Huch, was haben denn Reproduktive Rechte in dieser Reihe zu Feministischer Mutterschaft zu suchen?
Die Besprechung des heutigen Buches ist mir ein persönliches Anliegen, um aufzuzeigen, was Gebären in patriarchalen Gesellschaften bedeutet. Und inwiefern Personen mit Gebärmutter bei dieser so persönlichen, zutiefst intimen Erfahrung im Leben selbst- oder fremdbestimmt werden.
Ich möchte mit der Vorstellung dieses sehr informativen, höchst politischen Werks darauf aufmerksam machen, warum mich das Mutter-Werden noch wütender am diesjährigen Frauenkampftag gemacht hat und wieso “My body my choice” eine ganz neue Dimension erlangt hat. Gleichzeitig verlangte dieses dichte und zahlenbasierte Buch meinem Muddihirn einiges ab: Zahnen, Hitzepickel und das Umstellen von drei auf zwei Tagschläfchen bedeuten derzeit extrem wenig Schlaf. Deshalb möchte ich ein paar gebündelte Infos geben für alle, die bereits die Sätze des Intros drei Mal beginnen müssten, um sie zu verstehen.
Die Autorinnen
Hier kommen drei Frauen zusammen, die allesamt für die taz arbeiten. In diesem Buch kombinieren sie ihre jeweiligen Schwerpunkte äußerst produktiv miteinander. Somit handelt es sich um ein äußert gut recherchiertes sowie statistisch auf den Punkt gebrachtes Grundlagenwerk zu den wichtigsten Aspekten rund um das Thema Reproduktion.
Einstieg in die Thematik
Wo überall auf der Welt Reproduktive Rechte von Menschen mit Gebärmutter eingeschränkt werden, erschreckte mich bereits im Intro. So führen die Autorinnen medienwirksame Beispiele der Abtreibungsdebatte in Texas oder die immer noch erschreckend hohe Müttersterblichkeit in Ländern des afrikanischen Kontinents an. Darüber hinaus werden aber auch Reproduktive Rechte bei ungleichem Zugang zu Verhütung oder bezüglich des Rechts darauf, wo und wie man Gebären möchte, missachtet. Dies sind alles Fragen von Ressourcenverteilung sowie Priorisierungen im Gesundheitswesen. Und dass hier nicht unbedingt die betroffenen Personen im Vordergrund stehen, überrascht wieder einmal nicht.
“Jahrhunderte wurde über Frauen und Minderheiten verfügt und Gebärfähigkeit instrumentalisiert”
So drastisch wie dieser Satz klingt ist er auch gemeint. Denn die Autorinnen geben im ersten Kapitel einen Überblick darüber, inwiefern sich staatliche Regulierungen weltweit anhand von gezieltem politischen Vorgehen in die Entwicklung der Bevölkerung einmischen. Gemeint sind hierbei beispielsweise Zwangssterilisationen oder der Zugang zu Verhütung sowie legale Möglichkeiten abzutreiben. All das liegt in staatlichen Händen und wird dafür genutzt zu regulieren, wer Kinder bekommen soll/darf und wem dieses Recht verwehrt wird. Und wie zu erwarten, stecken wir dabei bereits knietief in der institutionellen Diskriminierung: Rassismus, Klassismus, Ableismus, die Liste der „-ismen“ nimmt kaum ein Ende.
Die Autorinnen decken in diesem Zusammenhang auf, dass Geburtenkontrolle oft rassistisch und behindertenfeindlich ist. So solle die weiße wohlhabende und gesunde Frau mehr Kinder zur Welt bringen, während Schwarze Frauen auf Kosten des Staates sterilisiert werden oder von Personen in ökonomisch schlechterer Lage erwartet wird, strenger zu verhüten: „Was als Recht der Privilegierten gefordert wurde, wurde eine Pflicht der Armen“, schreibt die Schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis (45).
„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine“ – rief ich dieses Jahr noch aggressiver in die Menge von Menschen am 8. März. Weil es weltweit leider nicht der Realität entspricht und Pro Choice unbedingt in beiderlei Richtung zu verstehen ist. Also die Wahlfreiheit gegen eine Schwangerschaft, aber gleichermaßen auch dafür, denn „diese Rechte gehören untrennbar zusammen“(48) und sollten vom modernen Feminismus noch drastischer eingefordert werden.
