Manchmal ergeben sich bei uns in der Redaktion spannende Diskussionen zu Texten. In Zeiten des Lockdowns ging das nur per Mail. Der Vorteil daran: wir haben eine Aufzeichnung und können Euch mal daran teilhaben lassen. Aus einem Text über den gesellschaftlichen Druck der Heteronormativität was das Kinderkriegen und Heiraten angeht, entstand ein Mail-Wechsel zweier unserer Autorinnen. Gleichzeitig ist es ein Generationengespräch, denn Lisa und Irene trennen 39 Jahre. In ihrem Briefwechsel beleuchten sie das Thema Heiraten bzw. Ehe aus verschiedenen Blickwinkeln und greifen dabei unterschiedlichste Hintergründe auf.
Liebe Lisa,
ich habe Deinen Text gelesen. Finde ich toll!!
Ich hätte allerdings eine Anmerkung: In deinem Text sprichst du ja von den Erwartungen der älteren Generation an die junge. Mein Eindruck ist aber, dass überkommene Rollenmuster heute von der jungen Generation ohne den Druck der älteren Generation „wiederbelebt“ werden: Als ich (inzwischen 67) so um die 30 Jahre alt war, kannte ich kaum Paare, die unter 30 geheiratet haben. Ich habe in meinem Bekanntenkreis nie eine Fegeaktion auf den Domtreppen erlebt. Geheiratet wurde höchstens, wenn ein Kind unterwegs war (weil „uneheliche“ Kinder und Väter rechtlich benachteiligt waren – was ja inzwischen gar nicht mehr der Fall ist) oder zum Teil auch erst lange nach der Geburt. Frauen behielten ihren Namen (und waren durch die gerade „reformierte“ Gesetzeslage gezwungen, den des Mannes dahinter zu hängen…). Und ich war (jedenfalls in Deutschland) nie auf einer kirchlichen Hochzeit mit weißem Brautkleid!
Mit Erstaunen habe ich aber in den letzten Jahren erlebt, dass meine jungen Kolleginnen und Bekannten ohne jeglichen Druck ihrer Eltern (eher zum Erstaunen derselben…) Riesen-Hochzeits-Events mit kirchlicher Trauung inszenierten, Frauen – obwohl sie beruflich unter ihrem eigenen Namen bereits etabliert waren – den Namen des Mannes annahmen. Und obwohl eigentlich alle Paare inzwischen schon vor der Hochzeit zusammenwohnen, gibt’s plötzlich statt des guten alten Polterabends, der traditionell gemeinsam gefeiert wurde, plötzlich die geschlechtergetrennten „Junggesellenabschiede“, wo z.T., sehr primitiv und sehr klischeehaft „die Sau rausgelassen wird“.
Ich beobachte das mit Erstaunen – würde mich gerne mit dir drüber austauschen, wenn du Lust hast…
Liebe Grüße,
Irene
Liebe Irene,
vielen Dank für dein Feedback! Ich habe mich sehr gefreut, eine so ausführliche Rückmeldung zu meinem Text von dir erhalten zu haben und habe sie gespannt gelesen. Ich finde es sehr spannend, dass du ganz andere Erfahrungen gemacht hast und frage mich nun, woran das liegen könnte. Bei genauerem Nachdenken ist mir aufgefallen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass „früher“ insbesondere oder nur geheiratet wurde, wenn Nachwuchs unterwegs war. Das kann ich mir sehr gut vorstellen.
Nun frage ich mich, ob es vielleicht sein kann, dass es da Unterschiede zwischen Stadt (+Speckgürtel) und Land gibt. Tatsächlich hat auch in meinem engeren Freundeskreis (fast ausschließlich Stadtmenschen) keine*r gefegt oder Klinken geputzt. Bekanntschaften, die auf dem Dorf leben, allerdings schon. Ähnlich ist das mit den Junggesell*innenabschieden. Was mit der Stadt/Land-Differenzierung vielleicht auch zusammenhängen könnte, sind die Bildungsunterschiede. Dabei frage ich mich, ob es vielleicht sein kann, dass eher gebildete Menschen weniger konservativ leben als ungebildetere. Daneben ist es aber sicherlich auch ein Generationenthema. In meinem Studium haben wir auch über Generationen gesprochen und ich war ehrlich gesagt sehr erstaunt über den soziologischen Blick auf die verschiedenen Generationen, weil meine persönliche Erfahrung teilweise stark davon abweicht. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass meine Generation durch so viel Unsicherheit in der Arbeitswelt (flexiblere Arbeitsmodelle etc.) nach mehr Sicherheit im privaten Bereich strebt und dadurch vielleicht ein konservativeres Leben anstrebt.
