Am 24. November 2022 trafen sich online knapp 100 Teilnehmer*innen zum Bremer Fachtag Istanbul-Konvention. Mit ihnen reden, nicht über sie. Zur Bedeutung des Einbezugs von Betroffenen. Vorgestellt wurden der Betroffenenbeirat, mit dem Bremen bundesweit die Pionierrolle bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention innehat, sowie die Studie zu den Erfahrungen gewaltbetroffener Frauen* im Bremer Hilfesystem.
Der Bremer Landesaktionsplan
Der von der Bremer Bürgerschaft im März 2022 beschlossene Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention beinhaltet insgesamt 75 Einzelmaßnahmen, unter anderem die Einrichtung einer Gewaltschutzambulanz, die Qualitätsentwicklung der Frauenhäuser, eine Verstärkung der Täterarbeit, ein Präventionsprogramm für Schulen und ein Grundlagenmodul für die Pflegeausbildung. Und eben die Einrichtung eines Betroffenenbeirats – bisher bundesweit einzigartig. Andere Bundesländer zeigten sich sehr interessiert, insbesondere in Hamburg wird überlegt, das Bremer Modell zu übernehmen.
Der Betroffenenbeirat (B*BIK)
Mit dem Betroffenenbeirat, kurz B*BIK, sollen von Gewalt betroffene Frauen aktiv in die Umsetzung des Landesaktionsplans einbezogen werden. Der Betroffenenbeirat wurde initiiert von der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, die gemeinsam mit der Zentralstelle der Landesfrauenbeauftragten den Landesaktionsplan verfasst hat und nun umsetzt. Wie es im Titel des Fachtags heißt: „Mit den Betroffenen reden – nicht über sie“. Sie sollen dabei aber nicht auf einen Opferstatus reduziert werden, sondern im Gegenteil ihr Fachwissen und ihre Erfahrungsexpertise durch die eigene Betroffenheit einbringen. Ihre Partizipation dient der Vernetzung und Förderung der Sichtbarkeit, sowie ihrem Empowerment. Ihre Aufgaben bestehen in der Mitarbeit bei der Entwicklung von Konzepten und Maßnahmen und sie dienen auch als Impulsgeberinnen.
Der B*BIK ist divers aufgestellt und besteht aus zehn Personen. Fünf von ihnen waren auf dem Fachtag zugeschaltet. Sie berichteten über ihre Beweggründe, dem B*BIK beizutreten und von den wertvollen Impulsen, die sie bereits einbringen konnten. Dazu gehört, dass geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur binär zu sehen ist, da Frauenfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit denselben Ursprung haben, nämlich das Patriarchat. Der Aspekt der ökonomischen Gewalt, den Ehemänner über ihre Partnerinnen ausüben, dürfe nicht vergessen werden. Auch digitale Gewalt müsse als solche rechtlich anerkannt werden. Der Aufenthaltsstatus der Betroffenen sei oft ein Problem und für Nicht-Deutschsprachige gebe es häufig Schwierigkeiten bei Ämtern und der Polizei. Hier gab es die Forderung nach mehr Empathie seitens der Behörden und nach dem Recht auf Sprachmittlung. Frauen mit Migrationsbiographie seien besonders betroffen durch Sprachbarrieren, schlechtere Vernetzung, Racial Profiling und mangelnde Hilfe bei (rassistischer) Bedrohung. Schließlich müsse in Fällen von sexualisierter Gewalt eine Sexualtherapie finanziert werden. In den bisherigen Therapien sei dies noch kein Thema.
Die Studie
Für die Studie des Instituts für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen zu den Erfahrungen Gewaltbetroffener im Bremer Hilfesystem wurden per öffentlichem Aufruf Teilnehmerinnen gesucht. Teilnehmen konnten von Gewalt betroffene Frauen*, die in den letzten fünf Jahren in Bremen oder Bremerhaven Hilfe gesucht hatten und bereit waren, ihre Erfahrungen in einem Gespräch zu schildern. Die Studie soll demnächst veröffentlicht werden. Es handelt sich um eine qualitative Bestandsanalyse zur Erhebung subjektiven Erlebens Gewaltbetroffener. Hier wurde bereits der Betroffenenbeirat einbezogen, denn der Interviewleitfaden wurde mit ihm rückgekoppelt. Das Projektteam stellte auf dem Fachtag erste Ergebnisse vor. Diese bestehen in zwölf konkreten Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Landesaktionsplans. Als Fazit ergab sich, dass eine sekundäre Viktimisierung der Gewaltbetroffenen zu vermeiden sei, eine Sensibilisierung für nicht sichtbare Gewalt erfolgen und das Umgangsrecht überarbeitet werden müsse.
An die Vorstellung der Studie schloss sich eine intensive Diskussion der Teilnehmenden mit der Gelegenheit zu Nachfragen an, die für alle sehr bereichernd war.
Irene Meyer-Herbst
Annika Bauer meint
Ein beeindruckender Fachtag! Der Bremer Fachtag zur Istanbul-Konvention zeigte eindrucksvoll, wie wichtig der Einbezug von Betroffenen bei der Umsetzung von Gewaltschutzmaßnahmen ist. Besonders hervorzuheben ist die innovative Rolle des Betroffenenbeirats in Bremen. Ein Schritt in die richtige Richtung für mehr Partizipation und Empowerment!