Wer als Tourist*in nach Bremen kommt und eine Stadtführung bucht, begegnet ihr höchstwahrscheinlich. Und Bremer*innen sehen sie immer wieder beim Gang zum Wochenmarkt: die Gruppen, die um den Spuckstein herum stehen, der ins Pflaster neben dem Dom eingelassen ist. Ihnen wird die schauerliche Geschichte erzählt von Gesche Gottfried, dem „Engel von Bremen“, die gleichzeitig eine vielfache Giftmörderin war und hier als letzte Person öffentlich hingerichtet wurde, am 21. April 1831. Mit dem Spucken auf diese Stelle brachten die Menschen danach ihre Verachtung zum Ausdruck.
Was wir über Gesche Gottfried wissen
Gesche Timm wurde am 6. März 1785 in Bremen als Tochter einer Wollnäherin und eines Schreinermeisters geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Durch ihre erste Ehe mit einem Sattlermeister besserte sich ihr sozialer Stand. Sie bekam fünf Kinder. Zwei starben sofort, die anderen wurden nur sechs, fünf und drei Jahre alt. Ihr Mann verlor das Vermögen, das er von seinem Vater geerbt hatte und nach dem Tod ihres Mannes, verarmte Gesche. Die zweite Ehe mit dem Weinhändler Michael Christoph Gottfried war nur von kurzer Dauer, denn auch Gottfried starb bald. Das Erbe, das er ihr hinterließ, konnte sie nicht zusammenhalten, so dass es nicht lange reichte. Der Modewarenhändler, mit dem sie sich sodann verlobte, starb noch vor der Hochzeit, hinterließ ihr aber etwas. Ihr Umfeld bedauerte sie wegen dieser Schicksalsschläge und bewunderte sie, weil sie sich so rührend um die Kranken in ihrem Umkreis kümmerte.
Schließlich wurde doch jemand misstrauisch, nämlich ihr Vermieter, Johann Christoph Rumpf, durch den herauskam, dass Gesche Gottfried Lebensmittel mit Arsen versetzt und daraus „Mäusebutter“ hergestellt hatte, die sie anderen zu essen gab. Nun galt als gesichert, dass sie eine Giftmörderin war, auf deren Konto 15 Morde gingen: ihre Eltern, ihre Kinder, ihre Ehemänner, ihr Verlobter, ihr Bruder, Freund*innen, Nachbar*innen, sowie ein Gläubiger aus Hannover, dem sie Geld schuldete. Weitere 19 Menschen überlebten ihre Mäusebutter-Gaben nur knapp. Am 6. März 1828 wurde sie festgenommen und saß dann drei Jahre in Haft, bevor sie am 21. April 1831 hingerichtet wurde. Während dieser Zeit fanden immer wieder Verhöre statt, die protokolliert wurden und noch heute im Staatsarchiv Bremen vorhanden sind. Über die Motive für ihre Taten geben diese jedoch keinen Aufschluss. So rätselt die Welt noch heute, was sie dazu trieb.
Warum?
Durch die Jahrzehnte hindurch gab es immer wieder neue Interpretationen ihrer Beweggründe. War sie eine kaltblütige Giftmischerin, nur auf ihren (finanziellen) Vorteil bedacht? Ein Opfer ihrer Zeit, die ihr nur begrenzte Selbstständigkeit als Frau zugestand? Eine Kranke, die für ihre Taten nicht verantwortlich zu machen war?
Interpretationen
In den 1970er Jahren wurde die Öffentlichkeit auf Gesche Gottfried aufmerksam, denn der Regisseur Rainer Werner Fassbinder widmete der Figur ein Theaterstück (1971) und einen Fernsehfilm (1972): „Bremer Freiheit“ interpretierte ihre Handlungen als Befreiungsschlag gegen das Patriarchat und seine Rollenzuschreibungen, Einschränkungen und Zwänge, denen Frauen zu ihrer Zeit unterworfen waren. Eine Erklärung, die auch so manchen Feministinnen der Frauenbewegung der 70er Jahre einleuchtend war. Danach wurde es wieder stiller um Gesche Gottfried.
Aktuell erfährt sie wieder einige Aufmerksamkeit durch den Film Effigie – Das Gift und die Stadt (Effigy – Poison and the City, 2019), eine deutsch-amerikanische Koproduktion von Udo Flohr. Bedingt durch die Corona-Pandemie lief der Film in Deutschland erst verspätet an. Die Premiere fand in Bremen im Januar 2022 in Anwesenheit des Regisseurs statt. Hier stehen zwei Frauenfiguren im Mittelpunkt: Die historische – Gesche – und die fiktive Cato Böhmer (statt des männlichen Gerichtsschreibers Noltenius), die sich laut Udo Flohr ähneln und ergänzen. Denn beide suchen Wege aus den Beschränkungen, die ihnen als Frauen auferlegt sind. Flohr sieht Gesche Gottfried als eine Frau, die am Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidet, also im Grunde psychisch krank ist und für ihre Taten nicht verantwortlich gemacht werden kann.
gesche.online
Wisst ihr eigentlich, dass wir, die frauenseiten.bremen, mal so hießen? Wir gingen im Jahr 2003 als gesche.online.de online.
Warum denn nun „Gesche“? Damals wurde ein Frauenname gesucht, der mit Norddeutschland assoziiert wurde und sich andererseits von herkömmlichen Frauenmagazinen wie Brigitte oder Petra unterschied. Da passte Gesche doch ganz gut. Bald aber gab es mit dem Namen Probleme. Wir freuten uns natürlich, dass unsere Seite auch fern von Bremen gelesen wurde. Aber in südlicheren Gefilden wurde der Name nicht immer als solcher erkannt. Es soll sogar Anfragen gegeben haben, ob wir denn wirklich „Geisha“ hießen und warum. Dies war ein Grund, warum wir uns in frauenseiten.bremen umbenannten. Ein anderer war Gesche Gottfried. Wir hatten uns schließlich nicht ihretwegen so genannt, das wurde aber häufig angenommen. Und wir mussten erklären, warum – beziehungsweise warum eben nicht – wir uns nach einer verurteilten Giftmörderin benannt hatten.
Dies konnten und können wir erklären – aber die Taten Gesche Gottfrieds harren immer noch einer eindeutigen Erklärung….
Irene Meyer-Herbst
- Am 2. Mai um 17:00 Uhr in der Zentralbibliothek / Krimibibliothek im 2. OG Arsen & Sterben eine 15minütige Videoinstallation zu Gesche Gottfried.
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