In der Weserburg Bremen kann nun die Ausstellung „Ich bin.“ über das Werk eine der wichtigsten feministischen Künstler*innen der Moderne bewundert werden. Die Reiseausstellung, die in Kooperation mit anderen Kunsthäusern kuratiert wurde, feiert das Schaffen der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen. Ihr Hinterfragen weiblicher Identität, Körper und der Bezug zur Gesellschaft sind auch noch heute brandaktuell.
Der Versuch einer Biographie
Birgit Jürgenssen ist 1949 in Wien geboren und beginnt sich bereits früh für Kunst zu interessieren. Mit gerade einmal acht Jahren – ihr Spitzname war damals „Bi“ – imitiert sie eine Zeichnung von Pablo Picasso und unterscheibt diesen mit „BICASSO Jürgenssen“. 1967 beginnt sie ihr Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und hält daraufhin mehrere Lehraufträge inne, wobei sie über 20 Jahre an der Akademie für Bildende Künste Wien das Unterrichtsfach Fotografie lehrte. 2003 ist sie leider viel zu früh gestorben.
Ihr Feminismus
Die Rebellion gegen weibliche Rollenbilder, war bereits sehr früh ein Schwerpunkt ihres Schaffens. Gegenüber dem Kunsthistoriker Rainer Metzger beschrieb sie, wie prägend die patriarchalen Strukturen der Wiener Kunstszene für sie waren.
Es gab damals einige namhafte männliche Künstler, die die Kunstszene in Wien dominierten und der Meinung waren, dass Frauen nicht zeichnen oder malen können. Das hat mich herausgefordert, diese Vorstellung zu unterlaufen, sie zu illustrieren und darzustellen, als was man mich gesehen hat.
Trotz dieser feministischen Selbstbehauptung in einer Männerwelt, grenzte sie sich von der feministischen Bewegung der 70er und 80er Jahre ab. Denn diese feministischen Künstlerinnen zeichneten sich durch eine offene Provokation von Rollenbildern aus, denen Jürgenssen nicht entsprach. Laut der Leiterin der Weserburg, Janneke de Vries, bäumte sich die Künstlerin auch gegen Vorstellungen der feministischen Bewegung auf, wie eine Feministin zu sein habe. Ausdruck hiervon ist auch das Bild Jeder hat seine eigene Ansicht, welches im Fokus der Ausstellung ist.
Zum einen stellt die Fotografie Akzeptanz in den Mittelpunkt, gleichzeitig ist die Fotografie eine Positionierung gegen die feministische Bewegung der 70er Jahre. Denn durch Inszenierung ihres nackten Rückens, der mit Lippenstift bemalt ist, stellt sie auch Verführung und Nacktheit in den Mittelpunkt. Beides Themen, die ihre feministischen Zeitgenossinnen als Werkzeuge des Patriarchats betrachteten.
Subversiv, humorvoll und poetisch
Dass Birgit Jürgenssen in keine Schublade passt, lässt sich schon an den mannigfaltigen Techniken und Themen zu sehen, die Künstlerin bearbeitet. Zwar ist sie bekannt als Fotografin und Zeichnerin, sie drehte aber auch Filme, stellte Objekte her und fertigte Malereien an.
Der Surrealismus war seit Anbeginn ihres Schaffens ein zentraler Einfluss auf ihre Kunst, sie knüpfte jedoch unter anderem an Traditionen der Antike an. Feministische Vorbilder fand sie vor allem in der Generation vor ihr, hauptsächlich in Meret Oppenheim oder Louise Bourgeois. In einem Interview mit Rainer Metzger begründete sie dies durch deren subversive Kunst :„Die poetischer waren, weniger direkt, und subversiver.“
Wie humorvoll sie mit der Infragestellung weiblicher Rollenklisches umging, zeigt sich auch in ihrer Zeichnung Hausfrauenarbeit. Man sieht eine klassische Hausfrau, in Schürze beim Bügeln. Sie bügelt aber nicht die Hemden, wie es zu erwarten wäre, sondern bügelt sich die Männer zurecht. Schön ordentlich aufgeschichtet sieht man auch einen Korb mit zurecht gebügelten Männern. Hausfrauenarbeit zeigt exemplarisch, wie Jürgenssen sich weibliche Klischees aneignet und sie pointiert umdreht und in Frage stellt.
Kunst als Experiment
Ihre Arbeit wirft die Frage auf, warum Birgit Jürgenssen nicht schon längst viel bekannter ist. Ein Grund ist sicherlich ihr viel zu frühes Ableben. Grund könnte jedoch auch ihr Werk selbst sein. Denn so vielschichtig und relevant es ist, so schwierig lässt es sich in Schubladen packen. Noch viel weniger lässt sich ein Markenzeichen der Künstlerin greifen. Passend hierzu steht in der Ausstellung das Zitat „Mich interessiert das Experimentieren viel mehr, als sich ein Markenzeichen auszudenken.“
Das Fehlen eines Erkennungszeichens macht die Vermarktung der eigenen Kunst nicht einfach, denn Rezipient*innen brauchen oft eindeutige Kategorien, um Kunst zu bewerten. Dieses Aufbäumen gegen jegliches Einordnen und Label offenbart jedoch auch die tiefe Wehrhaftigkeit ihrer Kunst gegen äußere Zwänge.
Diese Vielschichtigkeit wird von dem Ausstellungsstück Ich bin. versinnbildlicht, das der Ausstellung den Namen gegeben hat. Ganz fein ist der Satz auf eine kleine Schiefertafel gemalt, könnte sofort wieder weggewischt werden von dem vergleichsweise übermächtigen Schwamm daneben. Und trotzdem: Ich bin. Punkt.
Pia Reiter
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