Das nächste Buch in der Reihe stammt von Nils Pickert und heißt Lebenskompliz*innen. Was? Ein männlicher Autor in der Reihe zu feministischer Mutterschaft?!
Ganz recht – so hat bell hooks uns ja zu verstehen gegeben, dass es nicht per se die Männer sind, die Schuld an der Fortsetzung des Patriarchats haben. Genauso können jene daran interessiert sein diesem System endlich den Gar aus zu machen. Also gehen wir dem Autor auf den Grunde und prüfen, inwiefern seine Selbstbezeichnung als „Feminist“ berechtigt ist.
Nach dem Schwerpunkt Liebe bei bell hooks soll uns nun also dieser Autor in Sachen Beziehung auf Augenhöhe aushelfen. Und keine Sorge, es bleibt bei ihm als männliche Ausnahme in der Autor*innenwahl 😉
Zum Autor
Der Autor ist überwiegend journalistisch tätig und schreibt zahlreiche Kolumnen. Mittlerweile hat er aber auch einige Bücher veröffentlicht. Dabei widmet er sich überwiegend dem Thema Feminismus sowie Gender- und Rollenklischees. Außerdem engagiert er sich für den Verein Pinkstinks e.v. gegen Sexismus und Homophobie.
Lieb-loses Vorwort und Beheimatung
Wie auch hooks ist Pickert der Meinung, dass Liebe wichtig und sinnvoll ist und als eines der Grundbedürfnisse des Menschen gilt. Definieren würde er sie als die “Beheimatung in einer anderen Person”. Also ein Akt, sich aus der Einsamkeit zu befreien und Brücken zu anderen zu schlagen. Dabei reflektiert er den Heimatbegriff kritisch und meint ihn nicht als das, wo man “herkommt”, sondern wo man “hingehört”.
Klingt jetzt erstmal recht cheesy, aber nein, denn bereits im Vorwort verdeutlicht der Autor, dass seine ganz persönliche Intention des Buches es sei, mit der romantischen Liebe abzurechnen. Denn nur, wenn wir all diese gesellschaftlich konstruierten und popkulturell aufgeladenen Romantisierungen wegwischen, kann uns Gleichberechtigung in der Partner*innenschaft gelingen. Finden wir hier also einen ersten Entwurf Liebe neu und feministisch zu denken, wie es bell hooks im ersten Artikel dieser Reihe so nachdrücklich forderte?
Den einen ‚Lebenslangenschicksalsschatz‘ gibt es nicht
Nochmal zur romantischen Liebe. Damit meint Pickert jene Liebe, die gewisse kapitalistisch geprägte Ideale als Norm vorgibt und dabei ständig Anforderungen an die Liebenden stellt.
Das kann zum Beispiel sein, dass man den einen “Lebenslangenschicksalsschatz” trifft, fortan wenig Konflikte austrägt, monogam lebt und zahlreiche Kinder hervorbringt. Diese konstruierte perfekte Beziehung wertet also sämtliche Alternativentwürfe von Partner*innenschaft ab. So liebe man sich nicht genug, wenn die Beziehung auf Distanz gut funktioniert, polygam oder mit getrennten Urlaubsplänen zur gewünschten Zufriedenheit führt.
Bullshit! meint Nils Pickert und möchte anstelle dieser unrealistischen, normierenden Liebesvorstellung Alternativen für zwischenmenschliche Beziehungen entwerfen, die “von uns wissen” und “wirklich empfunden” werden können. Zu oft habe er erlebt, dass Paare, die einander auf ihre ganz persönliche Art liebten, daran zerbrachen, dem gesellschaftlichen Ideal von Beziehung nicht zu entsprechen. Doch hier liege die Krux, denn „romantische Liebe weiß nichts über Fehlgeburten, Hämorrhoiden oder Mundgeruchsküsse“. Diese Dinge gehören nun einmal zu uns unperfekten Menschen in ihren noch unperfekteren zwischenmenschlichen Beziehungen.
Entgegen des Patriarchats bedeutet immer Anstrengung
Wenn wir nun also die romantische Liebe dekonstruiert haben und verstanden wurde, dass einzig und allein ungeschönte Liebesrealitäten in all dem Chaos des Alltags bestehen können, drängt sich nun die Frage nach der Gleichberechtigung in einer Partner*innenschaft auf.