Liebe Grüße
Lisa
Liebe Lisa,
Es waren ja nur ein paar weitere Gedanken, die ich loswerden wollte – und ich freue mich, mit Dir darüber diskutieren zu können. Und natürlich hast Du recht: es müssen der Unterschied Stadt/Land und die Bildung berücksichtigt werden. Ich komme aus einer (recht hinterwäldlerischen) Kleinstadt, in die es meine Eltern in der Nachkriegszeit verschlagen hatte, habe dann in den Nach-1968-er Jahren studiert (voll beeinflusst natürlich von dieser „Revoluzzer“-Generation), bin nach Bremen gekommen und mein Freundes-und Bekanntenkreis besteht auch fast nur aus Studierten dieser Jahrgänge mit eben diesem Background. Gerade deshalb frage ich mich ja so erstaunt: wie kommt es, dass die Kinder, die „wir“ erzogen haben, zum Teil in so alte Rollenmuster zurückfallen, die „wir“ ja ausgerottet zu haben meinten. Und Du hast vollkommen recht: eine Erklärung ist sicherlich die Unsicherheit der heutigen Arbeitswelt. Da sucht man/frau als Ausgleich Verlässlichkeit im Privaten und orientiert sich an vermeintlich Herkömmlichem. Und dann will ja die Kindergeneration sowieso immer gerne etwas zum Absetzen gegenüber ihren Eltern haben…. Und dann gibt’s den Einfluss amerikanischer Filme (die genannten Junggesellenabschiede, die ja überhaupt keine „deutsche“ Tradition sind). Als eine junge Freundin von mir vor einigen Jahren im Bremer Dom geheiratet hat, erzählte sie mir, dass der Pastor im Vorgespräch gesagt habe, viele Paare (sie selbst glücklicherweise nicht) wollten heute, dass die Braut vom „Brautvater“ zum Altar geführt würde, statt zusammen mit dem Bräutigam einzumarschieren wie es eigentlich hier üblich ist. Das mache er nicht mit. Ich habe überhaupt nichts mit der Kirche am Hut, aber da konnte ich ihn nur voll unterstützen! Das ist amerikanischer Bullshit (darf ich als studierte Anglistin mal sagen), verbreitet durch Hollywood-Filme. Und was bedeutet das denn: Eine Frau (heutzutage in der Regel seit Jahren finanziell eigenständig, berufstätig, längst mit ihrem Partner zusammenlebend und sowieso schon lange sexuell aktiv) „gehört“ noch ihrem Vater, der sie dann weggibt (auf Englisch: give away) in die Hände des jüngeren Mannes, der fortan für sie zuständig ist??? Es graust mir, wenn so etwas unreflektiert als „chic“ übernommen wird.
Liebe Grüße,
Irene
Liebe Irene,
vielen Dank nochmal. Ich finde die Diskussion auch sehr interessant!
Das Thema Hochzeit hatte ich letztes Wochenende erst mit einer Freundin, die auch „klassisch“ und kirchlich heiraten möchte. Für sie bedeutete das auch, dass der Vater die Braut in die Kirche begleitet. Mir war das gar nicht so bewusst, dass sich die deutsche Tradition davon unterscheidet! Ich frage mich dabei, ob es nicht vielleicht auch ein kapitalistisches Thema ist. Mit der pompösen Hochzeit, für die durchaus mehrere tausend Euro ausgegeben wird, kann gezeigt werden, was man/frau hat? Aber vielleicht führt das auch zu weit. Junggesell*innenabschiede finde ich auch total bescheuert, allein der Gedanke dahinter, seine letzten Tage oder Stunden „in Freiheit“ genießen zu müssen, weil mit der Ehe ist ja der Spaß vorbei! Dazu kommt dann noch die Planerei z.B. durch „Weddingplaner/innen“ und der ganze Kram. Das erscheint schon recht absurd. Die „Übergabe“ der Braut vom Vater an den Bräutigam finde ich auch gruselig. Der Vater, der „seinen Segen“ geben muss und dem Bräutigam dann so Sätze sagt, wie „pass gut auf sie auf“ oder so. Stimmt überhaupt! Ich glaube damit triffst du es sehr gut, dass es einfach so aus Filmen übernommen wird.
Liebe Grüße und danke für deine Anregungen
Lisa
Liebe Lisa,
deinen Hinweis auf den Kapitalismus finde ich sehr wichtig. Natürlich ist das eine Riesen-Geschäftemacherei. „The Weddingplanner“ war ein amerikanischer Film. Da habe ich das erste Mal davon gehört und mich gefragt: was ist das denn??? und gedacht: so etwas gibt es doch nur im Film.
