Sie fällt ins Bett. Die Uhr zeigt: noch fünf Stunden schlafen und dann alles wieder von vorn. Durchschlafen wird sie nicht. Eins der Kinder meldet sich früher oder später immer. Aufstehen, duschen, frühstücken, Emma stillen und waschen, Windel wechseln. Lion braucht sein Pausenbrot und muss in die Schule gebracht werden. Milch abpumpen. Emma zur Oma bringen. Zur Arbeit. Dem Chef Kaffee kochen, das Geld für das Geburtstagsgeschenk der Kollegin einsammeln, Frist einhalten. Lion von der Schule abholen, Emma einsammeln und der Oma noch kurz beim Wäsche aufhängen helfen. Einkaufen gehen. Kochen. Hausaufgaben betreuen. Emma stillen, Windel wechseln nicht vergessen, ab ins Bett. Lion überreden sich die Zähne zu putzen, trösten, weil er Papa vermisst, dann noch eine Geschichte vorlesen. Durchatmen. Rechnungen bezahlen, der Anwältin wegen des Sorgerechtsstreits mailen, noch einen Antrag auf bezuschusstes Betreuungsgeld stellen. Das Handy vibriert – Sven nimmt die Kinder am Wochenende nicht. Er war geht ja immerhin die ganze Woche arbeiten, seine neue Freundin kommt am Wochenende. Mist… die Wäsche liegt schon wieder seit Tagen in der Waschmaschine. Die Uhr zeigt: noch fünf Stunden schlafen und dann alles wieder von vorn.
Sorge-Arbeit
Fürsorge, Selbstsorge, Sich-Kümmern und Sich-Sorgen. All dies und noch mehr umfasst der Begriff der (unbezahlten) „Care-Arbeit“, auch Reproduktionsarbeit genannt. Eigentlich beschreibt dieser Begriff alles, was das wirtschaftliche „zur Arbeit gehen“ vergisst: Tätigkeiten wie Putzen, Einkaufen, die Erziehung, Bildung und Betreuung der verschiedenen Familienmitglieder, Unterstützung bei Krankheit, Hilfe der Freund*innen, Nachbar*innen, Bekanntenkreis und noch so vieles mehr. Das Wissen, die Organisation und die Verantwortung, die all dies bedarf, ist nicht wegzudenken. Alltägliche, unsichtbare Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie, Vermittlung und Koordination im Job und das Auffangen von Bedürfnissen und Befindlichkeiten der Mitmenschen in jeglichen Bereich wird als „Mental Load“ bezeichnet. Auch emotionale Arbeit spielt hierbei eine entscheidende Rolle, ist diese sogar im Diskurs über eben jene Care-Arbeit noch immer zu häufig unsichtbar.
Es ist wichtig zwischen bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit zu unterscheiden. Denn auch das „zur Arbeit gehen“ in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen, in der Reinigung oder im Kindergarten fallen unter den Begriff „Care-Arbeit“. So betrifft „Care-Arbeit“ den privaten, ehrenamtlichen und auch professionellen Bereich.
Who cares?
„Care-Arbeit“ hat viele Formen und Farben, wird aber vor allem von Menschen verrichtet, denen die Gesellschaft die Rolle der „Frau“ zugeschreibt. Handelt es sich um vergütete „Care-Arbeit“ wird diese zudem in den meisten Fällen ganz klar zu niedrig entlohnt. Ursache für solch prekäre Verhältnisse ist das partriachale Organisationsprinzip mitsamt veralteter Geschlechterrollen, die unserem System zu Grunde liegen. Der Begriff „Gender Care Gap“ bezieht sich auf die geschlechtsspezifische Diskrepanz in der Verrichtung von Sorge-Arbeit. Laut dem Bundesgesundheitsministerium investieren Frauen pro Tag circa 52% mehr Zeit in die unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Bei Müttern mit Doppelbelastung, die Lohnarbeit und private Care-Arbeit verrichten, liegt diese Zahl sogar bei 80%.
