Rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse, die vom 27. bis 30. April 2023 stattfand, erschien Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut der Autorin Stevie Schmiedel“.
Buch und Autorin
Stevie Schmiedel, Jahrgang 1971, ist promovierte Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Genderforschung und Gründerin von Pinkstinks. „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne“ ist ihr Erstlingswerk und ein Versuch der Versöhnung zwischen den verhärteten Fronten innerhalb des Feminismus.
Das 256 Seiten umfassende Buch ist in sieben Kapitel aufgeteilt, in denen Schmiedel vom Streit der Generationen über Sexismus in der Werbung bis zu Gendersprache und dem Streit um Transrechte grundlegende Diskussionspunkte der letzten Jahre erörtert. Dabei ist sie bemüht, mithilfe ihrer Erfahrungen als Genderforscherin und als jahrelange Aktivistin einen „produktiven Dialog zwischen Jung und Alt, konservativ und progressiv (…) ‚woke‘ und ‚klassisch‘, zwischen Alt und Neu“ anzustoßen. (Schmiedel, Seite 12)
Machtlosigkeit einer jungen Generation
Die Autorin blickt hierfür erstmal auf die These des „Penisneids“ von Sigmund Freud zurück, welche Folgendes behauptet: Die Töchter seien neidisch auf den Penis des Vaters und stehen in Konkurrenz zur Mutter. Die Annahme ist längst überholt und widerlegt, Neid des Mädchens auf den Vater besteht aber dennoch – auf seine Freiheit, auf seine Macht. Schmiedel schreibt, dass die heutige Mädchen-Generation Machtlosigkeit erlebt, weil sie sieht, dass ältere Frauen in den sozialen Medien und der Populärkultur kaum präsent sind. Sie bemerkt, wie sehr ihre Mütter in den Wechseljahren zu kämpfen haben (Schmiedel, Seite 29) und weiß, wie viel Geld sie im Laufe des Lebens für Periodenprodukte ausgeben, nämlich den Wert eines Kleinwagens. (Schmiedel, Seite 33) Dies alles bringt Stevie Schmiedel zu der Frage, ob sich diese junge Generation eine Macht losgelöst von der Gebärmutter wünscht und deswegen die Transdebatte gerade so im Fokus ihres feministischen Diskurses steht. (Schmiedel, Seite 33)
Die richtige Diskussionskultur?
Die gelegentliche Radikalität in der Debattenführung jüngerer Menschen hebt sie wenige Seiten später lobend hervor: Laut werden mit Provokation und Übertreibung bringt die Gesellschaft dazu, genauer hinzuschauen. (Schmiedel, Seite 41). Und auch bei der Titelgebung des Buches scheint dieser Gedanke Anstoß gewesen zu sein. Gleichzeitig gibt sie zu bedenken, dass radikale Haltungen an sich verhindern könnten, mehr Menschen für den intersektionalen Feminismus einzunehmen. Lieber solle der intersektionale Feminismus nach und nach an jene herangetragen werden, die unkundiger in feministischen Themen sind – auch wenn diese Art des Vorgehens insbesondere bei inklusiver agierenden Feministinnen keinen Anklang findet. (Schmiedel, Seite 63)
Ihre mentale Wendigkeit hilft Stevie Schmiedel im Laufe des Buches immer wieder verschiedene Sichtweisen herauszuarbeiten, um besagte produktive Dialoge anzustoßen. Äußert sie auf einer Seite noch Kritik an der ihrer Meinung nach zu forschen Rede auf einer Weltfrauentagsdemonstration, (Schmiedel, Seite 61), gibt sie auf der nächsten Seite zu, dass es nicht unproblematisch sei, zu schreiben, dass bestimmte Positionen und Vorwürfe des Feminismus abschreckend wirken können. (Schmiedel, Seite 62) Dass sie mit dem, was sie tut oder eben nicht tut, auf Gegenwind stößt, musste Stevie Schmiedel schon mit der Gründung der Organisation und des Online-Magazins Pinkstinks erfahren: Eine Artikelreihe wurde von Links heftig kritisiert, fehlende Inklusivität der Artikel war die Hauptkritik. Dies ist nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Dennoch plädiert sie dafür, dass die Mehrheitsgesellschaft in kleinen Schritten an die Themen herangeführt werden sollte – und auch mehr Miteinander im Feminismus statt Tadel und Strenge würde der Bewegung helfen.