Die Liebe auf Augenhöhe – wie der Autor sie nennt – ist seines Erachtens vor allem eines: zutiefst anstrengend!! Es bedeutet nämlich, sich täglich und immer wieder füreinander zu entscheiden und in zahlreiche Aushandlungsprozesse miteinander zu treten. Doch was sollte man großartig verhandeln, um einander gleichberechtigt entgegen zu treten?
Hier führt der Autor die Zuschreibung gewisser Gender- / Rollenklischees als Ursprung jeglicher Ungleichheit an. So meint er, dass Geschlecht ähnlich wie eine Religion einer Person bei der Geburt auferlegt wird und jene sich fortan in gewissen Mustern zu verhalten hat. Sofern man sich an diese Zuschreibungen hält, ist es leicht die Bahn zu halten. Übertragen wir das Ganze überspitzt auf eine heterosexuelle Paarbeziehung, würde das bedeuten: Mann geht arbeiten und ist stark und zielsicher. Frau kümmert sich um Haus, Hof und Kinder und ist dabei stets liebenswert, sensibel und zur bedingungslosen Care-Arbeit bereit. Nils Pickert ist der Meinung, dass das Aufbrechen dieses erwartbaren Verhaltens zwar Anstrengung und Irritation bedeutet, aber langfristig zu mehr Gleichberechtigung führen wird.
Man sollte sich also zwingend fragen, welche Rollen gibt es? Und wie wollen WIR das alles? Denn wichtiger als irgendwelchen gesellschaftlichen Quatschnormen zu entsprechen sei es, tatsächliche Bedürfnisse zu teilen und anzuerkennen: „Anstatt Liebe zu verherrlichen, sind wir besser beraten, sie zu organisieren. Rahmenbedingungen zu schaffen, Regeln aufzustellen, Formate zu erproben.“
Beziehungsvertrag und Elternschaft
Wieder ein Zitat, was verdeutlicht, wie der Autor es schafft, jegliche Romantik zu dekonstruieren und sogar für einen Beziehungsvertrag plädiert. Dieser sollte zu Beginn einer Beziehung aufgestellt werden. Dabei müsse einmal alles Unangenehme auf den Tisch gebracht und verhandelt werden. Wer braucht wie viel was vom Gegenüber. Wie viel kann wovon gegeben werden? Was passiert, wenn gewisse Dinge nicht vom Gegenüber zu erwarten sind? Wo kann etwas ausgelagert werden? Wie kommen vielleicht Dritte ins Spiel?
Wenn all das durchgesprochen wurde – und man auch dazu bereit ist diesen Vertrag immer wieder anzupassen – sei man auf einem guten Wege in Richtung „Liebe auf Augenhöhe“! Man wisse dann klar, was zu erwarten ist und was sich das Gegenüber im Gegenzug wünscht. Denn es sei schlicht weg naiv, zu denken, die Partner*in wüsste dies, wenn man sich plötzlich bei einer Gruppenarbeit im Studium kennenlernt und schon ein Viertel des Lebens getrennt gelebt wurde. Bums, ist man ein Paar und weiß genau was diese fremde Person braucht? Menschen haben Erfahrungen gemacht, bevor sie sich begegnen, die zu unterschiedlichen Bedürfnissen führen. Da ist es unerlässlich (!) und nicht unromantisch, über solche Dinge zu sprechen. Alles andere wären unrealistische Erwartungen an jemanden mit seiner individuellen Vergangenheit.
Besonders wichtig werden diese Aushandlungsprozesse dann, wenn als Dritte ein Kind ins Spiel kommt. Hierzu meint Pickert, dass der Beziehungsvertrag nun „komplett auf den Kopf gestellt werde“ und einer Neuerung bedarf, sofern man an der Beziehung fernab der Elternschaft festhalten wolle.
Auch in diesem Punkt meint er, dass der Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung sei, Genderklischees zu dekonstruieren. Sich 50/50 aufzuteilen gelinge zwar selten, aber auch beim Elternsein sei nichts an ein vermeintliches Geschlecht gekoppelt, sondern individuell gestaltbar. Und noch einmal von zentraler Bedeutung sei es in dieser unglaublich aufreibenden Situation, Bedürfnisse ehrlich zu kommunizieren. Nur so kann man herausarbeiten, wie man als Elternteam am besten funktioniere.
