Acht Reihen und zwei Einträge. Acht Reihen mal sechs plus zwei. Fünfzig Einträge auf Netflix. Fünfzig von 1647, die laut Internet in Deutschland verfügbar sind. Eigentlich will ich da überhaupt keine Prozentzahl ausrechnen, weil auch so schon klar ist, dass es verdammt wenig ist. Aber ich tue es trotzdem und bekomme etwa drei Prozent. Das ist die Menge an Auswahl, die ich als queere Frau in meinem Freizeit-Entertainment habe, wenn ich auf dem Bildschirm Frauen wie mich sehen möchte. Mein Suchwort auf Netflix war lesbian.
Gar nicht alles so schön bunt hier
Schon mein Leben lang sehe ich hetero Beziehungen im Fernsehen. Jahrelang ging das völlig an mir vorbei. Ja, ich habe ferngesehen, oder eben genetflixt, aber ich habe ja überhaupt nicht damit gerechnet, dort jemanden wie mich zu sehen. Das gibt es im Fernsehen nicht. Das weiß man doch. Und weil man nichts anderes kennt, hat es ja auch nicht gestört.
Durch mein Studium und meine eigene Bildung fing ich durchaus irgendwann an, mir mehr diverse Körper auf dem Bildschirm zu wünschen. Warum sind eigentlich alle immer super schlank und sehen aus wie frisch durch drei Stylistenteams gewandert? Weil sie es eben sind. Diversität ist in allen Bereichen des Fernsehens wichtig, weil das Fernsehen uns zeigt, was angeblich “normal” ist. Bin ich denn nicht normal? Ich bin groß, kurvig, und liebe Frauen. Das ist auf Netflix nicht zu sehen.
Natürlich müssen Netflix, Hollywood und selbst die ARD das zeigen, was sich auch vermarktet. Laut Statista haben 2020 vier Prozent der deutschen Bevölkerung angegeben, homosexuell zu sein. Weitere drei Prozent identifizierten sich als bisexuell. Reicht das aus? Und ist das überhaupt wichtig? Heterosexuelle könnten ja schließlich auch queere Filme gucken. Ich konsumiere doch auch heterosexuelle Medien von klein auf.
Allerdings bleibt mir ja auch kaum eine Wahl. Die Auswahl ist einfach sehr begrenzt. Ich kann es mir nicht leisten, ein Fan von Horrorfilmen zu sein. (Ich mag sowieso keine Horrorfilme, aber nur mal so als Beispiel). Denn dann könnte ich die Repräsentation von Leuten wir mir gleich abschreiben. Vielleicht fällt dir gerade ganz spontan ein Gegenbeispiel ein und du fängst an zu sagen, “aber ich hab da letztens mal …!“ – aber ich wette, nach maximal drei Filmen würden dir dann doch die Beispiele ausgehen.
Ich habe das Gefühl, dass jede frauenliebende Frau jeden Film kennt, in der so eine Liebe gezeigt wird. Und dazu noch jede einzelne Serie, wo zwar nichts passiert, aber eine Liebe zwischen zwei Frauen zumindest angedeutet wird. Wenn ich eine lesbische Liebesgeschichte im Fernsehen sehen will, darf ich sie mir selbst in die Charaktere hinein interpretieren. Ich halte dabei Ausschau nach allem, was auch nur vermuten lässt, dass die beiden am Ende zusammen kommen. Aber ein Happy-End erwarte ich dann doch nicht.
Verqueere Welt
Natürlich wurden in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, das will ich gar nicht bestreiten. Aber stell dir doch mal vor, 97 Prozent aller Medien wären queer. Wäre das nicht merkwürdig? Und würdest du dir nicht auch wünschen, es gäbe Leute wie dich im Fernsehen? Und was, wenn diese drei Prozent, die Heterosexuellen dann noch zur Verfügung stünden, inhaltlich auch noch immer wieder die gleichen Dinge behandelten? Ich denke da an:
- jugendliche Heterosexuelle, die ihren Eltern schmerzhaft von ihrer Orientierung berichten müssen. Nach dem Coming-Out ist die Geschichte dann auch vorbei.
- den einzelnen heterosexuellen Charakter, für die Quote, sozusagen.
- heterosexuelle Bösewichte, weil solche Menschen offensichtlich keine Moral haben.
- eine Beerdigung nach der anderen. Bury your straights.
Ich bin zu alt, um noch Gefallen an Highschool Dramas zu finden, wo sich alles nur um das Coming-Out dreht. Ich möchte Homosexualität auch nicht als Schockfaktor sehen. Ich glaube außerdem, egal was Hollywood sagt, dass es Lesben auch nach Achtzehnhundert-irgendwas gibt. Es gibt uns als mehr als nur Quotenfiguren. Meistens mit einem ganzen Freundeskreis à la The L Word. Und wir sitzen dennoch nicht alle im Frauengefängnis, was anscheinend der einzige Ort ist, wo viele queere Frauen im Fernsehen erwartet werden.
Was ich mir wünsche
Ab und an frage ich mich, ob ich mir vielleicht zu viele Gedanken mache. Oder ob meine sexuelle Orientierung zu laut und zu unpassend ist. Wenn ich erwähne, dass eine Schauspielerin für mich gut aussieht, ist das immer gleich ein Coming-Out und ein politischer Akt. Dabei ist es (zumindest meiner Erfahrung nach) für andere Frauen ganz selbstverständlich, fünfmal in einer Unterhaltung darauf einzugehen, welchen Schauspieler sie attraktiv finden.
Ich habe außerdem festgestellt, dass meine hetero Bekanntschaften ganz andere Medien konsumieren und kennen als meine queeren Freund*innen. Da ist eine andere Art des Dialogs notwendig. Und immer wieder schwappt in mein Bewusstsein die Bemerkung:
“Nur weil man homosexuell ist, muss man das ja nicht überall so raushängen lassen”.
Aber Heterosexuelle lassen ihre Vorlieben doch schließlich auch überall raushängen. Das wird dann eben nur als normal verstanden. Wobei ich natürlich auch niemandem etwas vorwerfen möchte. Ich möchte mich einfach nur mehr im Fernsehen sehen. Ich möchte eine annähernd große Auswahl haben. Es gibt bereits einige romantische Komödien, aber wie wäre es denn mit mehr queeren Weihnachtsfilmen? Wir können schließlich nicht alle immer wieder Carol gucken. Oder diesen Film mit Kristen Stewart.
Wie wäre es mit queeren Krimis, und von mir aus auch den Horrorfilmen? Wie wäre es mit mehr Filmen so ganz ohne Liebesgeschichte? Wie wäre es, wenn sich heterosexuelle Menschen zumindest auch aktiv ein bisschen für queere Filme und Serien interessieren würden? Und wenn ich eine erwachsene Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen sehen könnte die beide ihr Coming-Out schon hinter sich haben, vielleicht mit Hochzeit statt Beerdigung? Wäre das nicht schön?
Und last but not least, wäre es nicht toll, auch im Cinemaxx und nicht nur im Lokalkino Lesben in HD zu sehen? Wenn das Kino sie irgendwann so oft und in so toller Auflösung zeigt wie jede sich selbst respektierende Pornoseite, wäre ich überglücklich.
Jack
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