#MeToo und der Sexismus in der Werbung
Der #MeToo-Bewegung widmet sich die Autorin recht ausführlich. Sollte bei #MeToo hauptsächlich auf Belästigung am Arbeitsplatz aufmerksam gemacht werden, wirkte sich die Bewegung anschließend auch auf die Aufklärung über Sexismus in anderen Feldern wie der Politik oder der Kultur aus. (Schmiedel, Seite 105). Beeinflusst hat #MeToo auch den Kampf gegen Sexismus in der Werbung. Hier hat mittlerweile ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, größere Werbeagenturen sind sensibilisiert gegenüber Sexismus in der Werbung. Sogenannte „Blickfangwerbung“ wird immer seltener, in welcher ohne Zusammenhang zum eigentlichen Produkt alles mit einer nackten Frau beworben wurde. (Schmiedel, Seite 117)
Schmiedel gibt zudem Einblicke in die jahrelange aktivistische Arbeit, die sie mit Pinkstinks gegen Sexismus in der Werbung geführt hat. Heutzutage hält sie sogar mit Werbeagenturen Vorträge über moderne Werbung ohne Diskriminierung. (Schmiedel, Seite 122). In Deutschland haben inzwischen sieben deutsche Städte ein Gesetz gegen Sexismus in der Werbung erlassen. Eine davon ist Bremen. (Schmiedel, Seite 112)
Aktuelle Diskussionen
Während die aktivistische Arbeit im Bereich der Werbung Früchte getragen hat, ist die Gendersprache in aktuellen Diskussionen noch hochumstritten. Doch Sprache ist schon immer im Wandel gewesen, argumentiert die Autorin, und beeinflusst Kinder zudem schon in jungen Jahren. Frauen werden durch das Gendern in der Sprache sichtbarer und dadurch gefördert. Schmiedel selbst gendert nicht durchgängig im Buch, spricht sich aber dafür aus, es immer wieder in Alltagssituationen einfließen zu lassen und so nach einer Weile auch hier ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden zu lassen. Insgesamt plädiert Schmiedel dafür, Geschlechtergrenzen aufzulösen und zu unterwandern und damit von den toxischen Eigenschaften wegzukommen, die klischeehaft Männern oder Frauen zugeordnet werden.
Das Schlusswort des Buches betont abermals, wie wichtig gegenseitiges Verständnis und Kommunikation ist und unterstreicht die Wichtigkeit von Kompromissen. Altes mit Neuem verbinden und so die Angst vor Neuem durch steten gesellschaftlichen Wandel nehmen, ist einer ihrer Lösungsvorschläge wie zukünftige Diskussionen und Streitpunkte begangen werden könnten.
Fazit
Stevie Schmiedel schreibt eingängig und informativ, ohne belehrenden Zeigefinger. Dabei lässt sie die unterschiedlichen Positionen und Blickwinkel gegnerischer Lager nie außer Acht und bringt so auch die Leser*innen zum Nach- und vielleicht auch gelegentlichem Umdenken. Einziger Nachteil des stetigen Suchens nach Kompromissen könnte sein, dass Menschen sich in einzelnen Lösungsvorschlägen nicht gesehen fühlen. Auch ist öfter ein aufmerksameres und konzentriertes Lesen erfordert. Wer eine Person im Sinn hat, die mehr an feministische Themen herangeführt werden sollte, liegt mit diesem Werk absolut richtig. Als Lektüre zur gegenseitigen Verständigung ist das Buch ebenfalls zu empfehlen.
Svenja Fiedler
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