Schweres Heben in der Schwangerschaft ist gefährlich. Weiß doch jedes Kind, oder!? Tatsächlich gibt es keine wissenschaftlich definierte Grenze, wieviel Schwangere heben dürfen. Die einzige offizielle Angabe in diesem Zusammenhang steht im Mutterschutzgesetz: Regelmäßig Lasten von mehr als 5 kg heben zu müssen ist für Schwangere nicht zulässig. Doch auch diese pauschale gesetzliche Regelung stützt sich nicht auf medizinische Studien.
Lisa liebt Sport
Lisa (35 Jahre) macht seit 2014 Crossfit. Sportlich war sie auch vorher schon. 2020 wurde sie schwanger. Auf die Idee, deswegen komplett auf Kraftsport zu verzichten, kam sie nicht. Auch das andere Extrem, keinerlei Rücksicht auf den sich verändernden Körper zu nehmen, kam für sie nicht in Frage. Also las sie sich nicht nur selbst viel Wissen zum Thema an, sondern beriet sich auch eng mit ihrem Trainer, der Ahnung von der Materie hatte und ihren Trainingsplan individuell an die neue Situation anpassen konnte. Wichtig dabei: die individuelle Grundfitness und vorhandene Kenntnisse der richtigen Technik.
Lisas Trainingsplan während der Schwangerschaft
In den ersten Wochen trainierte Lisa mit 90 Prozent ihres ursprünglichen Trainingsgewichts, gegen Mitte der Schwangerschaft reduzierte sie weiter auf 75 Prozent. Im letzten Trimester waren dann 55 Prozent das Maximum. Ab Woche 24 vermied Lisa Übungen in flacher Rückenlage, sondern trainierte stattdessen in Schräglage. Nicht alle Übungen machen für Schwangere Sinn. Beispielsweise Reißen (beim Crossfit als „Snatch“ bezeichnet), also das Heben des Gewichts vom Boden eng am Körper entlang bis über den Kopf, funktioniert mit gewölbtem Bauch logischerweise nicht mehr wirklich gut. Es birgt aufgrund der schweren Stange Verletzungsgefahr sowie das Risiko, sich dauerhaft einen falschen Bewegungsablauf anzutrainieren. Auch Übungen für die gerade Bauchmuskulatur sind tabu. Generell sollte totales Auspowern mit stark beschleunigter Atmung und sehr hohem Puls vermieden werden,
da der Körper und das Herz-Kreislauf-System auch im Ruhezustand schon mehr arbeiten müssen als vor der Schwangerschaft. Wichtig ist dabei immer, auf den eigenen Körper zu hören. Auch Trainierte sollten also auf ihre Tagesform achten und sich bei Müdigkeit, Formtiefs, Rücken- oder Kopfschmerzen zurückhalten.
Wie rohe Eier?
Schwangere werden gerne wie rohe Eier behandelt. Bereits bei der kleinsten sichtbaren Bauchwölbung werden ihnen von wohlwollenden Mitmenschen die Einkaufstüten aus den Händen gerissen. Sobald das Kind dann aber da ist, steht die frischgebackene Mama mit drei Einkaufstüten und Kinderwagen an der fahrstuhlbefreiten Treppe zur U-Bahn und alle gucken nur doof. Das ist absurd, findet Lisa. Anders als während der Schwangerschaft geht direkt danach außer Atemübungen körperlich nämlich erstmal nix. Acht Wochen nach der Geburt hat sie mit einem Rückbildungskurs angefangen, der über drei Monate ging. Zum 1. Geburtstag ihrer Tochter war sie ungefähr wieder auf ihrem ursprünglichem Fitnesslevel.
Aufklärung tut Not
Beim Training wurde Lisa gelegentlich angesprochen, ob das denn wohl alles so gut sei mit dem vielen Gewicht. Dabei äußerten die Leute allerdings nicht nur Unverständnis und Kritik, sondern auch ehrliches Interesse. Nach diesen Gesprächen hatte Lisa oft den Eindruck, dass dem Thema mehr Austausch und Aufklärung guttun würde. Auch wenn sich in Sachen Bewegung während der Schwangerschaft in den letzten Jahren so einiges getan hat, sind die meisten Ärzte bei der Beratung immer noch eher konservativ-defensiv unterwegs. Häufig liegt das schlicht daran, dass Gynäkologen eben keine Sportmediziner und daher nicht ausreichend über das Thema informiert sind. Frauen, die trainieren wollen, haben daher oft Angst, etwas falsch zu machen. Den größten Einfluss hat dabei die veraltete Einstellung, dass Schwangere sich schonen sollten, obwohl die Realität häufig eher so aussieht, dass sich viele Schwangere zu wenig bewegen. Und das ist schade, denn: Wer trainiert ist, erlebt die Geburt oft als weniger anstrengend. Die erste Geburtsphase (Eröffnung) ist häufig kürzer. Eine Geburt ist eben auch eine sportliche Herausforderung; und sportlich aktive Mütter bekommen außerdem seltener makrosome Kinder (Geburtsgewicht über 4 kg). Auch die Wahrscheinlichkeit für ungeplante Kaiserschnitte, perinatale Depression (kurz vor, während und kurz nach der Entbindung) und Schwangerschaftsdiabetes sinkt.
Also, liebe werdende Mütter, ran an die Gewichte, wenn ihr mögt und es gesundheitlich vertretbar ist! Nicht vergessen: Es geht so einiges, aber nix muss.
Anja Hermann
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