Als ich das neue Vereinsgelände von Queer Cities e.V. in der Bremer Überseestadt betrete, fallen mir sofort die bunten Regenbogenflaggen auf, die vor dem Hauptgebäude im Wind wehen. Der Verein ist erst im August hierhergezogen und hat nun auf dem weitläufigen Gelände mit viel Parkfläche, einer großen Lagerhalle und seinem Hauptgebäude mit Büros, Besprechungsräumen, einer gemütlichen Sofaecke und einer Gemeinschaftsküche eine ideale Basis gefunden.
Hier treffe ich drei engagierte Mitarbeitende, Robert Dadanski, Johann Cau und Alexandra Aron. Im Interview geben sie spannende Einblicke in die Arbeit von Queer Cities e.V. und erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen und den Zielen des Vereins.
Wie ist der heutige Queer Cities Verein entstanden?
Zuerst möchte ich natürlich wissen, wie es zur Gründung von Queer Cities e.V. kam. Der Ursprung des Vereins liegt in einer persönlichen Erfahrung von Robert Dadanski, der Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Queer Citites e.V. ist. Er erzählt, wie daraus die Idee einer LGBTIQ-Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Danzig entstand.
Im Jahr 2017 wandte sich Robert Dadanski zunächst an den Tolerado-Verein in Danzig, um sich über die Sicherheit für sich und seinen an MS erkrankten Partner als homosexuelles Paar in Polen zu informieren. Aus dieser Kontaktaufnahme entwickelte sich eine engere Zusammenarbeit, die über den privaten Austausch hinausging. Da Robert Dadanski zugleich Teil des Teams des Bremer Christopher Street Days war, entstand bald die Idee einer grenzübergreifenden Partnerschaft und Kooperation zwischen den beiden Städten.
Die Zusammenarbeit konkretisierte sich 2018, als Robert Dadanski gemeinsam mit Tolerado eine Veranstaltung in der Bremer Bürgerschaft organisierte, bei der auch der damalige Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz teilnehmen sollte. Diese Veranstaltung erhielt den Namen „Queer Cities“. Im gleichen Jahr reisten Robert Dadanski und weitere Mitglieder des Bremer CSD-Teams nach Danzig, um am dortigen CSD teilzunehmen. Sie stellten fest, dass der polnische CSD stark polizeilich geschützt war – ein starker Kontrast zur Situation in Bremen.
„Und dann sind wir mit zwei Transportern nach Danzig gefahren, was auch sehr abenteuerlich gewesen ist als Bremer CSD-Organisatoren, die eigentlich nicht gewohnt sind, dass ein CSD von 3500 Polizisten ummantelt wird. Und diese Polizisten einfach die Sicherheit der Demonstrierenden sicherstellen sollen. In Bremen hatten wir ein Jahr vorher einen CSD gehabt, wo glaube ich insgesamt eine Hand voll Polizistinnen den ersten CSD in Bremen begleitet haben. Das war für alle Teilnehmenden ein sichtbarer Unterschied.“ – Robert Dadanski
In den folgenden Jahren intensivierten sich die Aktivitäten und regelmäßigen Besuche zwischen den beiden Vereinen. Aufgrund wachsender organisatorischer und finanzieller Anforderungen beschloss das CSD-Team 2022, einen neuen Verein zu gründen, der sich speziell auf Völkerverständigung und Städtepartnerschaften konzentriert – den Queer Cities e.V. Diese Neugründung erleichterte zudem die Beschaffung von Fördermitteln erheblich, da die bisherigen Aktivitäten schwerer im Rahmen des Bremer CSD allein zu rechtfertigen waren. Der Queer Cities e.V. ermöglicht somit eine nachhaltige und rechtlich sowie finanziell abgesicherte Fortsetzung der Städtepartnerschaften und Völkerverständigungsarbeit.
LGBTIQ-Städtepartnerschaften in Bremen
Der Verein Queer Cities e.V. organisiert sich in Projekten, die hauptsächlich auf die Bedürfnisse und Hintergründe der queeren Community in Bremen abgestimmt sind. Eines der Hauptprojekte ist das eben genannte „LGBTIQ-Städtepartnerschaften“-Projekt mit einer Untergruppe „Polacy“. Diese Gruppe bietet jeden zweiten Dienstag im Monat ein Treffen für queere Menschen aus Polen an, die oft nur temporär in Bremen leben und zum Teil kein Deutsch sprechen. „Polacy“ schafft somit einen sicheren Raum, in welchem Austausch und soziale Kontakte entstehen können.
Von einem weiteren Projekt erzählt Johann Cau, der ebenfalls hauptamtlich bei Queer Cities e.V. tätig ist. Neben dem Raum für polnische queere Menschen gibt es auch eine Gruppe, die queere Menschen französischer Muttersprache miteinander vernetzen soll. Ein ähnliches Angebot ist auch für die rumänische Community in Planung. Der Verein erreicht diese verschiedenen Gruppen durch gezielte, oft mehrsprachige Öffentlichkeitsarbeit und auch über soziale Medien.
