Was eine Zeit! Schlichtweg, wurde sie von Lou Entwurzelung getauft. Sie musste und wollte wegen eines Einbruchs aus ihrer Wohnung raus. Hatte Krach mit ihrer Familie. So arg, dass sie den Kontakt zu ihr abbrach. Nebenbei noch verknallt in diesen Portugiesen. In diese grünen Augen, mit denen er so tief in sie hineinblicken konnte, dass Lous Herz für Sekunden still stand und ihre Augen feucht wurden. Alles in der Hitze dieses Sommers. Rastlos bis in den Herbst hinein. Immer auf ihrem Fahrrad. Dieser kaputte, alte Drahtesel, welcher drei Monate ihre Heimat war. Die einzige Konstante, die sie bei all der Bewegung trug.
Lou war in so vielen Zuhausen. Bei Freunden und Bekannten. Kennt jetzt all ihre Betten, Sofas, Decken, Gerüche. Sie hingegen ihre Tränen, ihre Brüchigkeit. Sie hat nichts mehr geschönt. Nichts mehr versucht zu verstecken. Was auch?
Gefühlt hat sie alles verloren. Familie. Wohnung. Liebe. Nicht einmal ein sicherer Job war da. Was bleibt dann? Wenn nichts bleibt? Wenn alles vergänglich ist? Wenn das Ich anfängt zu verstehen, dass es nicht auf ewig so weitergeht.
Lou hat die Antwort nicht gefunden. Eventuell weil es nicht die eine Antwort gibt. Weil das Leben nicht immer nur easy going ist. Weil sie nicht in die Zukunft schauen kann. Weil äußere Sicherheit nicht gleich innere Sicherheit bedeutet. Und umgekehrt. Eventuell ist die Antwort auch egal, oder weniger bedeutsam als sie denkt.
Gefunden hat Lou in dieser Zeit Menschen, die sie annahmen, trösteten, zuhörten, umarmten, ihr zusprachen. Die das beste Essen dieser Welt kochten. Sich stritten, sich liebten. Während sie nebenan oder nebenbei schlief, sich vom Internet berieseln ließ, ihre Wäsche wusch, sich um sich selbst drehte. Mit kaum einem Euro in der Tasche, gab es dennoch abendlichen Vino, Rotebeete-Chips und Tatort. Es gab Normalität in ihrem Chaos.
Und jetzt? Frisch in den neuen vier Wänden. Noch zwischen Kartons und dem ersten Einrichten. Zwischen alt und neu. Wie geht es weiter?
Ihr Wunsch, das alte Kratzen und Jucken hinter sich zu lassen. Dass die Narben nicht mehr sichtbar sind und am liebsten gar nie gewesen wären. Lieber eine riesige Packung Leichtigkeit einatmen, welche für Lous folgende Leben reicht.
Sie würde jetzt gerne eine Happy-End-Satz schreiben, weil sie Happy Ends gerne hat. Weil Filme ohne oft verstörend sind. Weil Happy Ends glücklich machen. Doch inmitten ihrer Kartons, über ihr trampelnde Nachbarn, vor ihr der kalt gewordene „Gute-Laune-Tee“, findet sie es endlich mal gut, dass nicht alles gut ist.
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