Letzten Mittwochmorgen wachte ich auf und mein erster Gedanke war: Hoffentlich Hillary. Dass Donald Trump der neue Präsident der Vereinigten Staaten wird, hat mich sprachlos gemacht. Ich konnte es nicht begreifen. Im Nachhinein denke ich aber auch, dass ich während des Wahlkampfs total naiv war. Ich habe gedacht, dass die Amerikaner*innen doch niemals Trump Clinton vorziehen würden. Von außerhalb ist diese Entscheidung unerklärlich, denn in meinem Umfeld wurde Trump nur verspottet. Die Medien haben jegliche Schwächen und Fehler Trumps aufgezeigt und für viele Deutsche läuteten die Alarmglocken bei seinem Redestil und seinen Hasspredigten. Ich war vollkommen eingelullt in der vorherrschenden Meinung meines Umfelds und der großen Medien: Ein Mensch wie Donald Trump kann doch niemals Präsident der Vereinigten Staaten werden.
Ich möchte jetzt gar nicht fragen: Warum? Wie konnte das passieren? Sondern eher: Was zeigt uns das? Was können wir tun?
https://twitter.com/aktuelle_stunde/status/796252277916991489
Es läuft etwas schief
Wenn…
- ein öffentlich fremden-, islam-, behinderten- und frauenfeindlicher Mensch Präsident wird
- einfache, laute und aggressive Reden Erfolg haben
- viele Menschen genug von der „üblichen“ Politik und den „üblichen“ Politiker*innen haben
- Meinungen verachtet und niedergemacht statt ernstgenommen werden
- das Streben zu einer liberalen und offenen Gesellschaft verpönt wird
- das Bedürfnis nach drastischer Veränderung vorrangig wird
- sich die, die die meisten Privilegien haben, am meisten beschweren
- Multikulturalität und Multiethnizität negative Gefühle auslösen
….dann läuft etwas, meiner Meinung nach, gehörig schief. Geschichte wiederholt sich. Und genau deswegen ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass, sobald eine Gesellschaft liberaler wird, eine Gegenbewegung an Zustimmung bekommt. In den letzten Jahren und Jahrzenten sind in Amerika, wie auch in Deutschland, Erfolge und vor allem ein stärkeres Bewusstsein liberaler und fortschrittlicher Themen zu erkennen. Dazu zähle ich LGBTQI-Rechte, gegenderte Sprache, gleichgeschlechtliche Ehe, Gender Gap, Elternrechte oder Abtreibung. Vieles ist immer noch nicht erreicht, wie homosexuelle Ehen in Deutschland, und vieles ist erst vor kurzem ermöglicht worden, beispielsweise das „Nein heißt Nein“-Gesetz. Einige fragen sich: Warum erst jetzt diese schon längst überfälligen Veränderungen? Und: Warum ist xy immer noch nicht akzeptiert?
Aber für einige andere passiert zu viel. Es ändert sich zu viel. Der Fokus rückt ihnen zu sehr auf sexuelle Minderheiten, Frauen, Migrant*innen und Geflüchtete. Sie fühlen sich hintergangen und nicht beachtet. Das ist ernst zu nehmen. Denn aus diesen Gefühlen über sich selbst entsteht Frustration und Hass gegenüber Anderen. Das mag die Politik, der Staat oder eben eine Menschengruppe sein. Genau diese Menschengruppen leben schon lange mit Ungerechtigkeit und Intoleranz und freuen sich natürlich über kleine Erfolge. Aber das wird weniger wahrgenommen als die Tatsache, dass die eigenen Privilegien gefährdet sind. Die Philosophin und feministische Theoretikerin Judith Butler hat es in einem Interview, das ich jedem nur ans Herzen legen kann, so ausgedrückt:
„Reaktionärer Populismus möchte, getrieben von Nostalgie und Verlust von Privilegien, den früheren Stand der Gesellschaft wiederherstellen. Er möchte den Staat aus Rache demontieren, weil seine Welt untergegangen ist.“
Eine Wiederholung der Geschichte
Manch eine*r wird durch die neusten Entwicklungen in Amerika und Europa an eine frühere, dunklere Zeit erinnert. In Reden von Politiker*innen, in den aufsteigenden rechtspopulistischen Wahlprogrammen, in den Gesprächen bei der Bäckerei oder auch im eigenen Bekanntenkreis höre ich erschreckende Äußerungen. Hasspredigten, ausgesprochene starke Vorurteile, Unmut gegenüber dem Zusammenschluss von Medien und Staat stehen dem Gutglauben gegenüber, dass dies ja nicht die Meinung der Mehrheit sei. Die Einstellungen vieler Menschen bewegt sich aber leider in Richtung Rechtspopulismus und Nationalismus. Angeführt werden sie von einem Menschen, der durch große Versprechungen und hasserfüllte Äußerungen an Beliebtheit gewinnt.
