Ich bin 23 Jahre alt, als mir erzählt wird, dass es das Jungfernhäutchen nicht gibt. Zumindest nicht so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Und das, war so ungefähr wie die Alu-Abdeckung über dem Nutellaglas. Tja, es existiert nicht. Hat es nicht, wird es nie. Der nächsten Frau, der ich das erzähle ist 71. Sie hat davon auch noch nie was gehört. Meine Freund*innen schauen mich ungläubig an, nachdem ich ihnen ganz aufgeregt von meiner neuen Entdeckung erzähle. Die wussten das auch noch nicht. Wie kommt es, dass diese nicht ganz unwichtige Information über den weiblichen Körper für so viele Menschen unterschiedlichsten Alters etwas komplett Neues ist? Ein Text über den Mythos des Jungfernhäutchens.
Mystifizierung eines Hautlappens
Erstmal Fakten auf den Tisch: Das Jungfernhäutchen, auch Hymen genannt, funktioniert ganz und gar nicht wie in meiner Nutellaglas-Vorstellung. Das Jungfernhäutchen ist viel mehr eine Art weicher Hautlappen, der die Vagina nicht verschließt, sondern ihren Eingang umrandet. Und dieser dehnbare Hautlappen ist bei jeder Frau verschieden. Breit oder schmal, fest oder weich. Und jetzt das wichtigste: Bei fast allen Frauen ist eben dieser Saum nach dem ersten Mal Sex, und sogar nach einer Geburt, noch intakt.
Die weit verbreitete Vorstellung, dass das Jungfernhäutchen also bei dem ersten Mal Sex ‚zerstört‘ wird, ist schlichtweg falsch. Wäre dem so, bräuchten Mädchen und Frauen, die bisher noch keinen Sex hatten, oder nie welchen haben wollen, sich ja auch keine Gedanken um Menstruationsartikel zu machen – bleibt ja alles drin, ist ja versiegelt.
Der Mythos einer straffen Haut, die die Vagina verschließt, ist vermutlich auch einer der Gründe, warum Mädchen und Frauen oft so große Angst vor dem ersten Mal Sex haben. Die Vorstellung das eben diese straffe, verschließende Haut zerstört wird, ist ja auch eine beängstigende Vorstellung. Die Sorge,dass der erste Sex angeblich weh tun soll, ist leider zur Normalität geworden und wird kaum hinterfragt.
Das blutige Laken
Ein weiterer Mythos der das Jungfernhäutchen betrifft, ist dass Mädchen und Frauen nach dem ersten Mal Sex bluten. In vielen Kulturkreisen und Religionen spielt es eine große Rolle, dass Frauen jungfräulich in die Ehe gehen. Das Blut auf dem Bettlaken nach der Hochzeitsnacht gilt immer noch als untrüglicher Beweis für die Jungfräulichkeit. Fakt ist aber:
„4 von 5 Mädchen erleben beim ersten Geschlechtsverkehr weder Schmerzen noch Blutungen. Die weiche, nachgiebige Beschaffenheit des Hymens lässt es meist nicht zum Einreißen unter Blutung kommen.“ Das Jungfernhäutchen – Mythos und Wirklichkeit, Alles klar!, 2009
Fast genauso weit verbreitet ist der Glaube, dass bei einer ärztlichen Untersuchung festgestellt werden kann, ob ein Mädchen oder eine Frau schon einmal Sex hatte. Auch hier sehen die Fakten anders aus. Pro familia schreibt dazu, Studien würden zeigen, dass viele sexuell aktive Frauen keinerlei Verletzungen des Jungfernhäutchens vorweisen. Im Gegenzug würden Frauen, die noch nie Sex hatten, oft ein nicht intakt aussehendes Jungfernhäutchen haben. Weiter wird in dem Informationspapier von pro familia aufgeführt, dass alleine der Fakt, dass solche Untersuchungen noch oft durchgeführt werden, bestätige, dass sogar unter Ärzt*innen dieser Mythos verbreitet sei.
Lets talk about Jungfräulichkeit
Das alles wusste ich vor der Recherche für diesen Artikel nicht. Denn trotz all der Fakten, trotz der Organisationen und Kampagnen, die für eine Entmystifizierung des Jungfernhäutchens kämpfen, habe ich immer noch viele falsche Informationen gefunden. Solche, die die Mythen rund ums Jungfernhäutchen, die eh schon in den Köpfen vieler Menschen existieren, auch noch festigen.
Wir brauchen aber das genaue Gegenteil! Nämlich Aufklärung über das Thema. Damit man nicht erst mit 23 oder 71 davon erfährt.
Und damit ein Hautlappen nicht eine solche Macht über Mädchen und Frauen hat. Es ist nur ein verdammter Hautlappen.
Katja Hoffmann
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