Unsere Frau der Woche ist eine Aktivistin ganz besonderer Art. Sie ist eine Zeitzeugin der LGBT-Bewegung und selbst ein wichtiges Mitglied der Community. Miss Major Griffin-Gracy setzt sich seit langer Zeit für trans Personen und besonders für Schwarze trans Frauen ein. Dabei stellt sie sich nicht nur an Rednerpulte sondern hilft genau da, wo Aktivismus oft zu kurz greift: bei den Menschen selbst.
Sie kannte sich selbst, bevor es Worte für sie gab
Die in 1940 geborene Miss Major wuchs in einer Zeit auf, als „trans“ noch ein Fremdwort war. In ihrer Jugend nahm sie an Drag Balls Teil, wo sie sich mit anderen Menschen zusammentat, die die Grenzen von Geschlecht ankratzten, ignorierten oder damit spielten, ohne die Begriffe zu haben die uns heute zu Verfügung stehen. Doch sie wusste schon mit zwölf oder dreizehn Jahren, dass sie anders als die anderen Kinder war. Da Miss Major sich als junge Frau offen auslebte, wurde sie oft das Ziel von Gewalt. Aber sie erinnert sich auch mit Freude an Menschen aus ihrer Jugend, die ihr mit Offenheit und Neugier begegneten.
Im Gefängnis lernte sie den Widerstand
Als junge trans Frau wurde Miss Major die Teilnahme an der Gesellschaft erschwert. So wurde sie aus zwei Colleges geworfen, weil sie sich dort Kleider anzog. Wenn sie ausnahmsweise mal einen Job kriegte, wurde sie entlassen sobald sich Kund*innen oder Mitarbeiter*innen über ihr Anderssein beschwerten. Für eine lange Zeit war sie obdachlos. Und über viele Jahre ihres Lebens musste sie sich ihren Lebensunterhalt durch Sexarbeit oder Diebstahl verdienen. Bei diesen Umständen war es eine Zwangsläufigkeit, dass sie als Schwarze trans Frau Zeit im Gefängnis verbringen musste. Natürlich erlebte sie dabei Gewalt, von den männlichen Mitgefangenen und von den Wachleuten. Doch anstatt unterzugehen, wuchs sie. Mitgefangene spornten sie an, politisch aktiv zu werden und sich mit den Gründen der Unterdrückung von Afro-Amerikaner*innen und trans Menschen auseinanderzusetzen.
Fürsorge für die, die keiner will
2005 trat Miss Major dem TGI Justice Project bei, einer Organisation in California, die sich für trans Personen in Gefängnissen einsetzt. Wie Miss Major selbst sind viele der freiwilligen Mitarbeiterinnen Schwarze trans Frauen, die Zeit im Gefängnis verbringen mussten. Das Programm setzt sich nicht nur für die rechtliche Unterstützung von trans Personen in Gefängnissen ein, sondern bietet ihnen auch eine Community, die ihnen im Gefängnis schlicht fehlt. So stehen die Mitarbeiter*innen mit Gefangenen per Post in Kontakt um ihnen beizustehen.
Dabei hört die Fürsorge nicht an den Gefängnistoren auf: Trans Personen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, werden von TGIJP an der Schwelle zurück in die freie Welt abgeholt und dabei unterstützt, wieder einzusteigen. Hier kommt der fürsorgliche Ethos von Miss Major durch. Denn sie bat schon vielen trans Personen ein warmes Bett, Mahlzeiten, ein geduldiges Ohr und weise Ratschläge. Einige trans Frauen, die Miss Major am Rande des Abgrunds abgeholt hat, sehen sie als ihre Adoptivmutter an, wie zum Beispiel Janetta Johnson, die Miss Majors Führungsposition in TGIJP übernahm, als diese ihren Ruhestand antrat.
Miss Major hatte schon immer ein besonderes Auge für die Bedürfnisse von Menschen. So setzte sie sich zum Beispiel dafür ein, dass vom Tenderloin AIDS Resource Center in San Francisco für Obdachlose ein Kühlschrank sowie eine Waschmaschine und eine Trockner bereitgestellt wurden, damit sie nicht abgewiesen würden, wenn sie nach Hilfe suchen, weil ihre Kleidung schlecht roch.
Eine warme Frau mit einer scharfen Zunge
Trotz ihrer scheinbar unendlichen Wärme, die sie an andere weitergibt, ist Miss Major eine Frau mit starken Meinungen. Von der Schwulen- und Lesbenbewegung fühlt sie sich betrogen. Sie selbst war bei den Stonewall Aufständen dabei. Sie findet aber, dass die Wichtigkeit von trans Frauen bei dem Ereignis von cis Schwulen und cis Lesben kleingeredet und übersehen wird. Insgesamt findet sie, dass das T in LGBT zu oft nicht wertgeschätzt wird. Generell findet die trans Frau, dass die Bewegung in die falsche Richtung lenkt. Miss Major, die schon oft um ihr bloßes Überleben kämpfe musste, findet zum Beispiel, dass die Ehegleichstellung zu sehr in den Vordergrund der Bewegung gerückt wurde. Zwar unterstützt sie das gleiche Recht für alle, aber sie hinterfragt, warum die Assimilierung von LGBT Menschen als Hauptziel der Bewegung behandelt wurde. „Why try to assimilate into someone who hates your fucking guts?“ Ihrer Meinung nach hätten die Ressourcen für die Ehegleichstellung in wichtigere Projekte gesteckt werden müssen – zum Beispiel die Unterstützung von trans Jugendlichen.
Miss Major Griffin-Gracy genießt einen gewissen Ikonenstatus. Den hat sie sich auch voll verdient. Wer sie näher kennenlernen möchte, kann sich den Dokumentarfilm Major! ansehen. Der mehrfach ausgezeichnete Film dokumentiert Miss Majors Leben und ihr Mitwirken in TGIJP. Organisationen und Gruppierung, in denen queere und trans People of Color Vertreten sind, können ein Exemplar des Films als Spende erhalten, um öffentliche Aufführungen zu organisieren. Außerdem haben Leute die Möglichkeit, sich an Miss Majors Rente durch eine Geldspende zu beteiligen.
Simone Wittig
Schreibe einen Kommentar