„Prinzessinnenjungs. Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterfalle befreien“ ist ein Elternratgeber, ein Handlungsvorschlag in der Erziehung von Jungen, sowie eine Sammlung an Anekdoten. Doch vor allem ist es ein Buch über Jungs, in all ihren Facetten.Jungs mit all ihrer Wildheit, ihrer Stärke, ihrem Mut sie selbst zu sein und auch Kleider zu tragen, falls sie das wollen.
Die oder der Eine mag hier vielleicht stutzen. Kleider zu tragen ist nicht männlich, nichts für Jungs. Doch warum? Es ist ein Stück Stoff, wie Nils Pickert in seinem Buch feststellt. Also was antwortete man(n), wenn der eigene Sohn fragt, warum Männer keine Röcke tragen dürfen? Wenn man beobachtet, wie sanfte Jungen hart gemacht werden und Prinzessinnenjungs in die immer gleiche Rolle der Männlichkeit gezwängt werden. Wie reagiert man? Damit setzt sich Nils Pickert auf humorvolle, trocken sarkastische Art und Weise in seinen „Prinzessinnenjungs“ auseinander: Ein Buch, das nicht nur für Eltern super zu lesen ist.
„Ich mache das hier auch aus purem Egoismus und Eigennutz. Für den Prinzessinnenjungen, der ich einmal war, und für den Mann, der ich jetzt bin. Und vor allem tue ich es für meine Söhne. Für meine zarten, starken, wundervollen, fiesen, begeisternden, nervigen, wilden, sanften Jungs, die ich lieben werde, solange Atem in mir ist. Nichts und niemand wird mich davon abhalten, alles daran zu setzen, ihnen nach Kräften ein selbstbestimmtes, freies Leben zu ermöglichen, in dem sie lieben und geliebt werden“ („Prinzessinnenjungs“ von Nils Pickert, S. 220)
Zum Autor
Nils Pickert ist ein freier Journalist und Feminist. So schreibt er seit einigen Jahren für das Magazin der Organisation Pinkstinks, sowie in der österreichischen Standard. Auch in der Zeit, der taz und dem Schweizer Tagesanzeiger sind Artikel von ihm zu finden. Pickert lebt in einer Heterobeziehung mit seiner „Lebenskomplizin“ und hat vier Kinder, auf deren Erziehung und den damit verbundenen Erfahrungen ein guter Teil des Buches beruht.
„Das Tragen von Hosen war für ihn (seinen Sohn) ebenso wenig verpflichtend wie das Tragen von Röcken. Wenn wir einfach nur einen Zuschreibungszwang durch einen anderen ersetzten, dann wäre ja überhaupt nichts gewonnen. Und wenn mein Sohn seiner eigenen, von mir durchaus geliebten, Prinzessinnenhaftigkeit entwächst und stattdessen lieber mit seinen Jungs Computerspiele spielt oder zum Kampfsport geht, dann steht ihm das frei. Genau darum geht es ja: Um die Freiheit, zu sein, wie man ist.“ („Prinzessinnenjungs“ von Nils Pickert, S. 86)
2012 wurde Pickert weltweit durch ein Bild bekannt. Auf dem Foto waren er und sein damals fünfjähriger Sohn von hinten zu sehen, wie sie barfuß, Hand-in-Hand, durch die Fußgängerzone ihres damaligen Wohnortes liefen. Pickert trägt einen roten Rock und sein Sohn ein rosa Kleid. Das Bild wurde für einen Artikel von Pickert aufgenommen, welcher in der Emma veröffentlicht wurde. In dem Artikel erklärt Pickert die Hintergründe. Von seinem Sohn, der so gerne Kleider trug und damit in der neuen Heimat, einer kleinen Stadt in Süddeutschland, auf Unmut und Ausgrenzung stieß. Schon vor dem Umzug fiel bei dem Thema auf: Dem Kind fehlt ein Vorbild, um dem Gegenwind standzuhalten. Oder welcher rocktragende Mann fällt euch ein? So entschied Nils Pickert, der eigentlich kein großer Fan von Röcken und Kleidern an sich selbst ist, ein Vorbild zu sein. Dadurch entstanden die Rock- und Kleidtage, die auf dem Bild zu sehen sind. Mit einer so großen Resonanz, wie er sie erhielt, rechnete Pickert jedoch wahrlich nicht, wie er in „Prinzessinnenjungs“ schreibt.
