Es ist mal wieder so weit. Der Moment, in dem ich auf mein Leben, vor allem aber auf mich selbst schaue, und mich frage, warum denn bitte mal wieder nichts passt. Die Rede ist ausnahmsweise mal nicht von Klamotten, sondern von Labels. Man sollte fast meinen, nach dem Coming-out ist die Sache geklärt. I’m a gay cis woman. Congratulations. Wenn es doch mal so einfach wäre.
Butch vs. Femme
Das Erste, worüber man dann doch bitte nachdenken könnte und sollte, ist die Frage: butch oder femme? Das eine wird meist maskulin, das andere eher feminin gelesen. Laut Kerry Manders leitet sich butch tatsächlich von dem Wort „butcher“ (zu deutsch: Metzger) ab. Verbreitet wurde die Kurzform „butch“ vor allem durch die Bekanntheit des berühmten Revolverhelden Butch Cassidy. Butches, wie sie in der Mehrzahl heißen, sind also richtig tough. Die Art von Frau, bei der deine Oma vom Hocker fällt, wenn du sie als Freundin mit nach Hause bringst. Die mit den tollen kurzen Haaren, die auch noch richtig gut handwerken kann. Angeblicherweise.
Femmes hingegen würden laut Volksmund einen Hammer nicht mal anfassen. Vor allem nicht Femmes in ihrer reinsten Form, den „lipstick lesbians“ (sogenannte Lippenstift-Lesben). Das Wort femme ist französisch und bedeutet schlichtweg: Frau. Wie man schnell erkennt, geht dieses Label mit genauso vielen Stereotypen einher, wie der angebliche Gegensatz Butch. Während Butches oft schnell erkannt werden, sind Femmes dagegen häufig unsichtbar. Die eigene Mutter bleibt zufrieden, dass man ja noch „normal“ aussieht, das Patriarchat ist gerettet, denn es ist ja kein offizieller Widerspruch dazu da. (Lest bitte hier eine angemessene Menge von Sarkasmus rein).
Top vs. Bottom
Die Binarität, die manche vielleicht in butch vs. femme erkannt haben, setzt sich in der Frage top vs. bottom fort. Haltet bitte einmal eure Hüte fest, es wird jetzt sexuell. „Top“ ist jene Person, welche beim Sex Handlungen primär ausführt, während „bottom“ die Person ist, welche die Handlungen empfängt. Das kann mal damit einhergehen, wer denn nun tatsächlich oben oder unten liegt, oder eben auch nicht. Von Butches wird häufig erwartet, dass sie top sind, während Femmes fast automatisch als bottom verstanden werden. Beides entpuppt sich oft als Trugschluss. Ob sexuelle Handlungen überhaupt zur eigenen Identität beitragen soll(t)en, mag jede*r selbst entscheiden.
Geprägt wurden die Kategorien top und bottom in der Schwulenszene der 1950er. Da männlicher Sex anders funktioniert als Sex zwischen zwei weiblich gelesenen Personen, argumentieren viele, dass sich die Kategorien von „top“ und „bottom“ nur bedingt übertragen lassen. Dazu kommt, dass laut einer Umfrage von Autostraddle sich ohnehin über die Hälfte der befragten queeren Frauen als „switches“ verstehen, also solche, welche zwischen den Rollen top und bottom hin und her wechseln („switchen“). Wenn man jetzt noch die Welt des Kink und BDSM dazu berücksichtigen würde, gelangt man sprichwörtlich zu einem Sodom und Gomorra der queeren Labels.
Shades of Gay
Sowohl zwischen Butch und Femme, als auch zwischen top und bottom finden sich zahlreiche Zwischenstufen. Das sind sozusagen die Shades of Gay, und man könnte sich theoretisch irgendeine Farbe aussuchen und damit glücklich bis an sein Lebensende leben. Ein Label ist eine Möglichkeit, sich selbst in der großen Welt des Queerseins zu identifizieren und zu positionieren. Denn der heterosexuelle Standard von Mann und Frau und alle damit einhergehenden Rollenbilder und Verhaltensweisen gelten ja nun für die queere Person nicht mehr. Das kann unter Umständen sehr desorientierend sein: halte ich die Tür auf oder wird sie mir aufgehalten? Kaufe ich meine Kleidung in der Herren- oder in der Damenabteilung ein? Verstehe ich mich als Beschützer oder als Beschützte?
Wie schnell klar wird, werden heterosexuelle Rollen durch Kategorien wie butch und femme, sowie top und bottom, effektiv reanimiert und reproduziert. Eine Vermutung von mir wäre, dass die Versuchung groß ist, einfach irgendwo „hinzugehören“. Dazu kommt, dass Menschen sich grundsätzlich wohler fühlen, wenn sie Dinge kategorisieren können. Doch trotz vieler Graustufen, welcher dieser Artikel zugegebenermaßen stark vernachlässigt, bleibt die Kritik bestehen, dass Labels oft nicht auf queere Frauen und deren Lebenserfahrung zutreffen.
Labelloses Leben?
Mit wie vielen Labels man leben möchte, ist natürlich jeder queeren Person selbst überlassen. Das Tolle an dem Wort „queer“ ist ja, dass es ein Schirmbegriff ist, welcher alle Arten des nicht-heterosexuellen, nicht-cis oder nicht- amatonormativen Lebens einmal abdeckt. Jede*r ist unter diesem Schirm willkommen. Das macht die Angelegenheit wundervoll inklusiv, allerdings auch etwas schwammig.
Ich gebe an dieser Stelle offen zu, dass ich mir manchmal ein Label wünsche. Und das, obwohl mir klar ist, dass Evolution, Veränderung und Flow integrale Bestandteile einer queeren Identität sind. Im Internet wird man häufig daran erinnert, dass es okay ist, wenn ein Label sich ändert. Man muss sein Label, egal welcher Art, ja nicht heiraten. Man darf ein Label, zwei Label, drei Label, oder gar kein Label mit sich herumtragen. Man kann sehr wohl Butch und bottom sein, oder Femme und top, auch wenn es dem heterosexuellen Schema widerspricht (wir sind ja nun mal nicht heterosexuell).
Und dennoch frustriert mich die ganze Angelegenheit. Es ist mir nicht egal genug, um ein labelloses Leben zu führen. Doch ist meine Persönlichkeit eindeutig zu queer, um sie auf das eine oder andere zu beschränken. Die Antwort auf die Frage A oder B ist: Ja. Die Frage, ob A und B überhaupt noch Berechtigung unter queeren Menschen findet, ist durchaus begründet.
Und obwohl ich mich von der Angelegenheit noch nicht verabschieden kann, kann ich inzwischen zumindest sagen, dass mir alle Aspekte meiner queeren Identität zu wichtig sind, um auch nur einen davon zu vernachlässigen. Ich werde mich nicht eindimensionaler machen als ich bin. Das ist radikale Selbstliebe. Ich wünsche allen anderen das gleiche, egal ob sie ein passendes Label dazu finden oder nicht.
In diesem Sinne grüßt euch,
Jack
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