Verhütung bleibt nach wie vor eine Sache der Person mit Gebärmutter
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich habe mich einmal in meinem Freundinnenkreis umgehört und Erschreckendes zu hören bekommen. Auch in feministischen Kreisen gehört es noch zum Alltag, dass sich vor allem die gebärfähige Person um Dinge wie Spiralen, die Pille, das Diaphragma oder Zyklusbeobachtungen und Temperaturmessungen kümmert. Oh wow, Kondome besorgen öfter mal die Schwanzträger. Aber wenn es darum geht, auch nach einem Fauxpas beim One-Night-Stand die Kosten für eine Pille danach aufzubringen, stehen eben diese oft allein da. Komisch oder?
Auffällig auch, dass es eine ganze Bandbreite an Verhütungsmethoden und fortlaufende Innovationen auf dem Markt für die Person mit Gebärmutter gibt. Während Mann seit 20 Jahren zu Billyboy greift. Mehr könne er ja kaum tun. Und wenn er könnte, würde er das natürlich alles auf sich nehmen, aber eine Vasektomie ist natürlich ganz schön drastisch. Ach ja? Und das Einsetzen eines Fremdkörpers in die Gebärmutter ist da natürlich das reinste Vergnügen. Ihr merkt, es macht mich wütend, dass das patriarchale System Personen mit Penis nicht die gleichen Nebenwirkungen wie FLINTA zumutet und damit „Verhütung Frauensache bleibt! (60)“.
Zugang zu Verhütung: Wer sollte (nicht) schwanger werden?!
Und wäre das nicht schon genug, entlarven die Autorinnen in diesem Kapitel den miserablen Zugang zu Verhütungsmitteln, sowie offengeführte Diskriminierung bei Beratungsgesprächen von Schwangeren mit Behinderungen: „Quer durch die Geschichte und über den Globus verteilt sind marginalisierte Menschen von Zwangseingriffen in ihre reproduktiven Rechte betroffen, in extremen Maß Menschen mit Behinderung“ (70).
Erstens offenbart sich einer der unzähligen Mängel im deutschen Gesundheitssystem: Verhütung ist immer noch keine Kassenleistung, was die Wahlfreiheit massiv einschränkt. Auch hier spielt der Klassismus wieder eine entscheidende Rolle. Beispielsweise ist im Hartz4-Satz die Gesundheitspflege mit 17,02 Euro berücksichtigt, wodurch die Pille oder Spirale, die bis zu 400 Euro kosten kann, „außer Reichweite ist“ (61). Das hat zur Folge, dass FLINTA mit geringem oder keinem eigenen Einkommen aus Kostengründen unsicherer verhüten.
Zweitens wird die strukturelle Behindertenfeindlichkeit offensichtlich, wenn Beratungsgespräche zur Familienplanung meist einseitig geführt werden und noch immer die Auffassung weit verbreitet ist, dass Menschen mit Behinderung keine Kinder bekommen sollten (69). Manchmal habe ich das Gefühl, die Behindertenrechtskonvention von 2009 wird zwar überall groß auf die Fahne geschrieben, in den Köpfen der Gesellschaft ist sie jedoch nie angekommen.
Wer kinderlos bleibt ist selbst Schuld!
Ich hätte nicht gedacht, dass moderne Reproduktionstechnologien für enormen Druck bei kinderlosen Paaren führen. Es klingt ein wenig überspitzt und doch behaupten jene Technologien, dass beinahe jedes Hetero-Paar ein leibliches Kind bekommen kann. Klar, Geld spielt teilweise eine entscheidende Rolle und auch die staatliche Vorstellung davon, wer Kinder bekommen soll (siehe oben). So setzen Krankenkassen in diesem Punkt noch eins drauf und übernehmen die Kosten bei künstlicher Befruchtung teilweise, sofern es sich um ein Hetero-Paar handelt, welches obendrein auch noch verheiratet sein muss. Ja Prost Mahlzeit und Hallo genormte Familie im Jahre 2023!!! Das ist wirklich so fern jeglicher Realität von modernen Beziehungs- und Familien- beziehungsweise Elternschaftsmodellen!
