Wie verleben eigentlich die Isländer/innen im hohen Norden den lang anhaltenden Winter? Dass da keine Eisberge an den Küsten entlang driften, habe ich schon in meinem Artikel „Die Zeit der Weihnachtskerle“ geschildert.
Island im Winter: gar nicht so kalt, aber viel Schnee
Bei Temperaturen so um den Gefrierpunkt ist es im Winter verhältnismäßig warm. Aber der erste Schnee fällt schon im September und der letzte im Mai. Darüber sind auch die Isländer/innen nicht gerade froh. Aber sie machen das Beste daraus. Das Lebensmotto der Isländer lautet „þetta reddast – das wird schon irgendwie klappen“.
Asatru, der Glaube an die nordische Mythologie mit den Göttern Odin und Thor an der Spitze, ist in Island noch präsent. Zwar feierten die Isländer im Jahr 2000 das 1000-jährige Jubiläum der Christianisierung. Das ist aber nur ein Teilerfolg, der hier zelebriert wurde. Das historische Geschehnis fand recht friedlich mit einem Kompromiss statt. Offiziell trat man zum Christentum über, privat blieb es aber gestattet, der alten Mythologie weiterhin nachzugehen. Die meisten Isländer (etwa 96 Prozent) sind evangelisch.
Die alten germanischen Götter finden in Island immer mehr Anhänger. Mit Spinnern und völkischem Denken haben sie aber nichts zu tun. Stattdessen liegt ihnen der Umweltschutz am Herzen.
Es ist auch kein Wunder, dass die wild-romantische Landschaft Islands mit Sümpfen und Geysiren viel Spielraum für mythologische Wesen wie Elfen und Trolle lässt. Besonders ab dem 12. Dezember bis zum 24. Dezember stehen die Jólasvein (13 Weihnachtskerle) im Zentrum weihnachtlichen Brauchtums. Die 13 Söhne des Riesen-Ehepaars, dessen Existenz im 13. Jahrhundert begründet wurde, spielen eine Hauptrolle. Die Gattin Grýla musste auf Nahrungsbeschaffung gehen, da ihr Mann Leppalúdi bettlägerig war. Dazu fing sie alle unartigen Kinder ein. Na klar, dass die Legende durch Jahrhunderte erfolgreich als Erziehungsfaktor beim unartigen Nachwuchs eingesetzt wurde. Inzwischen sind die Weihnachtskerle eher Kobolde und harmlos, denn die artigen Kinder bekommen an den 12 Tagen vor Weihnachten täglich ein kleines Geschenk in ihre Schuhe gelegt. Die Unartigen Kinder erhalten natürlich nichts oder eine rohe Kartoffel.
Jólaköttur – Die Weihnachtskatze
Nach einer Legende waren nicht nur unartige Kinder zu Weihnachten von Strafe bedroht, sondern auch alle faulen Leute. Als faul galt jemand, der die Regel durchbrach, dass sämtlich im Herbst gewonnene Wolle bis Jól (Weihnachten) aufgearbeitet sein musste. Wer dabei eifrig mitgeholfen hatte, wurde mit Kleidung entlohnt. Jeder Mensch, der im abgelaufenen Jahr kein neues Kleidungsstück hinzugewonnen hatte, musste nun fürchten, von der Riesenkatze Jólaköttur, die keine Mäuse sondern Menschen jagt, zum Opfer zu fallen.
Auf keiner Festtagstafel darf das Laufabrauð (Laubbrot) fehlen. Es ist eine Art sehr dünnes Fladenbrot, das knusprig in heißem Fett ausgebacken wird. Es ist tatsächlich so zerbrechlich wie ein getrocknetes Laubblatt – Blätterteig . Die kunstvollen Muster sind innerhalb jeder Familie von Generation zu Generation weitergeben worden und haben beinahe den Stellenwert eines Familienwappens.
Am 6. Januar (Heilige Drei Könige) verschwindet der letzte der Weihnachtskerle wieder in den Bergen. Das feiern die Isländer/innen mit einem Festessen und Feuerwerk.
Das Fest Þorrablót findet von Mitte Januar bis Mitte Februar statt. Ursprünglich war es ein Opferfest für die Götter. Heute hat es Ähnlichkeit mit dem Karneval. Dabei werden traditionelle Speisen verzehrt, welche heute nur noch selten auf dem Speiseplan stehen. Dazu bringt jeder etwas im Holztrog mit, entweder für sich selbst oder für das gemeinsame Buffet. In dem kleinen Ort Sudureyri, wo meine Tochter lebt, werden diese Abende im Wechsel von Frauen und Männern organisiert. Dazu gehören auch lustige Sketche und Verkleidungen der Darsteller/innen.
Für die Isländer war es früher wichtig, dass ihre Nahrungsmittel im Winter lange haltbar waren. So gehören zu den traditionellen Speisen eingelegte Schafskopfsülze, saurer Walspeck und Hammelhoden, sowie Steckrübenbrei, Hangikjöt (geräuchertes Schafsfleisch), gekochter Schafskopf (mit Augen), geräuchertes Zwerchfell vom Lamm und natürlich Hákarl. Letzterer ist eine isländische Spezialität, die aus fermentiertem Fleisch des Grönlandhais besteht. Geruch und Geschmack des Gerichts sind sehr intensiv. Der Hai ist für Menschen nur aufgrund der Fermentierung überhaupt essbar. Es dauert zirka zwei bis vier Monate, bis das Fleisch genießbar ist. Unbedingt dazu gehört der isländische Schnaps Brennivín.
Nach den kurzen hellen Tagen im Winter wird das Sonnenfest im Februar gefeiert, und zwar dann, wenn die Sonne wieder über dem Berg scheint. Das Sonnenfest heißt „Solarkaffi“. Wichtiger Bestandteil des Festes sind isländische Crepes mit Rhabarbermus und Schlagsahne.
Isländer sind gut darin, Events zu schaffen. Sie sind tatkräftig und erfinderisch, sonst würden sie in den langen Wintern vor Langeweile sterben. So fand im Jahre 2004 zu Ostern das erste Festival in Isafjördur in den Westfjorden statt. Beim ersten Mal musste Mugison, der Erfinder dieser Veranstaltung, noch Bands anrufen. Inzwischen melden sich über 200 Gruppen zum Aldrei-Festival an, um bei diesem großen Familienfest mit ca. 5000 Besuchern dabei zu sein, aber nur knapp 50 können mitmachen. Das Festival soll das Gegenteil von den üblichen sein. An welchem Tag und zu welcher Uhrzeit die Bands spielen, erfährt man erst vor Ort. Es wird kein Eintritt verlangt und die Bands bekommen keine Gagen. Jede Band darf genau 20 Minuten spielen. Egal ob es singende Arbeiter sind oder bekannteste Musiker aus Island. Und um die vielen Besucher unterzubringen, werden auch die wenigen Gefängniszellen, in denen sowieso kaum jemand einsitzt, auch für Übernachtungen der Gäste genutzt.
Island berührt schon das Herz. Und ich freue mich auf meinen nächsten Besuch in diesem besonderen Land.
Heidemarie Gniesmer
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