Émile Zola, Das Paradies der Damen
Was für eine Geschichte, meine Damen Leserinnen! Ich verwette mein letztes Hemd, dass ihr euch aufs Feinste amüsieren werdet. Denn wo bekommt man eine haarscharfe Kritik des Raubtierkapitalismus, eine amüsante Analyse der feinen Pariser Gesellschaft und eine zuckersüße Soap in einem?! Aber eins nach dem anderen.
Die Lage
Paris gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Handel und Gewerbe befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Der kleine Einzelhandel wird von der Konkurrenz aufstrebender großer Kaufhäuser erdrückt, die als strahlende Paläste das weibliche Publikum in seinen Bann ziehen.
Die Heldin
So steht eines Morgens die junge Denise, eine mittellose Waise vom Land, mit ihren jüngeren Brüdern fasziniert vor dem neuen Pariser Kaufhaus „Paradies der Damen“. Es steht direkt gegenüber vom schäbigen heruntergekommenen Konfektionsgeschäft ihres Onkels, bei dem sie Unterschlupf zu finden hofft. Dieser befindet sich jedoch ebenfalls in einer aussichtslosen Lage, so dass Denise eine Stelle in dem großen Kaufhaus annimmt. Das junge Mädchen ist nicht mit großer Schönheit, jedoch mit sanfter Hartnäckigkeit und enormer Willenskraft ausgestattet, fest entschlossen, ihre Brüder großzuziehen und selbst tugendhaft und menschlich zu bleiben.
Der Chef
Der Besitzer des Kaufhauses ist Octave Mouret, ein junger Witwer von jugendlicher Unbekümmertheit, untrüglichem skrupellosem Geschäftssinn und stets wachsendem Erfolg. Er leitet das Haus mit den Methoden des modernen Kapitalismus: Wachstum um jeden Preis, Effizienz nach innen und gnadenlose Konkurrenz nach außen. Sein Erfolgsrezept: Die Pariser Damen der Mittelschicht werden durch ein märchenhaft arrangiertes Warenangebot zu immer größerem Konsum verführt.
Die Firma
Hunderte von Angestellten werden mit straffer Hand geführt und konkurrieren gegeneinander. In diesem Moloch muss sich Denise mit äußerst widrigen Arbeitsbedingungen herumschlagen: Intrigen und Konkurrenzkampf der Kolleginnen, wenig Verdienst, um sich und die Brüder über Wasser zu halten, die elende Familie des Onkels vor Augen. Es gelingt ihr, nicht zuletzt, weil der lebenslustige Chef trotz seiner diversen Geliebten – seien es Damen der besseren Pariser Gesellschaft oder die eine oder andere Verkäuferin – seine Hand über Denise hält. In dem Maße, wie Denise sich vom Aschenputtel zu einer liebreizenden jungen Frau entwickelt, verliebt sich Mouret immer mehr in Denise, während diese seinem Drängen entschieden widersteht, obwohl auch sie von ihm fasziniert ist. Denn seine Methoden sind hart, er ist jedoch zugleich ein durchaus aufmerksamer, zugewandter Chef, der mit modernen Methoden der Betriebs- und Personalführung das Unternehmen zu immer größerem Erfolg führt, was auch den in kleinem Umfang am Gewinn beteiligten Angestellten zugutekommt.
So kommt es wie es kommen muss
Der Kapitalismus siegt – und wird die Liebe untergehen? Es gelingt Zola meisterhaft, uns sozusagen an der Hand von Denise durch die ganzen Widersprüchlichkeiten des kapitalistischen „Fortschritts“ zu leiten: Das Elend und die Verarmung des untergehenden Einzelhandels und der Glamour und die Faszination der modernen Warenwelt sind zwei Seiten derselben Medaille. Im Rausch der Farben und Stoffe, die Zola wie ein Feuerwerk vor uns ausbreitet, lassen sich die Pariserinnen immer mehr zum Kaufen um jeden Preis verführen. Wir wenden uns entrüstet ab – und möchten doch zu gern ein einziges Mal durch das Paradies der Damen schlendern…
In jeder Hinsicht ein sehr aktuelles Buch. Und auch wenn ich zugebe, dass ich es eher einer Frau als einem Mann schenken würde: den Tipp habe ich von einem Freund bekommen!
Es gibt jede Menge gebrauchte Ausgaben, z.B. bei booklooker (eines der letzten nicht von Amazon aufgekauften Bücherportale! Dafür darf mal ein bisschen Werbung sein). Also: wenn ihr ab und zu denkt, ihr solltet doch mal wieder die Klassiker lesen – dann fangt hier an, es lohnt sich!
Der Roman von Émile Zola „Das Paradies der Damen“ erschien 1883 und hat in meiner Ausgabe von 1957 bei Rütten und Löhning 519 Seiten. Er wurde mehrfach verfilmt.
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