Spendenstation zur Unterstützung Geflüchteter
Zusätzlich gibt es die Spendenstation, ein Projekt, das durch den Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine von Queer Cities e.V. ins Leben gerufen wurde und den Verein grundlegend verändert hat. Plötzlich und über Nacht stand Queer Cities e.V. vor der Herausforderung, seine polnischen Partnervereine zu unterstützen. Diese halfen tausenden Geflüchteten, die in Städten wie Warschau, Danzig und Krakau Zuflucht suchten.
Anstatt, wie ursprünglich geplant, eine kleine Garage zu nutzen, eröffnete der Verein eine 2.500 Quadratmeter große Lagerhalle und organisierte eine umfangreiche Spendenstation. Innerhalb kürzester Zeit schlossen sich über 65 Freiwillige zusammen: Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hintergründe, darunter Deutsche, Pol*innen, Ukrainer*innen, Chines*innen und Russ*innen, Menschen mit und ohne Behinderungen, sowie heterosexuelle und queere Menschen. Gemeinsam arbeiteten sie unvoreingenommen an einem Ziel, barrierefrei und inklusiv. Die Aufgaben wurden so verteilt, dass alle Freiwilligen ihren Stärken entsprechend Unterstützung leisten konnten. Für das Team symbolisierte die Spendenstation ein „Stück heile Welt“ – ein Ort, an dem alle unabhängig von Identität oder Herkunft auf Augenhöhe zusammenkommen und intersektionale Barrieren gemeinsam abbauen.
Die Spendenstation ist mittlerweile wiedereröffnet und sammelt dienstags und samstags in der Konsul-Smidt-Straße 11 Hilfsgüter, um weiterhin Unterstützung zu bieten.
Team Behinderte
Das „Team Behinderte“ wurde ursprünglich im CSD-Verein gegründet, um Menschen mit Behinderungen einen eigenen Raum für Austausch und Vernetzung zu bieten. Dabei stand der Bedarf nach Rückzugsmöglichkeiten und barrierefreien Angeboten im Vordergrund. Mit der Integration in den Queer Cities e.V. erhielt das Team Behinderte ein langfristiges Zuhause, in dem Inklusion und das Ziel der Barrierefreiheit noch weiter in den Fokus rücken können.
Im Interview erzählt mir das Team auch von ihrem großem langfristigen Ziel für Queer Cities e.V.: Die Gründung eines gemeinnützigen Inklusionsbetriebs, in dem queere Menschen mit und ohne Behinderungen in einer unterstützenden Umgebung arbeiten können. Diese Arbeit ist jedoch zurzeit noch ehrenamtlich und muss langfristig durch zusätzliche Einnahmen finanziert werden. Robert Dadanski erwähnt, dass es eine mögliche Lösung hierfür gibt. Diese bietet der Regenbogen-Online-Shop „PrideMerch.de by Team-Behinderte„, der als Einnahmequelle für den Verein dienen und langfristig Arbeitsplätze schaffen soll. Pridemerch.de by Team Behinderte biete eine bunte Auswahl von Armbändern über Pride-Flaggen bis hin zu T-Shirts, Stickern und weiteren Accessoires an.
Außerdem betont Robert Dadanski, wie wichtig es ist, das Engagement und die Arbeit von Menschen mit Behinderungen sichtbar zu machen und weiterzuentwickeln. Zur Namensgebung des Onlineshops fügt er hinzu:
„Wir wollen es nicht verstecken, dass es von Team-Behinderte ist, ganz im Gegenteil, wir wollen es zeigen und es soll wachsen.“
Die Suche nach Fördermitteln für dieses Inklusionsprojekt verlief jedoch bisher ohne Erfolg. Die Zuständigkeitsfragen zwischen Integration-, Sozial- und Wirtschaftsbehörden führten zu langwierigen Abstimmungsprozessen, die das Vorhaben um Monate verzögerten. Trotzdem hält Queer Cities e.V. an dem Projekt fest und bemüht sich über Öffentlichkeitsarbeit, Einnahmen aus dem Online-Shop und Spenden das nötige Kapital aufzubringen, um das Ziel einer gemeinnützigen GmbH und bezahlter Stellen zu erreichen.
Initiativbewerbung mit Team-Behinderte
Die Sozialarbeiterin und Mitarbeiterin im Projekt „Initiativbewerbung mit Team Behinderte“ Alexandra Aaron erläutert, wie Queer Cities e.V. auf die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen erfahren müssen, reagiert hat. Mit einem Projekt für Menschen mit Behinderungen möchte das Team Barrieren abbauen und Teilnehmende aus Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt integrieren. Dabei geht es nicht um eine schnelle Vermittlung, sondern um eine umfassende, individuelle Unterstützung.