Homosexuelle Paare zum Beispiel sind von einer Kostenübernahme ausgeschlossen und ob es auf eigene Kosten geht ist dann auch noch bundeslandabhängig (114). Die Autorinnen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Rangordnung der Familienformen, bei der Heterosexualität plus Gelübde an erster Stelle steht und irgendwo ganz unten die homosexuelle Singlefrau auftaucht. Dabei ist es „nicht Aufgabe des Staates, zu entscheiden wessen Elternschaft erwünscht ist“.
Na, immerhin versprach die Ampel im Herbst 2021 eine diskriminierungsfreie Kostenerstattung bei künstlicher Befruchtung – mal sehen ob dies (wie ja eigentlich immer) eingehalten werden kann.
Biokolonialismus und Eizellen im Gefrierfach
Ein herausragender weiterer Punkt zu diesem Kapitelthema ist der globale Markt, der durch Reproduktionstechnologien entstanden ist. So sind gewisse Staaten bekannt für Leihmutterschaften oder es gibt die in Deutschland verbotenen Eizellbanken. Die Autorinnen nennen es „Biokolonialismus“, wenn im sogenannten Matching Frauen und deren gespendete Einzellen für die Unternehmen unterschiedlich wertvoll werden. Schließlich sind es vermehrt weiße Wunsch-Eltern, wodurch die Nachfrage nach weißen Spenderinnen steigt. Hier wird schlichtweg nach race und class beurteilt, deshalb der Begriff des Kolonialismus.
Außerdem spannend, dass für viele das eigene Kind zur Identitätsfrage wird. Klar, würde ich auch so erstmal unterschreiben. Schließlich ändert sich mit dem Gebären alles was zuvor recht safe war. Im Buch ist jedoch davon die Rede, dass Kinderbekommen auf Grund der neuen Möglichkeiten perfekt in den Lebenslauf eingepasst werden kann. Ein Kind ist also einfach ein weiteres biografisches Projekt, dass zum makellosen „Frausein“ dazu gehört. Ach nett, dass Apple seinen Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen ermöglicht. Erst Karriere, dann Baby. Nett oder doch profitorientiert?!
Das Beste kommt zum Schluss: (Mein) Fazit zum Gebären im Patriarchat
Ihr merkt, die erschütternden Fakten dieses Buches wollen so gar kein Ende nehmen. Herrlich, dass es am Ende dann nochmal um das Thema Geburt geht. Ich denke, jede, die diese zutiefst existentielle Erfahrung bereits gemacht hat, weiß, wieso hier das Wort Selbstbestimmt eine entscheidende Rolle für die jeweilige Geburtserfahrung spielen kann. Aber im Patriarchat hat Gebären keine Priorität, schließlich „kommt das Kind schon irgendwie raus“ (132).
Und dann ist es einfach nur traurig, dass weltweit täglich 810 Frauen an Schwangerschaft oder Geburt sterben. Obwohl die meisten dieser Todesfälle vermeidbar wären.
Es ist traurig, dass in vielen Ländern der Subsahara zahlreiche Barrieren ein selbstbestimmtes Gebären unwahrscheinlich machen, weil Infrastrukturen oder Informationen fehlen und dadurch das Recht der Betroffenen auf eine sichere Geburt verletzt wird.
Es ist traurig, dass Frauen weltweit unter der Geburt diskriminiert werden, Rassismus oder gar körperliche Gewalt erfahren müssen.
Es ist traurig, dass Entscheidungen im Geburtsverlauf aufgrund von Rentabilität für das Krankenhaus getroffen werden, wobei Gebärenden nicht die Zeit zugestanden wird, die sie vielleicht bräuchten, um natürlich zu gebären.
Es ist traurig, dass die Arbeit von Hebammen nicht entsprechend gewürdigt und vergütet wird.
Und es klingt vielleicht banaler als die anderen Punkte, aber es ist ebenfalls traurig, wenn ein enormer Druck auf Schwangere aufgebaut wird, ihr „natürliches Geburtspotenzial“ zu nutzen. Nicht mal im Kreißsaal ist man frei von gesellschaftlichen Erwartungen, zu performen. So geht eine frisch gebackene Mutter oftmals statt als Heldin mit allerlei Schuldgefühlen nach Hause, wenn es ein Kaiserschnitt werden musste oder das Dogma der Natürlichkeit aufgrund eines Schmerzmittels nicht eingehalten werden konnte. Auch das finde ich einfach nur traurig!!!!!
Lain
Schreibe einen Kommentar