Ich habe übrigens gerade ein Buch gelesen, „The Engagements“ von Courtney Sullivan. Es ist ein Roman, aber u.a. über eine Frau, die es tatsächlich gegeben hat, nämlich Frances Gerety, die in den 40er Jahren den Slogan „A Diamond is Forever“ für die Werbeagentur De Beers in den USA erfunden hat. Mit dem Spruch wird anscheinend immer noch geworben. Jedenfalls wird da beschrieben, wie bis dahin nur „die Reichen“ in Amerika die Tradition des Verlobungs-Diamanten hatten, und nun das Bedürfnis für „die Massen“ kreiert wurde, um die Umsätze zu steigern. Und es wurde auch gleich eine Preisvorstellung gesetzt: zwei Monatsgehälter des Mannes sollten es schon sein (ganz demokratisch…!!!).
Ich weiß nicht mehr, wann das dann, mitsamt dem Kniefall, bei uns modern geworden ist. Jedenfalls kannte ich das in meiner Generation gar nicht, sondern nur aus amerikanischen Filmen.
Eigentlich war „unsere“ Tradition früher sogar viel gender-gerechter und weniger kapitalistisch: zur Verlobung kaufte sich das Paar Verlobungsringe, die die späteren Eheringe waren. Und zwar trugen beide dann den Ring, und zwar am linken Finger. Links hieß verlobt, rechts hieß verheiratet. Und zwar hatten eben beide den Ring, also war für alle klar, dass sie „vergeben“ waren. Während das in Amerika nur bei den Frauen offensichtlich war/ist, die Männer konnten weiter als „frei“ herumlaufen.
Die Verlobungszeit hatte ganz früher ja durchaus ihren Sinn. Frauen und Männer hatten keine Gelegenheit, unbeobachtet zusammen zu sein. Da mussten sie schon verlobt sein, was ja als Probezeit galt. Eine Verlobung konnte noch gelöst werden, wenn sie merkten, dass sie doch nicht zueinander passten. Die Ehe war „forever“, „bis dass der Tod euch scheidet“. Das gilt heute alles nicht mehr – also sind auch die ganzen Rituale um die Verlobung sinnlos.
Genauso ist es mit den Junggesellenabschieden: der letzte Abend, wo „Treulosigkeit“ erlaubt ist, gar zelebriert wird. Wieso das denn, wenn ich doch entschlossen bin, dem „Menschen meines Lebens“ am nächsten Tag Treue zu schwören?! Abgesehen davon, dass „Treulosigkeit“ heute nicht mehr nachgewiesen werden muss, wenn eine Seite die Scheidung erwirken will.
Ich glaube, was mich vor allem stört, ist, dass diese Events so hohl sind: es wird gar nicht nachgedacht, was es eigentlich bedeutet, und dass es eigentlich auch gar nicht mehr angemessen ist, weil die Realität eine ganz andere ist…
Liebe Grüße,
Irene
Hallo Irene,
Viele Dinge über die Hochzeits-Tradition in Deutschland waren mir gar nicht so bewusst! Ich kannte auch lediglich die amerikanischen Ideale wie: ein möglichst teurer Verlobungsring (je teurer, desto größer die Liebe natürlich!) und den Junggessell*innenabschied. Faszinierend finde ich daran, dass es sich auch hier um solch ein Dogma handelt, dass es zu erreichen gilt. Ich habe das Thema auch mal in meinem Bekanntenkreis angesprochen. So habe ich durchaus gehört, dass die eine oder andere seit einiger Zeit auf den obligatorischen Kniefall wartet, sonst wird auch nicht geheiratet! Oder es wird noch ein bisschen gewartet, bis geheiratet wird, weil ja erst das ganze Geld gespart werden muss, da die Hochzeit riesig und pompös werden soll. Natürlich gibt es auch Gegenstimmen, die davon gar nichts halten, aber selbst bei männlichen Freunden herrschte dieses Ideal von romantischer Hochzeit (und auch das Gefühl von Druck, der ja durchaus auch aus amerikanischen Filmen stammen kann!).
