An den tiefgrauen Wintertagen in Bremen sehne ich mich oft nach Sommer. Nach wolkenlosem Himmel, Fahrradfahrten durch dämmrige Nachbarschaften und Sommerregen am Fensterbrett.
Der Roman Alte Sorten von Ewald Arenz hat diese Sehnsucht in mir für einen kurzen Moment gestillt. Sensibel und einfühlsam illustriert er zwei Protagonistinnen verschiedener Generationen, die sich an einem Zusammenleben versuchen und merken, dass es manchmal gar nicht schaden kann, das Leben mit anderen zu teilen.
Eine zufällige Begegnung
Sally ist siebzehn und wütend auf die Welt. Sie ist aus einer Klinik für Essstörungen geflohen und würde am liebsten von Allem und Jedem in Ruhe gelassen werden. Ziellos streift sie durch die Feldwege und trifft am Fuß eines Weinbergs auf Liss, deren Traktorrad sich im Graben festgefahren hat. Die beiden Frauen befreien den Wagen und Liss bietet Sally einen Schlafplatz auf dem alten Hof ihres Vaters an, den sie seit mehreren Jahren bewirtschaftet. Aus einer Übernachtung werden Nächte und die beiden Frauen leben still nebeneinander her. Beim gemeinsamen Arbeiten in den herbstlichen Feldern, dem Wald und dem verwilderten Birnengarten legen sie langsam ihre Skepsis ab und beginnen vorsichtige Unterhaltungen. Sally erfährt, warum Liss im Dorf in den letzten Jahren gemieden wurde und offenbart langsam, warum sie so unfassbar wütend ist.
„Neun Monate. Sie glaubte das immer noch nicht, aber Liss hatte gesagt, dass Mauersegler neun Monate in der Luft bleiben konnten, ohne je zu landen. Schlafen. Essen. Trinken. Alles geschah in der Luft. So müsste man sein. Niemals zurück auf die Erde müssen.“ (Buchzitat)
Einblicke in die Vergangenheit
Die Vergangenheit der Protagonistinnen offenbart Ewald Arenz nur häppchenweise, was die Spannung bis zum Ende des Romans hält. Wir erfahren von Liss autoritärer Erziehung und dem Erleben von psychischer und physischer Gewalt. Davon, wie unverstanden sich junge Frauen von ihren Familien fühlen können und einen unbändigen Drang nach Freiheit entwickeln.
„Alles musste genau sein. Perfekt genau. Perfekt ordentlich. Ich weiß noch, wie er die Bäume gepflanzt hat. Ein rechteckiges Schnürgerüst hat er gespannt, wie für ein Haus. Alle fünf Meter längs ein Baum, alle vier Meter quer ein Baum. Solche Gitter waren überall gespannt, auch wenn man sie nicht gesehen hat. Im Hof und im Dorf und in meinem Zimmer, als ich endlich eins hatte, und sogar noch, als ich schon sechszehn oder siebzehn oder achtzehn war. Da ganz besonders.“ (Buchzitat)
Warum ist der Roman so gelungen?
Gefesselt hat mich das Buch vor allem wegen der atmosphärischen Beschreibungen, die das Gefühl erzeugen, selbst auf dem Hof zu wohnen. Das verschlafene Dorf, der Birnengarten mit den uralten Birnenbäumen und die Stille des Hofes werden wunderschön verbildlicht und erlebbar gemacht.
Trotzdem ist die Geschichte nicht romantisiert, sondern erscheint authentisch und greifbar. Ewald Arenz gelingt es, Mitgefühl mit den beiden Protagonistinnen zu erzeugen ohne in eine mitleidige Stimmung zu verfallen. Ihre Annäherung aneinander ist großartig beschrieben und verdeutlicht wie rettend eine Freundschaft sein kann.
Mit seinem neunten Roman ist dem in Nürnberg geborenen Ewald Arenz eine sensible, einfühlsame und bildliche Geschichte geglückt, die zwei höchst unterschiedliche Protagonistinnen zusammenbringt. Ich kann das Buch allen ans Herz legen, die eine Prise Spätsommer vertragen können – und allen anderen auch.
Teresa
Joy meint
Hallo, ich habe das Buch gelesen auf Französich(ich bin Französich). Ich habe das Buch“Die alte Sorten“ auf Deutsch bestellen…..Es wird einen wichtigen Abentauer auf Deutsch zu verbesser….Joy.😀