TRIGGERWARNUNG: Dieser Text thematisiert sexuelle Übergriffe und Victim Blaming
Wir hatten neulich unseren #MeToo-Moment in Bremen: Auf den Beitrag „Offener Brief an einen Masseur in Bremen“ folgte eine Flut von Emails an unsere Redaktion. Viele Frauen – und auch ein paar Männer – schrieben: „Mir ist das auch passiert“. Ein Bremer Masseur hatte seine Klient*innen vorab „Teilnahmebedingungen“ unterschreiben lassen, um sie dann bei der Massage mit einer schleichenden Übergriffigkeit zu seiner sexuellen Befriedigung auszunutzen. Wir leiteten die Mails weiter – aber der Eindruck blieb.

Die Ähnlichkeit der Schilderungen
Am verblüffendsten war die Ähnlichkeit der geschilderten Gefühlsabläufe. Immer wieder trat eine sehr präzise Reihenfolge des Erlebten hervor. Mit einem unguten Gefühl fing es an, dann Irritation, Unglauben, Verunsicherung und Selbstzweifel. Zum Teil erlebten die Betroffenen eine Schockstarre, die sich dann in Scham verwandelte. Zum Abschluss folgte oft Schweigen und Verdrängung. Die Betroffenen beschrieben sich selbst als naiv, verwirrt oder kamen sich „idiotisch“ vor. Schlimmer noch: Kommentator*innen der Medienartikel zu dem Vorfall schimpften sie als „verrückt“ oder „dämlich“.
Nur waren sie keines von beidem; die Gefühle, die sie beschrieben waren äußerst genau. Nur, sind sie nicht für alle auf den ersten Blick verständlich. Zwei namhafte Neurowissenschaftler, unterhielten sich über genau dieses Phänomen. Daniel Glaser und Robin Dunbar suchten die evolutionären Ursprünge von duldendem sozialen Verhalten angesichts sexueller oder gewalttätiger Übergriffe.
Scham und duldendes Verhalten definieren sie nicht als weibliches „Problem“ sondern als menschliches Verhalten. Dieses menschliche Verhalten ist in diesem Fall so schwer zu verstehen, weil es für ein extrem komplizierten Zweck entwickelt wurde. Eine Person wird durch eigene Gefühlsabläufe zugunsten der Gemeinschaft „schachmatt“ gesetzt. Unsere komplizierten Gehirne, die wir für das Leben in einer so komplizierten menschlichen Gemeinschaft brauchen, haben sich entwickelt um bestimmtes Benehmen zu dulden und zu erlauben, aus Rücksicht auf „Frieden und Zusammenhalt“ in der Gruppe.

Solidarität hilft
Um die menschliche Gemeinschaft aufrecht zu erhalten haben Menschen eine der kompliziertesten Gefühlsprozesse entwickelt, die es überhaupt gibt. Diese Balance zwischen Selbsterhaltungstrieb und Duldung ist einmalig. Und fühlt sich einmalig schlecht an. Was für eine menschliche Gemeinschaft soll das sein, wenn ein Überleben nur mit Beißhemmung möglich ist? Beißhemmung ist manchmal notwendig: Wie sollen Mütter das Dauergeschrei kleiner Kinder sonst aushalten? Aber das Antriggern von Beißhemmung ist auch ein uralter Trick von Betrüger*innen – besonders von den so genannten Pick-Up-Artists.
Abschließend gab es aber noch eine weitere Ähnlichkeit in den Emails und zwar eine Gute: Die Erleichterung, nicht „verrückt“ und vor allem nicht allein zu sein. Einzelne müssen sich immer wieder zum Teil jahrelang mit Schuld- und Schamgefühlen auseinandersetzen. Doch wenn Betroffene sich nicht mehr allein fühlen, sieht es schon ganz anders aus, ob #MeToo-Bewegung oder eine Gruppe von Frauen, die sich in einem offenen Brief solidarisch miteinander zeigen.
Ricarda
Links zum Thema:
Wir Frauen: Scham Sommer 2/2018
#MeToo – Zwischen Anmache und Machtmissbrauch von Hilde Buder-Monath, Andrea Gries, Andrea Schreiber
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