Island ist für mich jedes Jahr eine Reise wert, schließlich wohnt meine Tochter dort. Anfang Juli 2018 besuchte ich diese besondere Insel das siebente Mal. Und wieder hatte ich ein Erlebnis, das mir Herzklopfen bereitete.
Etwas außerhalb von Reykjavik auf einer Höhe gelegen befindet sich ein großes Bauwerk mit dem Namen Perlan, das isländische Wort für Perle. Das ist ein Warmwasserspeicher bestehend aus vier großen Tanks. Von hier aus wird die Stadt mit Warmwasser versorgt und auch die im Winter beheizten Gehwege und Straßen.
Obenauf befindet sich ein großes Restaurant. Das war mein Ziel. Hier gab es leckere Speisen. Kaffee wird nur einmal bezahlt, und den Nachschlag holt man sich soviel man mag. Ich suchte mir ein gemütliches Plätzchen und kam mit einem jungen Mann am Tisch ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er aus Oldenburg käme und schon seit drei Jahren als Kindergärtner in Reykjavik arbeite. Na, das ist ja ein witziger Zufall. Um den Kindern ein Gefühl für den Wald zu vermitteln habe er angeregt, dass jede Gruppe nach Plan einmal in der Woche den Wald rund um Perlan besucht. In Island gibt es kaum Bäume. Die Insel war zwar mal bewaldet, aber von den Wikingern für Boots- und Hausbau abgeholzt worden. Es wird wieder aufgeforstet, doch wachsen die Pflanzen bei dem kühlen Klima langsam. Diesen Wald wollte ich mir gern ansehen und lief nach meinem gemütlichen Restaurantbesuch mit Blick auf Reykjavik in den Wald.
Der Waldspaziergang
Zunächst wählte ich einen breiteren Hauptweg. Aber warum nicht mal einem kleinen Trampelpfad nach links folgen? Zwei große Steine blickten mich wie versteinerte Trolle an. Weiter führte der schmale Pfad durch den Wald über kleinere Steine. Jedoch dann kam ein großer Brocken, den ich auf allen vieren erklomm. Geschafft! Weiter geht’s, doch hoppla schon wieder so ein hoher Stein. Also wieder hoch und auf dem Hosenboden hinunter. Etwas mulmig wurde es mir, denn es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen und zu hören. Dabei waren doch mindestens 100 Menschen im Restaurant gewesen. Auch von dem Bauwerk Perlan konnte ich nichts erblicken. Also weiter über Stock und Stein und das in einfachen Laufschuhen. Aber was war denn das? Jetzt stockte mir der Atem. Ein etwa 3 m tiefer Abgrund tat sich vor mir auf. Aus mürben Birkenhölzern war eine Leiter gebaut, wovon die Hälfte der Sprossen zerbrochen war. Was nun? Zurück müsste ich ja wieder über die großen Steine klettern. Das wollte ich auch nicht. Also wieder auf den Hosenboden, egal, die Hose kann dabei Löcher bekommen. Stufe für Stufe rutschte ich hinunter.
Das war nochmal gut gegangen. Auch ein breiterer Weg war in Sicht. Ich atmete auf. Die Bäume rechts und links hatten einen seltsamen Wuchs. War ich in einem Trollwald gelandet? Mit großen Schritten lief ich weiter und kam endlich am Waldrand an. Mein Waldspaziergang hatte eine gute Stunde gedauert, und ich war keinem Menschen begegnet.
Ein Großteil der Isländer glaubt an das huldufólk, Trolle, Feen und Elfen, die als das „versteckte Volk“ bezeichnet werden. Inmitten der wilden, mystischen und magischen Natur der Vulkaninsel scheint das Vorkommen der zauberhaften Wesen gar nicht so unwahrscheinlich. Hatte ich diese Bekanntschaft im Wald gemacht?
Heidemarie Gniesmer
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