Was ist zu erwarten? Von Röcken, „Das ist voll schwul“ und gewaltfreier Erziehung
Der ganze Prozess von den ersten Rock- und Kleidtagen bis hin zur plötzlichen Popularitätsexplosion in den Medien wird mit sehr viel Humor und kleinen Anmerkungen im Buch erzählt. Immer wieder tauchen kleine oder auch größere Anekdoten von dem eigenen Versuch der gleichberechtigten Kindererziehung auf. Es geht um Methoden, um Erfolge und auch um das Scheitern. Auch das ist ok, betont Pickert.
„Dabei ist die Frage nicht, ob Jungen heutzutage noch Jungen sein dürfen. Die Frage lautet vielmehr, ob jeder Junge er selbst sein darf?“ („Prinzessinnenjungs“ von Nils Pickert, S. 12)
Was antwortet man auf die Frage: Papa, warum dürfen Männer keine Röcke tragen? Machen Kleider und Puppen schwul? Und ist eine gewaltfreie Erziehung von Jungen möglich? Sollte man überhaupt gewaltfrei erziehen? Bei den Antworten auf diese Fragen greift Pickert auf seine eigenen Erfahrungen zurück, sowie auf verschiedene Studien und Daten. Wie immer bei der Erziehung, und dem Umgang mit Menschen überhaupt, sind die Antworten nicht universell. So zeigt auch Pickert einen Leitfaden auf, anstatt einer universellen Lösung. Jungs sollen Jungs sein. Ob nun Prinzessinnenjungs, stahlharte Kerle oder etwas dazwischen oder auch ganz anders. Es geht um Freiheit und um den Versuch, dem Kind als Elternteil so viel Freiheit zu geben wie nur möglich.
„Aber auch hier gilt wieder, dass die Mehrzahl der Jungen und Männer keine geborenen Monster sind, die durch Erziehung und Restriktion dazu gebracht werden müssen, sich gesellschaftsverträglich zu verhalten. Stattdessen verfolgen sie einfach oft falsche Strategien.“ (S. 214)
Dabei werden auch schwerere Themen angerissen, wie Jungen und Männer als Täter und Opfer von Gewalt. Auch Freundschaft bei Jungen und Männern ist ein Thema und wie tiefe Freundschaften immer noch oft als „unmännlich“ gelten. Und natürlich geht es auch um die Bienchen und Blümchen und wie unbewusste Rollenbilder zu Machtgefällen und Erwartungen beim Sex führen.
Warum sollte man das lesen?
Auch die schwereren Themen werden mit klaren Fakten und Worten ohne Tabu oder Verschönerung behandelt. Und selbst hier zieht sich stetig ein roter Faden durch das Buch. Vor allem der Anfang voller Anekdoten ist sehr schön zu lesen, da alles mit einer angenehmen Ehrlichkeit und Nähe erzählt wird. Persönlich habe ich weder einen Sohn, geschweige denn Kinder jeglichen Geschlechts und plane es auch nicht für die nächsten paar Jahre. Dennoch war „Prinzessinnenjungs“ mitreißend und interessant bis zum Schluss. Viele der Beispiele und Geschichten erinnern an Erlebnisse von Freunden und Verwandten, die man miterleben durfte oder von denen man immer wieder hören durfte. Vom „Was wird es denn?“ bis zur unangenehmen Entscheidung, einen unbeabsichtigt sexistischen Kommentar eines Kindes anzusprechen ohne dabei der peinliche Erwachsene zu sein.
Als einzige Kritik würde ich anbringen, dass vor allem gegen Ende mit wenig Abwechslung in die Theorie eingetaucht wird. Zudem existiert ein Übermaß an Negativbeispielen zu toxischer Männlichkeit im Gegensatz zu positiven Männlichkeitsbeispielen. Zweites benennt Pickert selbst jedoch ebenfalls als Teil des Problems. Denn wenn es genug positive Beispiele gäbe, dann wäre womöglich auch das Bild im Rock nicht entstanden, da es nicht notwendig gewesen wäre. Es wäre eine Welt, in der womöglich selbst „Prinzessinnenjungs“ nicht notwendig wäre, denn solch eine Erziehung wäre selbstverständlich.
„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit darauf verwenden können, darüber zu schreiben, wie großartig Jungen sind. Wie viel Spaß man mit ihnen haben kann, wie fantastisch ihre Freundschaften sind, wie tief sie lieben und wie verantwortungsbewusst sie handeln. Es hätte mir gefallen ein Positivbeispiel an das Nächste zu reihen […]. Aber an diesem Punkt sind wir nicht. Noch nicht“ („Prinzessinnenjungs“ von Nils Pickert, S. 219)
Sarah Hamer
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