Dr. Sonja Bastin ist promovierte Soziologin und arbeitet am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Schon lange forscht sie zu gesellschaftlicher Ungleichheit und plädiert für Veränderung. Sie findet die passenden Worte um die als Sorge-Krise bezeichneten Verhältnisse zu beschreiben:
„Dabei ist insbesondere die private Sorgearbeit das Fundament für die Gesellschaft und für die Wirtschaft! Ohne diese Sorge-Arbeit könnte niemand in ein Geschäft gehen, niemand würde eine Maschine entwickeln. Niemand würde einen Impfstoff finden. Es gibt viele Lösungen dazu, wie dieser Beitrag kompensiert und in ökonomischen Rechnungen berücksichtigt werden kann.“
Ein Dilemma folgt dem Nächsten
Auf Seiten der „Care-Arbeit“ Verrichtenden werden jene Arbeiten als oftmals freiwillige Liebesakte wahrgenommen. Und natürlich ist es nur menschlich, sich um seine Mitmenschen kümmern zu wollen. Als motivierender Faktor wirkt das Bedürfnis nach Harmonie und der wohlwollenden Drang Familie und Freunde glücklich und umsorgt zu sehen. Nur ist es eben auch häufig so, dass die dafür erforderlichen Arbeiten zwar vielleicht freiwillig geleistet werden, sie aber sowohl institutionell und systematisch vorausgesetzt sind. Und so gilt es trotz vermeidlich freiwilliger Ausübung von Care-Arbeit Geschlechter-Normen aufzubrechen und patriarchale Strukturen abzuschaffen. Solange es zur freiwillig verrichteten Arbeit keine Alternative gibt, geschieht sie dennoch unter Zwang.
„Wenn Opa krank wird, holen wir uns eine Polin“
Schnell gerät aus dem Blick, dass für finanziell besser gestellte das Gender Care Cap eine kleinere Rolle spielt. Eine weitere Komponente ungerecht verteilter Lohn- und Arbeitsgefälle von „Care-Arbeit“, ist die ausbeuterische und rassifizierte Arbeitsteilung. Immer öfter werden unangenehme oder weniger angesehene Arbeiten auf Migrant*innen, die aus ihrer gesellschaftlichen Stellung heraus sowie so schon schlechtere Chancen auf Bildung und Arbeit haben, abgewälzt. Migrantische Menschen sind es, die zurzeit den hohen Bedarf an Arbeiter*innen in der Pflege und privaten Haushalten decken, dabei aber noch schlechter bezahlt werden, als Menschen in eben diesen Berufen ohnehin schon.
Care-Arbeit und Corona
Prekäre Arbeitsverhältnisse im Gesundheitssektor sind schon lange bekannt. Dass Care-Arbeit im öffentlichen Diskurs mehr und mehr als Arbeit anerkannt wird, ist hingegen neu. Die Corona Pandemie hat erstmals die Notwendigkeit von bezahlter und unbezahlter Pflege verdeutlicht. Die bis dahin unsichtbare verrichtete Arbeit wurde zu einem Mainstream-Thema, das wohl seinen Höhepunkt mit dem allabendlichen Klatschen auf Europas Großstadtbalkonen fand. Verändert hat dieses vermeintliche Sichtbarmachen von Sorgearbeit aber nur wenig. Überfüllte und unterbesetzte Krankenhäuser (schau dir auch unseren Bericht über die Berliner Krankenhausbewegung an), Mütter unter enormer Doppelbelastung durch Schließung von Kitas und Schulen, FLINTA*s in systemrelevanten Berufen, mit erhöhtem Ansteckungsrisiko. Zunehmende häusliche Gewalt und Ausbeutung. Auswirkungen der Pandemie in einem System, das von (migrantischen) FLINTA*s getragen wird, sie aber gleichzeitig zu Opfern eben diesem macht.
Wenn ihr gerne auf interaktivem Wege in das Thema der sozialen Ungleichheit in Hinblick auf die Corona Pandemie eintauchen wollt, besucht doch die digitale Ausstellung „Covid-19 * Ein Mosaik“. Dort findet ihr ein umfangreiches Angebot an Beiträgen zu Politiken des Lebens in Form eines facettenreichen Mosaiks. Raum 4 – Politiken der Sorge wirft dabei einen genauen Blick auf die durch Covid-19 nur noch verschärfte Sorge-Krise.
Liselotte Groß
Schreibe einen Kommentar