Viele argumentieren ja auch mit der Steuererleichterung, die, wie ich bereits hörte, sich jedoch nur wirklich lohnt, wenn eine*r der Partner*innen deutlich mehr verdient als der*die andere und natürlich ist das allermeistens der Mann. Ich sehe da die Gefahr, dass es Frauen noch schwieriger gemacht wird, insbesondere wenn sie verheiratet sind, was ja auch ein absolutes Unding ist. Aufgrund dieser Steuersache ist es z.B. auch bei verheirateten Bekannten von mir so, dass es sich für die Ehefrau finanziell nicht lohnen würde, einen Teilzeitjob anzunehmen. Deswegen bleibt ihr nur übrig, in einem 450-Euro-Job zu arbeiten. Vollzeit arbeiten ist ihr hingegen zu viel. Da ist also einiges im Argen und nicht ganz koscher. Gerade dieses finanzielle Thema ist ja auch so eine Sache. Dass Frauen da z.B. auf ihr Gehalt wegen der Kindererziehung verzichten, dadurch vom Mann abhängig werden und am Ende keine Rente bekommen..
Die deutsche Tradition hingegen finde ich jedoch sehr schön: Die Vorbereitungen, das Ringe kaufen, das Verloben und das in-die-Kirche-Einlaufen gemeinsam zu machen. Ich glaube, da machen sich tatsächlich viele viel zu wenig Gedanken drüber, hinterfragen zu wenig und sind einfach nur froh, „unter der Haube“ zu sein.
Lisa
Liebe Lisa,
Zu den Steuern.., habe ich natürlich auch noch eine Anmerkung ;). Damals haben einige meiner Bekannten, die ja eigentlich dagegen waren, dass der Staat sich in persönliche Beziehungen einmischt, das als Ausrede/Verteidigung/Begründung ihrer Entscheidung für’s Heiraten angeführt. Manche gingen sogar so weit, dass sie augenzwinkernd sagten, sie hätten sich ausgerechnet, was eine eventuelle Scheidung kostet (das wird ja auch immer nicht mitgedacht!), und würden das durch geringere Steuern gesparte Geld solange zurücklegen…. Mittlerweile sollte ja allen bekannt sein, dass jede dritte Ehe geschieden wird, ich glaube, es sind inzwischen sogar noch mehr. Und die Frau steht dann da…, Du beschreibst es ja ganz richtig. Manche glauben wohl immer noch, der Mann muss ja dann Unterhalt zahlen und seine Rente wird geteilt. Aber das stimmt ja so nicht mehr: Frauen müssen, auch wenn sie die Kinder haben, dann wieder arbeiten, der Unterhalt wird dann nur für die Kinder weitergezahlt – wenn er denn gezahlt wird. Wir könnten in den Statistiken nachgucken, wieviele Männer es nicht tun… Und ehrlich gesagt: ich möchte mir auch nicht vorstellen, dass ich, wenn ich ein paar Jahre mit einem Partner zusammengelebt habe, dann vielleicht total zerstritten mit ihm bin, ich nach zig Jahren meine Rente mit ihm teilen soll! Da kann ich die Männer, die das nicht gerne tun, gut verstehen.
Liebe Grüße,
Irene
Liebe Irene,
Ja, es scheint ein wenig paradox. Auf der einen Seite soll dem Staat eins ausgewischt werden, aber wie? Indem frau als Ehefrau weniger Steuern zahlt? Oder indem sie das Geheirate mit dem Steuerkram gar nicht erst mitmacht?
Liebe Grüße
Lisa
Liebe Lisa,
das Irre ist ja, dass in der Regel die Ehefrau als die weniger Verdienende in Lohnsteuerklasse 6 mehr Steuern zahlt und nur der Ehemann als der in der Regel mehr Verdienende in Steuerklasse 3 weniger Steuern zahlt!
Lieben Gruß,
Irene
Liebe Irene,
…
Es könnte jetzt immer so weitergehen, doch für jetzt ist das Gespräch ins echte Leben gerückt. Zudem sind weitere Perspektiven dazu gekommen. Spannend ist in der Diskussion z.B. auch der Blick aus ehemaliger DDR-Perspektive. Auch die Perspektive einer weiteren Generation lädt zu weiterer Diskussion ein.
