Müssen alleinstehende Frauen und Mädchen aus Syrien flüchten, geraten sie einige von ihnen in eine neues System von Zwangsehe, die den Krieg als Ursache hat und zugleich durch Verweis auf die sogenannte “Soutra” gerechtfertigt wird. Dieses gruselige Phänomen will ich im Folgenden genauer beleuchten.
Das Prinzip “Soutra”
Für weibliche Geflüchtete ist die Flucht aus ihrem Heimatland oft mit großen Ängsten vor Gewalt, Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch verbunden. In Folge dessen werden sie häufig mit arabischen Männern unter dem Vorwand der Schutzbedürftigkeit der Frau verheiratet (oder lassen sich verheiraten).
Viele Frauen (und Mädchen) werden bei ihrer Ankunft in den Nachbarländern gefragt, ob sie Frauen kennen würden, die heiraten möchten. Wird dies bejaht, werden die Frauen und Mädchen an zum Teil wesentlich ältere Männer verheiratet, die sie kaum oder gar nicht kennen. Die Familien der Frauen erhalten manchmal im Gegenzug eine geringe Summe als Aussteuer.
Nicht selten werden die Frauen einige Zeit nach der Hochzeit von ihren Männern wieder verlassen – ein ökonomischer Gewinn für die Männer (sie können dann ja nochmal heiraten) und erneute Ängste der Frauen sind die Folge. Diese Ausbeutung geschieht unter Rechtfertigung auf das Prinzip der „Soutra“, einem Konzept der Schutzbereitstellung und der sozialen Versorgung durch die Ehe. Laut einem 2014 veröffentlichten Bericht von Save the Children stieg die Anzahl von Kinderehen in der syrischen Bevölkerung von 13 Prozent vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges auf 25 Prozent im Jahr 2013. Diese gestiegene Zahl bezieht sich auf das Ankunftsland Jordanien. Doch laut der Hilfsorganisation CARE ist ein Anstieg von Kinderehen auch in Camps im Libanon und dem Irak, sowie vereinzelt in der Türkei und Ägypten verzeichnet worden.
Ein syrisches Phänomen?
Obwohl Frauen in der arabischen Welt generell oft unzulängliche Rechte haben, taucht diese Form der Verheiratung in anderen vergleichbaren Flüchtlingsströmen laut einem Artikel der Heinrich-Böll-Stiftung nicht auf, obwohl Frauen und Kinder auch hier Vergewaltigung und Belästigung ausgesetzt sind. Problematisch ist auch die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Ehen. So wird von einigen Geistlichen die Soutra in unterschiedlicher Ausprägung beworben.
Ehevermittlung oder Menschenhandel?
Mittlerweile haben sich sogar „professionelle“ Strukturen etabliert, in denen Vermittler*innen den Kontakt zwischen den suchenden Männern und den geflüchteten Frauen und Mädchen herstellen. Männer, die sonst zu arm für eine Hochzeit wären, befinden sich jetzt in einer vorteilhaften Situation. Folgen für die Mädchen sind, dass viele von ihnen nach Angaben von Save the Children aufhören, im neuen Land die Schule zu besuchen, da sie sich nun um Haushalt und Kinder kümmern müssen – von den Folgen einer Schwangerschaft für die oft noch minderjährigen Mädchen ganz abgesehen…
Gründe für eine „Schutzehe” – und warum gerade in Syrien?
Gründe gibt es laut eines Artikels der Heinrich-Böll-Stiftung ganz unterschiedliche: Die syrische Frau gilt (in den Männerfantasien) als hellhäutig, schön, devot und äußerst bemüht, ihren Ehemann glücklich zu machen. Diese Vorstellung hat ihren Ursprung vor allem in syrischen TV-Serien und macht sie besonders „begehrenswert“ unter arabischen Männern.
Gleichzeitig stehen auf Seiten der Geflüchteten ökonomische Faktoren, die auch von Safe the Children in ihrem 2014 vorgestellten Bericht bestätigt werden. Zwar leiden tendenziell alle Geflüchteten unter äußerst schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, jedoch trifft dies auf Syrer*innen besonders zu. Die meisten entstammen der Mittelschicht: Sie verfügen zwar über ein regelmäßiges Einkommen, aber haben nicht viel gespart. Zudem sind die Lebenshaltungskosten in Syrien sehr niedrig, sodass ihre Ersparnisse in angrenzenden Staaten schnell verbraucht sind. Zusätzlich ist es Syrer*innen in angrenzenden Staaten kaum möglich, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. So müssen sie oft illegal arbeiten und leben am Rande der Armut. Dies führt dazu, dass sich einige Familien gezwungen sehen, ihre Töchter zu verheiraten. Die Angst vor Vergewaltigung vertiefen die elterliche Sorge und sie haben das Gefühl, nur so ihre Tochter “beschützen” zu können.
So zitiert die Heinrich-Böll Stiftung in ihrem Artikel zu dem Thema eine syrische Geflüchtete namens Hasana, die Mutter zweier Kinder ist:
„Ich schwöre, dass wir unsere Mädchen nicht verheiraten wollen, aber gleichzeitig müssen wir hier weiterhin leben. Wer weiß denn, was aus uns hier werden wird und ich glaube nicht, dass es eine Option ist, sie wieder nach Syrien zurückzubringen, weil ich mich davor fürchte, was ihnen dort passieren könnte.“
Weitere Berichte zu dem Thema:
Mit dem Artikel „Weibliche Flüchtlinge aus Syrien: Ausbeutung statt Schutz“ bietet die Heinrich-Böll Stiftung auf ihrer Seite einen ausführlicheren Bericht zu dem Thema.
“Zwangsheirat für Syrerinnen: Schmarotzer des Elends” erschienen am 26.01.2014 auf Spiegel online
“Child marriage soars among Syrian refugees in Jordan” vom 16.07.2014 erschienen auf The Guardian
Faktenblatt von 2014 zu dem Thema Zwangsverheiratung syrischer Flüchtlingskinder herausgegeben von Save the Children
Lisa Dean
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