4 W(orte) für ein Happy End?
Pickert versucht keinen Ratgeber für DIE gleichberechtigte Beziehung zu erstellen: „dafür existiert einfach zu wenig Anschauungsmaterial“ (256). Dennoch legt er vier Grundkriterien fest, die in jeglicher Art zwischenmenschlicher Beziehung beachtet werden sollten, um fair und respektvoll miteinander umzugehen: Wohlwollen, Wissbegier, Wandelbarkeit und Wahrhaftigkeit. Wenn man sich diese vier Kategorien in der eigenen Konpliz*innenschaft immer wieder bewusst mache, sei man auf einem guten Wege, Liebe auf Augenhöhe zu praktizieren.
Klingt nach Happy End, oder?
So halb, wenn man Pickert fragt. Dieser betont nämlich auch im letzten Kapitel des Buches noch einmal, dass es nur gut und vor allem gleichberechtigt ausgehen kann, wenn man das Standardkonzept romantische Liebe über den Haufen wirft. Denn dabei handelt es sich schlichtweg um einen „sozial konstruierten Parasit, der bindungsbedürftige Menschen befällt, die auf vielfältige Art dazu ermahnt werden, sich nicht gegen diese Invasion ihrer Selbst zu wehren“ (256).
Vielmehr dürfen und sollen Brücken zwischen Menschen geschlagen werden, die immer wieder zerbrechen, scheitern oder neu aufgebaut werden müssen, weil der unvollkommene, fehlbare Mensch in seinem Wesen nur zu solch unvollständigen tollpatschigen Versuchen fähig ist. Es braucht keine Rosenblätter oder Brückenschlossromantik inklusive haufenweise übergriffige Geschlechtszuweisungen. Was es braucht, ist echte Nähe, Zärtlichkeit, Sex und vor allem gnadenlos ungeschönte Ehrlichkeit sowie Durchhaltevermögen in all diesen Bereichen!! „Lieben, was ist“ (260), nicht irgendeiner unrealistischen Idee der romantischen Liebe hinterhereifern, würde zur Abwechslung mal zu echter Wertschätzung des Gegenübers führen, statt hohlen Ansprüchen genügen zu wollen:
„Sich die Erlaubnis geben, bei der Beheimatung die Hände schmutzig zu machen. Pausen einzulegen. Sich die Fingernägel abzubrechen. Laut zu fluchen, durchzudrehen und dann weiterzumachen. Gleichberechtigt lieben, was ist, heißt, dem Herzensmenschen das Gleiche zuzugestehen, sich darum bemühen, ihn wirklich und wahrhaftig als gleichwertig zu betrachten“ (263).
Persönliches Fazit
Uff, ein ganz schöner Brocken Arbeit den ich da bewältigt habe. Gar nicht leicht hier ein knappes Fazit zu ziehen. Nach einem (für mich persönlich) schleppenden Einstieg ins Buch gab es ab Kapitel drei dann den Schlagabtausch so vieler ungeschönter Wahrheiten.
Mir gibt es mit auf den Weg, dass es sich lohnt zu reden, zu diskutieren und auszuhandeln, wenn man wirklich daran interessiert ist Elternschaft in Gleichberechtigung zu versuchen. Zu versuchen sage ich dabei ganz bewusst, weil es (nach bisheriger eigener Erfahrung) zu einer Mammutaufgabe neben dem täglichen Alltagswahnsinn mit Kind werden kann. Dennoch hilft das Buch mit seinen Vorschlägen! Also nehmt euch ab und zu Zeit und erinnert euch in Streitsituationen daran, dass man fehlbar ist und es beim nächsten Mal vielleicht besser macht. Spoiler: Wir werden auch gerade besser. Es lohnt sich also dran zu bleiben!
Da der Autor teilweise sprachlich sehr anspruchsvoll schreibt, würde ich das Buch nicht als leichte Abendlektüre empfehlen. Zu komplex und vielschichtigt dabei auch die Themen. Pickert gelingt es, sämtliche Bereiche von Liebe, Feminismus, Partner*innenschaft, Care-Arbeit, sowie gesellschaftliche Gegebenheiten einzufangen und anhand kleiner Alltagssituationen abzubilden. Dabei wird er seiner Selbstbezeichnung als Feminist mehr als gerecht. Touché!
Lain
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