Die Berliner Krankenhausbewegung ist ein Bündnis, welches sich aus Beschäftigten der Charité und der Vivantes Krankenhäuser zusammensetzt. Sechs Wochen lang streikten sie gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di für einen Tarifvertrag zur Entlastung des Personals. Außerdem fordern sie, dass faire Löhne und der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst auch für die Beschäftigten der Töchterunternehmen von Vivantes gelten.
„Kein Krankenhaus ohne uns“
„Nicht pressen, deine Hebamme hat noch keine Zeit für dich“, hört eine gebärende Person, während die Notaufnahme nicht besetzt ist, sodass ein Rettungswagen in ein anderes Krankenhaus fahren muss. Gleichzeitig hetzt sich eine Reinigungskraft ab, um den OP-Saal für eine Herz-Operation gründlich genug zu desinfizieren und das Labor kann wichtige Analysen nicht schnell genug liefern. Die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus sind prekär. Die Beschäftigten sind so unterbesetzt und unterbezahlt, dass sie selber krank werden oder ihre Berufe verlassen. Der Grund dafür liegt in der Ökonomisierung der Krankenhausbetriebe und der Gesundheitspolitik, die ab den 1970er Jahren einsetzte. Damit einhergehend wurden viele Stellen gekürzt, Aufgabenbereiche outgesourct und die Fallpauschale eingeführt. Die Profitorientierung der Krankenhausbetriebe wird auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Unter dem Motto „kein Krankenhaus ohne uns“ haben sich jetzt Pflege- und Reinigungskräfte, sowie Beschäftigte aus dem Labor, der Speiseversorgung und des Patiententransporte und vielen weiteren Bereichen zusammengeschlossen, um der Ökonomisierung des Gesundheitssystem den Kampf anzusagen. Besonders dabei ist, wie berufsübergreifend sich die Bewegung organisiert hat. Sie zeigt, wie wichtig jeder Aufgabenbereich für funktionierende Krankenhausabläufe ist.
organisiert stärker – stärker organisiert
Der Streik der Berliner Krankenhausbewegung basiert auf jahrelanger Organisierungspraxis zwischen ver.di und Beschäftigten der Charité und der Vivantes Krankenhäuser. Seit Anfang 2021 allerdings haben sich die Mitglieder*innen zusammengeschlossen, um strukturiert und konsequent für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dabei wollten sie die Beschäftigten der Vivantes-Töchterunternehmen verstärkt mit einbeziehen, da diese unter besonders prekären Bedingungen arbeiten. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, haben die Mitglieder*innen Arbeitskreise gegründet, um Raum zu schaffen sich auszutauschen, zu diskutieren und konkrete Forderungen zu formulieren. Alle Entscheidungen wurden von Stellvertretenden und in Rücksprache mit allen Berufsgruppen entschieden. Die basisdemokratischen Entscheidungsverfahren haben einen Austausch auf Augenhöhe geebnet.
Der Aufbau von Strukturen und die Organisierung so vieler Menschen ist ein Ziel der Bewegung. Zum Einen bietet der Zusammenschluss der Arbeiter*innen die Möglichkeit, aus einer Betroffenenperspektive die Arbeitsbedingungen zu fordern, die sie für ein ein gutes Arbeitsklima brauchen. Zum Anderen können die Beschäftigten durch die Öffentlichkeitsarbeit, die den Streiks vorausgingen, ihre Wut auf die Prekarisierung kanalisieren und in konkrete Pläne umsetzen. Außerdem hat die Bewegung erreicht, dass es ein kollektives Verständnis der Problemlage gibt. Individualisierte Überforderungsgefühle der Beschäftigten sind kein Versagen Einzelner, sondern ein Versagen des Gesundheitssystem in Deutschland.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Berliner Krankenhausbewegung breiten Zuspruch der Zivilgesellschaft erhält. Auch die Arbeitskämpfe der Gorillas Rider und des Wohnungskampfs Deutsche Wohnen und Co enteignen solidarisieren sich mit ihnen.
Gesundheit ist ein globales und feministisches Thema
Bezahlte und unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit wird weltweit mehrheitlich von FLINTA geleistet. Viele Arbeiten werden als solche nicht anerkannt und als „natürliche“ Aufgaben Frauen zugeschrieben. Die Vorstellung dieser Arbeiten als „Liebesdienst“ unterdrückt die Möglichkeit, dass Pflegende sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen. Auch dadurch dass weiblich konnotierte Berufe als leicht oder minderwertig angesehen werden, ist der Status von Pflege- und Sorgearbeit prekär.
Gleichzeitig basiert der Gesundheitssektor auf der Ausbeutung migrantischer Pflegekräfte. Ein Beispiel dafür sind globale Sorgeketten: Osteuropäische Arbeiter*innen, werden angeworben in Deutschland den Arbeitskräftemangel auszugleichen. Und zwar den Arbeitskräftemangel, den die Regierungen der letzten Jahrzehnte durch die Ökonomisierung des Gesundheitssektors verursacht haben. Der Pflegekräftemangel wird so allerdings einfach auf die osteuropäischen Länder weitergereicht. Diesen füllen dann entweder meist weibliche Angehörige auf oder Arbeitskräfte aus noch ärmeren Ländern decken diesen ab. Die ungleiche Verteilung von Pflege- und Sorgearbeit zeigt also nicht nur patriarchale Strukturen auf, sondern auch, wie sich globale Machtverhältnisse in Gesundheitspolitiken reproduzieren.
Berlin und dann?
Die Berliner Krankenhausbewegung hat in den letzten Wochen und Monaten so viel erreicht. Die Krankenhausbetriebe der Charité und der Vivantes-Krankenhäuser sind auf die konkreten Forderungen der Bewegung eingegangen und haben die ersten Zugeständnisse in einem Eckpunktepapier ausgedrückt. Auch die Töchterunternehmen konnten durch ihre Streiks Entgegenkommen erzielen. Diese werden nun in Tarifverhandlungen ausgehandelt. Es bleibt zu hoffen, dass die Welle an Streiks, Arbeits- und Wohnungskämpfen anhält und über Berlin hinaus Menschen ermutigt, sich zu organisieren.
Toni Engel
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