Jede, die sich in den ersten Tagen des Monats September noch etwas am Sommer festhalten möchte wie an einem Cocktail-Strohhalm, kommt vielleicht auf die Idee, sich den kürzlich angelaufenen Film Freibad von Doris Dörrie im Kino anzuschauen. Diese Rezension fasst einmal zusammen, warum das nicht die beste Idee ist, auch wenn der Film auf den ersten Blick wunderbar divers und feministisch aussieht.
Eine kurze Zusammenfassung
Bei bestem Sommerwetter und heißer Grillluft im letzten verbleibenden Frauenbad Deutschlands kommt der Film „Freibad“ gleich zur Sache: es gibt Ärger im Paradies. Das Idyll, welches Damen wie die ehemals-berühmte Sängerin Eva (Andrea Sawatzki) und die reich-verheiratete Lehrerin Gabi (Maria Happel) bisher für sich genossen haben, muss nun geteilt werden. Und das ausgerechnet mit einer jungen Frau im Burkini (Yasemin, gespielt von Nilam Farooq) und deren nachfolgender türkischer Familie. Schnell treffen verschiedene Kulturen aufeinander, zwei Polizeieinsätze folgen, und an die Regeln des Freibads hält sich ohnehin niemand so wirklich, auch wenn diese oft zu verschiedenen Zwecken zitiert werden.
Das Personal – bestehend aus der Schwimmmeisterin Steffi (Melodie Wakivuamina), der Budenbetreiberin Kim (Nico Stank) und der selbsternannten Kapitänin bzw. Eingangskontrolleurin Rocky (Lisa Wagner) – ist weitestgehend überfordert. Als es zwischen den alteingesessenen deutschen Damen, der türkischen Familie und einer Gruppe Burka-tragender arabischer Frauen nach einer knappen Hälfte des Films zur Eskalation kommt, schmeißt Bademeisterin Steffi das Handtuch. Damit das Freibad nicht schließen muss, muss eilends Ersatz her – und der kommt ausgerechnet in Form eines Mannes. Damit ist das Chaos perfekt und der Film diskutiert bis zum Ende, wer denn nun in ein Frauenbad darf und was Freiheit überhaupt bedeutet. Dabei beruht der Film auf wahren Gegebenheiten des Freibads in Freiburg im Sommer 2017. Die filmische Umsetzung ist allerdings fraglich.
Kritik
Der Film Freibad verkauft sich selbst als Komödie. Der Trailer ist überaus witzig zusammengeschnitten – witziger vielleicht, als der Film es selbst zu sein schafft. Die Prämisse ist zugegebenermaßen spannend: der Film vereint zahlreiche Perspektiven jedes Alters, jeder Herkunft, jeder Körperform, einiger Hautfarben und beinhaltet sogar einen transgender Blickpunkt. Gerade die Anfangssequenz zeigt viele verschiedene Körper als ganz selbstverständlich im Freibad, sowohl im Wasser als auch sonnend auf dem Rasen. Das lässt auf einen klugen Film zum Thema Inklusion und Diversität hoffen, wobei allerdings beides kaum erreicht wird.
Kritikpunkt 1: Klischees. Der Film bedient sich einiger Klischees, welche die Kulturen gegeneinander ausspielen sollen. Dabei fallen vorwiegend von den Feministinnen des letzten Jahrhunderts, Eva und Gabi, so einige problematische Kommentare. Vor allem Eva versteht sich als Frauenrechtlerin, die nun allerdings so einige Probleme mit den neuen Burkini-tragenden Besucherinnen des Freibads hat. Früher war Evas Schlagersong „Freiheit“ mal ein großer Hit. Nun ist es ausgerechnet dieser Song, den das Freibad täglich als Rausschmeißer-Melodie spielt. Ein ironischer Kniff mit eindeutiger Botschaft, den man dem Film zugegebenermaßen lassen muss. Insgesamt ist Ironie vor allem zu Anfang des Films eine treue Begleiterin, und das nicht nur bei der Tatsache, dass ausgerechnet die Burkini-tragende und daher verurteilte Yasemin Germanistik studiert. Auch die runde und Hermès-Schal tragende Gabi, welche sich über Kopftücher und andere kurvige Frauen lustig macht, fällt dadurch auf, dass sie beide Attribute selbst verkörpert. Weniger ironisch ist hingegen Gabis Angriff auf die transgender-Budenbetreiberin Kim, welche den Film über Würstchen verkauft und auch die Bude jeden Morgen mit aufgeblasenen Würstchen ausstattet. Eine Szene, wie die Plastikwurst vor Kims Körper sich morgens aufbläst und der damit einhergehende Peniswitz wäre vielleicht noch verständlich gewesen. Den gleichen Witz allerdings gleich drei bis vier Mal in einem Film zu machen, scheint übertrieben.
