, nachts alleine unterwegs zu sein, und die Angst vor Überfällen dürfte vielen Frauen bekannt sein. Interessiert hat das rechte Bewegungen und Parteien bis vor wenigen Jahren nicht. Vielmehr gab es aus rechten und konservativen Kreisen Stimmen, die Frauen eine Teilschuld gaben, wenn sie sexualisierte Gewalt erfahren mussten. Das eigene Verhalten oder eine „provozierende Kleidung“ galten oft, wenn nicht als Auslöser sodoch zumindest als begünstigender Faktor. Diese Angst und die erstarkende Debatte rund um #MeToo ist für die Rechte zum willkommenen Einfalltor der eigenen Agenda geworden. Spätestens seit der immer wieder zitierten Silvesternacht 2015 in Köln ist der Rechten klar, wer Schuld hat an der (nun berechtigten) Angst der Frauen. Es sind Geflüchtete, und es ist die Bundesregierung, deren Politik den Zuzug erst möglich machte.
Nur kurze Zeit später, im Januar 2016, zeigte sich Pegida-Gründer Lutz Bachmann das erste mal in einem „Rapefugees“-Shirt, das stark stilisiert eine Frau zeigte, die vor drei messerschwingenden Männern flieht. Seit die Geflüchteten im Land sind, so das Credo von Rechts, ist es vorbei mit dem unbeschwerten Leben in Deutschland. Man wird nicht müde, dieses Bild zu verbreiten und damit verbundene Ängste zu schüren und zu festigen. Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf weißen europäischen Frauen, die Gewalt durch nicht-deutsche Männer erfahren.
„Kandel ist überall“
Eine in den letzten Monaten besonders aktive Initiative agiert unter dem Namen „Kandel ist überall“. Kandel ist eine Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, in der im Dezember 2017 eine 15jährige von ihrem Ex-Freund erstochen wurde. Weil die Herkunft des Mannes, ins Feindbild der Rechten passt, demonstriert nun jeden Monat ein „Frauenbündnis“ in der Stadt. Bei der Bewerbung der ersten Demonstration erweckte das Bündnis den Eindruck, aus verängstigten Frauen zu bestehen, die sich für ihre eigene Sicherheit engagieren wollen. Doch schon die erste Veranstaltung besuchten vornehmlich Rechte aus der Umgebung, die die aufgeheizte Stimmung für ihre Propaganda nutzten. Anmelder der Frauenbündnis-Demos war übrigens keine Frau sondern Marco Kurz, sonst unter anderem aktiv bei AntiAntifa Dresden und Pegida.
Ängste schüren und ausnutzen
Der von der Gruppe oft genutzte Slogan „Morgen bist du Kandel“ schürt Ängste und weckt den Eindruck, dass jede Frau an jedem Ort das nächste Opfer sein könnte. Wie man das verhindert? Laut dem Frauenbündnis mit sicheren Grenzen und deutschen Werten. Im „Manifest von Kandel“ wird als erste Forderung „Die unverzügliche und wirksame Sicherung der deutschen Staatsgrenze“ benannt. Es folgen neun weitere Punkte, um Frauenrechte geht es in keinem davon. Dafür unter anderem um die Rücknahme des Netzwerkdurchsuchungsgesetz – eine thematisch völlig abwegige Forderung.
Auch gestern wieder dienstägliche Anti-AfD-Aktion. Diesmal knapp unter 20 AfD-Hansels VS. wieder so 200 Leute mit ner bunten Gegenkundgebung bei schönstem Sonnenschein. See you next Tuesday! #noAfD #Bremen pic.twitter.com/ERPeIFa7EY
— Kai Wargalla (@KaiWargalla) April 11, 2018
Das Bündnis organisiert und unterstützt mittlerweile bundesweit Demonstrationen, mehrfach auch in Bremen, wo bisher allerdings nur wenige Demonstrant*innen den Weg zur von AfD-Mitgliedern organisierten Kundgebung fanden. Der Widerstand gegen die Demonstrationen, die Teilnehmer*innen hauptsächlich dazu nutzen, Parolen gegen Zuwanderung zu skandieren, ist fast überall erheblich. Mittlerweile arbeitet „Kandel ist überall“ zusammen mit einem Verein namens Bürgerwille e.V., der sich als „Verein für Verfassungstreue“ bezeichnet und gerne Spenden für das Bündnis annimmt. Laut Vereinsregister teilt der Verein sich eine Anschrift mit einer Kommunikationsagentur, die von der ehemaligen Vize-Chefin der rheinland-pfälzischen AfD Christiane Christen betrieben wird.