Nun ist „so ein Mensch“ in den USA an die Macht gekommen. Und ähnliche Entwicklungen können wir in Frankreich, Österreich, Großbritannien, Deutschland und mehr erkennen. Das ist kein Zufall. Es zeigt uns, dass die Meinungen und Wünsche der Rechtspopulisten nicht ernstgenommen werden. Es zeigt, dass nicht genug Menschen eine tolerante, bunte und gerechte Gesellschaft vorziehen.
Wir müssen aufhören, Menschen niederzumachen, die keine extremen, aber politisch unkorrekte Positionen vertreten. #USwahl16
— Kristina Schröder (@schroeder_k) November 9, 2016
Was kann ich tun?
Ich fühle mich selbst ein bisschen hilflos. Ich denke mir, extreme politische Richtungen wird es immer geben. Es wird immer Menschen geben, die mit der aktuellen politischen und sozialen Lage aus verschiedenen Gründen unzufrieden sind. Es wird wohl auch immer Vorurteile geben. Aber dieser Hass? Diese Unterdrückung? Dieser Fokus auf eine Menschengruppe als „die Bösen“? Das muss doch nicht sein. Eine Wiederholung der Geschichte darf nicht passieren! Einem Menschen hinterherzulaufen, nur weil er*sie laut seinen/ihren Unmut ausdrückt, ist doch nicht die Antwort. Immer alles auf eine Gruppe oder den Staat zu schieben, ist doch nicht die Antwort.
Wie wäre es mit Selbstreflexion? Wie wäre es mit einem Perspektivenwechsel? Wie wäre es damit, Lösungen zu suchen, bei denen keine Gruppe zu Schaden kommt? Dafür muss man langwierige Prozesse, den Verlust der Privilegien und Veränderungen im Land nun mal in Kauf nehmen. Schnell, laut und brutal hat in der Vergangenheit immer mehr geschadet als geholfen. Festgesetzte Ideologien und Vorurteile lassen sich leider nicht schnell beheben. Ich habe auch keine Musterlösung. Ich kann nur an euch Leser*innen appellieren:
- Kämpft für das, was euch wichtig ist, ohne anderen zu schaden!
- Nehmt die Meinungen anderer ernst!
- Reflektiert eure Aussagen!
- Hakt nach, wenn ihr fragwürdige Äußerungen hört!
- Bleibt hoffnungsvoll und tolerant!
Tabea Georgi
elefantina meint
Ein guter Artikel, finde ich. Und doch greift er zu kurz. Mir ist schleierhaft, wie die Kriegstreiberin H. C. dermaßen belobigt wurde. Wie viele Tote kleben an ihren Händen als Außenministerin. Und wie groß wird mit H. C. die Gefahr eines „großen“ Krieges“ für Europa??? Ja, der D. T. ist auch ein Oligarch, aber NOCH klebt kein Menschenblut an seinen Händen. Und wenn er eine Annäherung mit Russland will: was kann es Besseres für Europa geben. (Natürlich nicht für die militärische Industrie, schließlich lebt D auch von den Rüstungsexporten.)
Wenn ich ehrlich bin, dann finde ich die Vorwürfe an Trump wegen seiner Äußerungen gegen sogenannte Minderheiten nicht schön, aber das Überleben der Spezies Mensch, die es zumindest in einem von den USA nicht gescheuten Atomkrieg IN EUROPA, ist mir dann doch wichtiger. Und nicht vergessen: auch Frauen haben D. T. gewählt.
Christoph Siebert hat zu den Wählern Trumps ein gutes Statement abgegeben:
https://www.youtube.com/watch?v=OOqu_HXQ3QY
Und für die, die meinen, dass Frauen die besseren Machthaber seien, besteht ja die Hoffnung, dass Marine Le Pen in FR ganz groß wird. 😉
Oder mal was anderes in D: und die F. Petry löst unsere marktdemorkratische Reformerin IM Erika (A. M.) doch noch ab.
Emilia meint
Liebe Tabea,
Vielen Dank für Deinen Artikel, der viel von dem ausdrückt, was ich auch wahrnehme und empfinde.
Seitdem Trump gewählt ist höre ich auch hier Stimmen, die ich während des Wahlkampfs in den USA hier nicht wahrgenommen hatte: „Finde ich garnicht mal so schlecht. Mal schauen, was er er so macht. …“ Als sei das ein Spiel, eine Art Theaterstück – und wir die Zuschauenden. Politische Ankündigungen eines Narzisten als Entertainment-Gag? Mich macht das alles sehr betroffen.