Ein 16 jähriges Mädchen aus Afghanistan, ganz alleine ohne ein Wort Deutsch zu reden oder zu verstehen, so kam ich vor drei Jahren nach einer langen Flucht in Bremen an.
Was denken Sie denn, wenn Sie gerade hier „Afghanistan“ lesen? Welches Bild haben Sie von dem Land?

© Marjan Amiri
Ich kann schon Ihre Gedanken lesen. Sie haben leider Recht. Mein Vaterland Afghanistan leidet ununterbrochen seit Jahren unter dem schrecklichen Phänomen “Krieg“. Afghanistan ist ein Land, wo täglich statt Wasser, das Blut der Menschen in seine Rinnsteine fließt. Ein Land, wo die Landschaft zerstört, die Gebäude und Straßen kaputt, junge Menschen arbeitslos sind, sie verhungern. Dort macht der tägliche Lärm der Explosionen die Menschen verrückt. Die Mütter verlieren ihre Kinder und die Kinder ihre Väter. Wo nicht nur Frauenvergewaltigungen, sondern auch Kindervergewaltigungen noch sehr schamlos ignoriert werden.
Vielleicht habe ich deswegen unüberlegt ganz alleine eine solche Flucht gewagt
Ich wollte weg, komplett aus dem Land weg. Egal wo, egal wie, NUR WEG. Vielleicht habe ich deswegen diese Entscheidung nie bereut; auch damals nicht als ich zum zweiten Mal in meinem Leben eingeschult wurden. Nicht in der Heimat, wo ich die beste Schülerin meiner Schule war, sondern in einem europäischen Land, dessen Kultur, Menschen und vor allem dessen Sprache mir fremd waren.
In den ersten Tagen hatte ich das Gefühl, dass ich die bittere und schmerzhafte Seite meines Lebens hinter mir habe. Aber es hat nicht lange gedauert bis mir bewusst wurde, dass in der neuen Heimat die Flucht nur ein Bruch in meinem Leben war. Ich musste mein Leben von null anfangen. Für meine Mitschüler war ich nur eine ausländische Mitschülerin, die sich nur auf Englisch unterhalten konnte. Alle redeten eine Sprache, von der ich gar keine Ahnung hatte. Der Unterricht auf Deutsch- ich habe kaum etwas verstanden.
Zwei Wochen später habe ich zum ersten Mal eine Klausur auf Deutsch geschrieben

Fast alle meine Mitschüler waren damit fertig, als ich immer noch mit der ersten Aufgabe beschäftigt war. Das Gefühl, die schwächste und dümmste Schülerin zu sein, war schrecklich. Den ganzen Vormittag in der Schule zu sein, aber kaum reden zu können, war der qualvollste Kampf meines Lebens. Nach Monaten veränderte das Wort „Schule“ seine Bedeutung für mich komplett. Sie war einfach grauenhaft.
Zwischenzeitig musste ich oft zu Behörden, um mir eine legale Aufenthaltserlaubnis zu besorgen. Außerdem wurde ich darüber interviewt, warum ich meine Heimat verlassen habe und nach Deutschland gekommen bin. Wie ich nach Deutschland kam. Wie und durch welche Länder die Flucht ging und viele andere unangenehme Fragen, die mich schwer belastet haben. Nicht nur weil sie mir sinnlos schienen, sondern auch weil mir das Gefühl gegeben wurde, keiner will mir glauben.
Mit dem grausamen Gefühl lebe ich immer noch weiter. Seit drei Jahren läuft mein Asylverfahren ohne eine Entscheidung. Seit drei Jahren ändert sich nichts an meinem Status, nur der Schmerz und die Qual vergrößern sich und wirken nun wie ein Gift auf jedes einzelnen Organ meines Körpers.
Während alle meine Mitschüler darüber nachdenken, nach der Schule eine Pause zu machen oder ins Ausland zu gehen, sind meine Gedanken damit beschäftigt, wie und wann mein Asylverfahren endlich entschieden wird.
Falls es immer noch so unentschieden bleibt, würde ich meinen Wohnort nicht wechseln dürfen. Mit dem Studieren wird das schwierig und wäre begrenzt auf ein paar Universitäten. Ich würde keine Bafög beantragen dürfen und im Ausland eine neue Sprache zu lernen, würde bloß ein Traum bleiben. Zurzeit gehe ich auf ein Gymnasium und nächstes Jahr mache ich mein Abitur. Einerseits muss ich mich auf die Schule konzentrieren, um in dieser Fremdsprache ein gutes Abitur zu schaffen und meinen Traum, nämlich das Studieren, zu verwirklichen. Andrerseits muss ich mich damit befassen, wie mein Leben in einem Jahr sein wird, wenn ich das Abitur schon geschafft habe, aber trotzdem nicht studieren darf auf Grund des laufenden Asylverfahrens. Solche Gedanken machen mir das Leben schwer und sie belasten mich immer wieder.

In Deutschland habe ich die Sprache gelernt. Mittlerweile schreibe ich auf Deutsch poetische und literarische Texte wie zum Beispiel Gedichte, die ich in der Zukunft in einem Buch zusammenfassen und herausbringen will. Außerdem habe ich mich hier gut integriert, indem ich vieles über die Gesetze, Kultur und Gewohnheiten der Deutschen weiß, aber leider fühle ich mich hier immer noch nicht willkommen. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages als eine normale Bürgerin des Landes akzeptiert werde und mir nie wieder Gedanken über eine unsichere Zukunft machen muss.
Marjan Amiri
Schreibe einen Kommentar