Rassismus als vermeintlicher Feminismus
Eine bisher vor allem online aktive Bewegung geht auf die Initiative des österreichischen Rechtsaußen Martin Sellner zurück und agiert unter dem Namen #120db. 120 Dezibel ist die Lautstärke eines Taschenalarms den, so suggeriert das Video zur Kampagne, jede Frau mittlerweile bei sich trägt. Denn die Gefahr lauert überall – an der Bushaltestelle, auf dem Heimweg, abends im Park. Joggen ist zum gefährlichsten Sport für die (weiße) europäische Frau geworden. Das Video baut auf drei Fällen auf, in denen weiße Frauen von Männern vergewaltigt und getötet wurden, die als Geflüchtete in Europa waren. Von Klaviermusik unterlegt wird ein Angstszenario aufgebaut und zu Wachsamkeit aufgerufen: morgen kann es dich treffen!
Die Schuldigen hat auch diese Kampagne schon ausgemacht. Es sind die Politiker*innen, die von Frauenrechten und Emanzipation reden, dann aber die Grenzen nicht sichern und die Frauen auf dem Altar der Toleranz opfern. Die „Töchter Europas“, wie sich die Frauen im Video nennen, wollen sich jetzt endlich wehren und Gesicht zeigen. Wer sie dabei finanziell unterstützen will, kann Geld auf ein Konto überweisen, das der Identitären Bewegung gehört, die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auf der dazugehörigen Twitter-Seite postet die Initiative unermüdlich und ausschließlich Meldungen von Straftaten, die nicht Deutsche verübten. Taten die, und das ist ein ganz wesentlicher und wohlweislich ausgeblendeter Faktor der Debatte, angezeigt wurden. Die Bereitschaft, Mitglieder anderer sozialer Gruppen oder Ethnien anzuzeigen, ist bei den meisten Menschen deutlich höher, als in Fällen, bei denen die Täter*innen aus einem ähnlichen oder gar dem eigenen sozialen Umfeld stammen.
Hetze statt Solidarität
Bezeichnend für diese und ähnliche Aktionen aus dem rechten Umfeld ist eine äußerst einseitige Definition von Opfern und Tätern. Als Opfer von Sexualstraftaten finden nur weiße Frauen Berücksichtigung, als Täter nur nicht-deutsche Männer. Dass auch jede andere Bevölkerungsgruppe sexualisierter Gewalt ausgesetzt ist, wird komplett ausgeblendet, ebenso die Tatsache, dass viele Täter*innen nicht aus dem Ausland stammen. Die Forderungen zielen nicht auf eine strukturelle Bekämpfung der rape culture ab oder auch nur auf die Stärkung von Frauenrechten im Allgemeinen. Wie im „Manifest von Kandel“ deutlich wird, geht es um den Schutz der europäischen Grenzen und um Stimmungsmache gegen (männliche) People of Colour in Deutschland.
Auch die oft involvierte AfD sieht Feminismus nicht als Fortschritt oder Bereicherung sondern als Bedrohung erhaltenswerter Strukturen. Frauen kommen im Parteiprogramm nur vor, wo es um das Bekenntnis zum traditionellen Familienbild geht. Die vorgebliche Solidarität mit Opfern sexualisierter Gewalt ist für Rechte eine Möglichkeit ihre rassistische, nationalistische und menschenverachtende Ideologie zu verbreiten. Im ersten Moment ist die bürgerlich besorgte Fassade oft nur schwer zu durchschauen. Umso wichtiger ist, den eigenen Blick dafür zu schärfen, wo Solidarität nur Hetze ist.
M.
Tina meint
Danke für den klaren Artikel mit der ebenso deutlichen Stellungnahme gegen die rechten Vereinnahmungsversuche feministischer Positionen!