Die Teilnehmenden bekommen die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsbereiche kennenzulernen, wie zum Beispiel in der Hauswirtschaft, Gartenarbeit, Holz- und Metallbearbeitung oder Büroarbeit. Ziel ist es, ihre eigenen Interessen und Stärken zu entdecken und mehr Selbständigkeit zu entwickeln und zu fördern. Wichtige Themen wie Rechte und Pflichten im Arbeitsleben sowie Unternehmensstrukturen werden ebenfalls behandelt.
Ein entscheidender Unterschied zu bestehenden Programmen ist die Möglichkeit für Arbeitgeber*innen, die Teilnehmenden in einer stressfreien Atmosphäre kennenzulernen. Nach einer erfolgreichen Vermittlung bleibt Queer Cities e.V. ebenfalls als Ansprechpartner zur Verfügung und unterstützt die Teilnehmenden bei möglichen Fragen oder Konflikten. Zudem wird der Austausch zwischen Teilnehmenden gefördert, sodass sie ihre Erfahrungen weitergeben und zu Mentor*innen werden können.
Ein riesiger Erfolg des Projektes ist, dass auch wenn dieses Projekt erst seit August mit den ersten Gruppentreffen gestartet ist, bereits Anfang November das erste Vorstellungsgespräch mit einem Arbeitgeber realisiert hat und die Einarbeitung auf seinen neuen Arbeitsplatz am Ersten Arbeitsmarkt starten kann.
Letztendlich ist typisch bei uns untypisch
Als ich das Team frage, wie denn ein typischer Tag abläuft, antwortet Alexandra Aron:
„Oje. Das ist immer wieder meine Lieblingsfrage. Wir haben keinen typischen Arbeitsalltag. (…) Also wir haben dann (oft) ganz tolle Pläne gemacht und es kann sein, dass am nächsten Tag schon wieder alle Pläne umgeschmissen sind, weil irgendjemand spontan reinkommt und sich eine tolle Gelegenheit ergibt, die wir natürlich auch immer ergreifen.“
Robert Dadanski erklärt, dass das Projekt „Initiativbewerbung mit Team Behinderte“ innerhalb fester Zielvorgaben arbeitet, die für den Erhalt von Fördermitteln notwendig sind. Doch in der Praxis muss das Team immer wieder improvisieren, um die Anforderungen zu erfüllen. So wurde zum Beispiel eine barrierefreie Rampe zur Auflage, obwohl das Gebäude ursprünglich nicht dafür ausgestattet war. Das Team bezeichnet diesen Modus als „Feuerwehrmodus“: Man beginnt mit einem Plan und endet meist damit, spontan Lösungen für ganz andere Herausforderungen zu finden.
Engagement ist notwendig
Als ich die drei nach ihrem ehrenamtlichen Engagement frage, wurde nochmal deutlich, dass sie aus tiefster Überzeugung und Freude bei Queer Cities e.V. mitwirken. Alexandra Aron betonte, dass es „unanständig wäre, es nicht zu tun“, dass die Arbeit mit so einer bunten und engagierten Gemeinschaft nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist.
Die Organisation Queer Cities e.V., so erklärte Johann Cau, versteht sich als eine „Regenbogenorganisation“, in der es nicht nur um die Präsentation der Vielfalt geht, sondern auch um das gemeinsame Engagement von Menschen unterschiedlichster Hintergründe für ein respektvolles und inklusives Miteinander.
Ein besonderer Aspekt von Queer Cities e.V. ist der Ansatz, aktiv zu handeln, anstatt nur zu reden, wie Robert Dadanski betont. Sie initiieren Spendenaktionen oder bieten Lösungen für Herausforderungen an, ohne dies politisch zu kommentieren.
Für alle Beteiligten ist diese Arbeit nicht nur ein Job, sondern auch ein persönliches Anliegen, geprägt von einer Vielzahl an besonderen Momenten. Die beeindruckend gebaute Rampe, die Eröffnung der Spendenstation, der Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen und noch so vieles mehr machen Queer Cities e.V. zu einem Ort, an dem sich jede*r willkommen und geschätzt fühlt.
Um noch mehr über Queer Cities e.V. zu erfahren, gelangt ihr über den Link auf die Website des Vereins. Dort könnt ihr ebenfalls Spenden einreichen, mit denen Queer Cities e.V. seine Projekte und Initiativen realisieren kann. Außerdem werden Hilfsgüterspenden, wie erwähnt, dienstags und samstags in der Konsul-Smidt-Straße 11 gerne angenommen, um geflüchteten Menschen weiterhin Unterstützung zu bieten. Die Förderung des Projektes Initiativbewerbung mit Team Behinderte läuft am 14 Dezember ab. Unter folgendem Link habt ihr die Möglichkeit, die Petition zum Fortbestand zu unterzeichnen.
Smilla Wiesner
Schreibe einen Kommentar