Margret meint
Auch ich, ich bin eher in Irenes Alter, wundere mich oft über auffallend konservative Tendenzen bei Menschen zwischen 20 und 30. Auch ich habe es eher so in Erinnerung, dass es bei uns damals üblich war, eher spät zu heiraten, meist erst, wenn Kinder kamen, und ohne großes Brimborium. Dass es wichtig war, die eigene Identität zu behaupten, den eigenen Namen zu behalten, den Beruf, das Einkommen, die Unabhängigkeit. Allerdings, und das gehört auch zur Wahrheit, war es in den meisten Fällen dann doch so, dass, wenn Familien gegründet wurden, die Frauen in Teilzeit berufstätig waren oder gar nicht mehr. Genau wie heute. Und das ist ja auch kein Wunder. Das berüchtigte Problem der „Vereinbarkeit“ ist eben nicht gelöst, kann auch nicht gelöst werden ohne massive gesellschaftliche Veränderungen, vor allem durch eine erhebliche Verkürzung der Arbeitszeiten. Der Unterschied zu damals scheint mir vor allem darin zu bestehen, dass Wert auf Rituale gelegt wird, die mir tatsächlich absurd erscheinen, am schlimmsten finde ich tatsächlich die „Übergabe“ der Braut Vater an den Ehemann. Eine befreundete Pastorin hat mir auch schon davon erzählt und von ihren Schwierigkeiten, den Frauen (!) das auszureden. Ich verstehe das tatsächlich nicht, aber es scheint ja ein großes Bedürfnis nach solchen sehr konservativen Ritualen zu geben. Einiges mag sich durch kapitalistische Manipulationen erklären, aber da bleibt ein Rest. Ist es doch eine tiefsitzende Unsicherheit, die alle Lebensbereiche umfasst, ein Wunsch nach vermeintlich heiler Welt? Wir hatten ja damals noch die Illusion, dass alles besser werden würde, dass wir uns emanzipieren und die Welt verbessern könnten. Ohne diese Illusion zu leben, eher mit dem Gefühl, wir können froh sein, wenn wir das Schlimmste verhindern, ist nicht gerade leicht, eher eine Zumutung und eine konstante Überforderung. Das könnte womöglich die kleinen Fluchten in überkommene Rituale erklären. Oder? Ich weiß es nicht, aber vielleicht wissen es ja die Menschen, die jetzt in dem Alter sind?
redaktion meint
Hallo Margret,
auch dir lieben Dank fürs Mitdiskutieren! Deine Annahme ist denke ich ein guter Punkt. Diese eher einfachen Rituale in einer immer komplexeren Gesellschaft kann vielleicht tatsächlich eine „schöne Flucht“ sein. Es wirkt nahezu wie ein komplexitätsreduzierendes Mittel in unübersichtlicher Berufs-/ und Internetwelt.
Viele Grüße
Lisa
Janina meint
Also, ich denke auch, dass ein (meiner Meinung nach) zu großer Anteil an Menschen zwischen 20 und 30 erstaunlich konservativ ist. Und Klinken putzen, Junggesell*innenabschiede etc kenne ich genauso aus Bremen wie jetzt auch auf dem Lande. Und da waren schon so einige Akademiker*innen bei… Ich frage mich (und mag gerade nicht genauer dazu recherchieren), ob die Arbeitswelt wirklich unsicherer geworden ist (oder sich nur so anfühlt – darüber hab ich meine Magisterarbeit in Soziologie geschrieben…) UND es wäre zu recherchieren, ob die heutige junge Generation tatsächlich konservativer ist als die junge Generation in den 60ern und 70ern. Vielleicht waren da die „Revoluzzer und Hippies“ auch einfach nur sichtbarer? Denn es gibt ja heutzutage genug Menschen Ü60, die eine kaufmännische Ausbildung haben, bei der Bank arbeiten, Immobilien verkaufen etc etc. Die haben ja schließlich „damals“ diese Ausbildungen gemacht… Da bei einer kirchlichen Hochzeit zumindest eine*r der beiden Kirchenmitglied sein muss, ließe sich auch hier recherchieren, ob es tatsächlich auch nur annähernd so viele kirchliche Trauungen wie standesamtliche gibt. Auch das wage ich zu bezweifeln… Also, welche Annahmen sind nun subjektiv und welche lassen sich durch Fakten bestätigen?
Liebe Grüße von Janina
redaktion meint
Hallo Janina,
vielen Dank für deinen Kommentar! Wie spannend, dass du da ähnliche Erfahrungen gemacht hast. Und mit Sicherheit ist es, wie du schon angedeutet hast, nicht pauschalisierbar. Wie Irene auch schon im Text schrieb, denke ich, dass es auch oft darum geht, sich von der Elterngeneration abzusetzen. Sind die Eltern eher konservativ, versucht man/frau sich vielleicht eher davon abzusetzen indem man/frau eher alternative Lebensformen bevorzugt.
Auch könnte ich mir vorstellen, dass es sogar weniger kirchliche Trauungen bzw. Trauungen allgemein gibt, allein schon deshalb, weil die Kirchen so wahnsinnig viele Kirchenaustritte verzeichnen. Bei der Diskussion zwischen Irene und mir handelt es sich dementsprechend eher (ich kann hier nur für mich und meinen Teil sprechen, denke aber, dass es bei Irene ähnlich ist) um rein subjektive Erfahrungen und Empfindungen.
Liebe Grüße
Lisa