Kritikpunkt 2: Fehlende Tiefe. Da die Charaktere des Films alle verschiedene Gruppen und Standpunkte vertreten sollen, geht es wenig in die Tiefe. Ausgerechnet Eva bekommt einen tragischen Hintergrund, und Gabis Geschichte lässt sich zumindest erahnen, während die türkischen und arabischen Charaktere weniger detailliert dargestellt werden. Zwar gehört die leidenschaftlich schwimmende Yasemin zu den Hauptfiguren des Films, jedoch werden ihre Motivationen und Schwierigkeiten nur im Gespräch zu ihrer Mutter Emine (Ilknur Boyraz) kurz erklärt. Emine selbst hätte als geschiedene Türkin, die nicht schwimmen kann, noch einiges an Potential gehabt, allerdings wird ihre Geschichte nur in vereinzelten Sekunden erzählt. Noch weniger Informationen bekommen wir über Kamila (Sabrina Amali) und ihre arabischen Freundinnen. Aber auch der rundlichen Paula (Julia Jendrußek) fehlt es an Tiefe. Diese taucht eines Tages im Freibad auf, anscheinend zutiefst fasziniert von – oder vielleicht sogar verliebt in – die regelmäßig dort schwimmende Yasemin. Doch kommt es trotz Paulas ständiger Bemühungen kaum zu einem interkulturellen Austausch, sodass Paulas Geschichte sie zu Kim führt, wo sich ein neues romantisches Interesse entwickelt – angedeutet durch einen unterbrochenen Kuss im Zelt. Die zweite Romanze spielt sich zwischen dem neuen Bademeister Nils (Samuel Schneider) und der durchtrainierten Kapitänin Rocky ab. Doch auch diese beiden Figuren sind kaum entwickelt, auch wenn sie einige Gender-Erwartungen auf charmante Art und Weise auf den Kopf stellen.
Kritikpunkt 3: Fehlende Handlungsstruktur. „Freibad“ ist in einen klaren Tages- und Nachtrhythmus gegliedert. Dieser wird regelmäßig durch das Schließen der Tore, dem Licht und der Songauswahl, sowie der wiederkehrenden Leere im Freibad kommuniziert. Abgesehen davon jedoch scheint es im Film wenig Handlungsstruktur zu geben. Statt sich langsam aufzubauen, steigt der Film mit dem ersten Polizeieinsatz bereits in den ersten Minuten groß ein. Danach folgen Gemeinheiten und Missverständnisse aufeinander, ohne am Ende ganz gelöst zu werden. Wie ein Freibad auch scheint der Film dadurch mehr oder weniger chaotisch. Es ist laut, es wimmelt, es entsteht eine große Welle – aber eine zusammenhängende Geschichte gibt es nur, wenn man das Freibad selbst als zentrales Stück des Films betrachtet, was es zugegebenermaßen auch ist.
Fazit
Insgesamt hat sich der Film mit seinen vielen Personen vielleicht einfach zu viel vorgenommen. Am Ende eines Films, der auf Diversität, Witz und Sommer hoffen ließ, bleiben eher Verwirrung und Enttäuschung zurück. Die Hauptaussagen von „Freibad“ über Inklusion versus Einsamkeit sind sehr offensichtlich und werden nicht feinfühlig genug umgesetzt. Es bestehen einige strukturelle Mängel, vor allem im Bezug auf überzogene Klischees, problematische Aussagen welche nur bedingt kritisiert werden, fehlende Charaktertiefe, und mangelnde Handlung. Dennoch muss man sagen, dass zumindest die diverse Besetzung und das dargestellte Körperbild etwas Positives sind. Zudem ist es nach wie vor selten, einen Film zu schauen, der zu 95 Prozent aus weiblich-gelesenen Charakteren besteht. Auch gibt es durchaus hier und da einige charmante Momente, von verdrehten Gender-Erwartungen oder auch von jahrelanger Freundschaft. Diese Momente reichen allerdings im Endeffekt nicht aus, um den Film wirklich sehenswert zu machen. Wer sich authentische Begegnung und Diversität in einem charakter- und stimmungsstarken Setting anschauen mag, ist daher vielleicht statt im Freibad besser im Krankenhaus aufgehoben: dort spielt der französische Film In den besten Händen – eine Produktion aus dem Frühling, die auch für den Herbst noch geeignet ist.
Jack
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