– oder: ein langer Text über Wut, Solidarität und noch mehr Wut.
Ich kann nicht besonders gut auf Kommando schreiben. Die Themen für meine Texte formen sich über einige Zeit in meinem Kopf. Manchmal fällt mir über mehrere Wochen nichts ein, das einen guten Blog-Post ergeben könnte, oft beginne ich einen Text und stelle ihn nicht fertig, weil er nicht gut genug ist oder das Thema am Schluss doch zu wenig hergibt. Oder weil einfach noch etwas fehlt.
Diesen Text habe ich vor etwa zwei Monaten begonnen, weil ich wütend war. Richtig wütend. Und weil die grossartige Anne Wizorek im November in Bern dazu aufgerufen hat, wütend zu bleiben, habe ich mir mal eingehender überlegt, weswegen ich eigentlich wütend bin. Daraus ist ein Text entstanden, der mir trotz mehrerer Korrekturrunden nie fertig genug erschien, um ihn auf den Blog zu stellen. Zwei Monate später bin ich immernoch wütend und habe heute entschieden, dass der Text jetzt fertig werden muss. Er ist einfach zu wichtig, um nicht auf den Blog zu kommen. Vorsicht, er ist lang geworden – und ziemlich wütend.
Voilà.
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Ich möchte über Wut schreiben. Über meine «Arbeitslosigkeit», über gut gemeinte Kommentare, die mich verletzen und verärgern. Über Solidarität unter Müttern. Und über Wut, noch einmal über Wut.
Vor etwa zwei Monaten war ich zum ersten Mal, seit der Gu da ist, abends alleine weg. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, an einer von den SP Frauen* organisierten Veranstaltung Anne Wizorek zuzuhören – immerhin ist ihr Buch «Weil ein #Aufschrei nicht reicht» der Grund dafür, dass ich mich seit einigen Jahren Feministin nenne. Annes Vortrag begann damit, dass sie dazu aufrief, wütend zu bleiben – und sich selbst die folgenden Fragen zu stellen:
Was macht mich wütend?
Welche Veränderungen möchte ich sehen?
Was sind meine ganz persönlichen Fähigkeiten, um diese Veränderungen zu erreichen?
Schon seit vielen Jahren lebe ich nach der Devise, dass ich die Welt sehr wohl verändern kann. Nicht im Grossen, klar – aber überall dort, wo meine Stimme, meine Arme, meine Ressourcen hinkommen. Ich muss zugeben, dass ich diese Haltung bisher selten bewusst mit meiner Wut gekoppelt habe, aber ja: das ergibt viel Sinn. Darum geht es heute um Wut.
Tja, also dann. Was macht mich wütend?
Einiges, in letzter Zeit. Zum Beispiel dieses Interview mit dem Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt in der Berner Zeitung. Ich weiss nicht, ob er den Titel des Artikels selbst abgesegnet hat oder ob die Verantwortung dafür allein bei der Redaktion der Zeitung liegt, aber «Arbeitende Mütter sollten ihre Pensen erhöhen» ist – ganz vorsichtig formuliert – eine vielleicht etwas unklug gewählte Überschrift.
Denn Mütter, die sich gerade nicht an ihrem Erwerbs-Arbeitsplatz aufhalten, kümmern sich höchstwahrscheinlich um Haushalt und Kinder. Dass Herr Vogt diese Tätigkeiten nicht als «Arbeit» bezeichnen würde, ist zentraler Teil des Problems, aber der Punkt hier ist: möchte eine Mutter ihr Erwerbsarbeits-Pensum erhöhen, dann muss in der Zeit, die sie zusätzlich weg ist und Geld verdient, jemand anderes ihre Arbeit zu Hause übernehmen.
Da gibt es mehrere Möglichkeiten:
falls vorhanden: der andere Elternteil der Kinder reduziert sein Job-Pensum. Das müssen wir glaube ich nicht weiter ausführen, denn ich gehe fest davon aus, dass Herr Vogt diese Variante nicht goutieren würde. Also direkt weiter zu
die Kinderbetreuung wird von Kita-Mitarbeitenden oder Tageseltern übernommen. Die muss man erstmal finden, und wenn man sie hat, muss man sie bezahlen. Die Probleme, die dabei auftauchen, liegen auf der Hand, denn die Preise für Kinderbetreuung in diesem Land rauben einem den Atem. Und die Lust, mehr ausser Haus arbeiten zu gehen, ganz offen gestanden. Diese Schwierigkeit sieht sogar Herr Vogt, da muss aus seiner Sicht was getan werden, aber die Verantwortung dafür sieht er nicht bei den Arbeitgebern (natürlich nicht). Also bleibt –
ein anderes Familienmitglied, zum Beispiel die Grosseltern, übernimmt die Betreuung. Hier wäre Herr Vogt sicher einverstanden, weil: kostet für die Wirtschaft nix und ist ja eine tolle Sache. Problem Nummer eins hierbei: Grosseltern in der Nähe muss man erstmal haben. Problem Nummer zwei, dazu später noch mehr: die mangelnde Anerkennung (unter anderem finanziell) für Care-Arbeit wird dadurch, dass diese Arbeit nicht von Eltern, sondern von Grosseltern geleistet wird, leider kein bisschen grösser.
Laut Herrn Vogt gibt es zudem genug Teilzeitstellen in der Schweiz. Ich habe keine Ahnung, ob er damit grundsätzlich Recht hat, aber: ich bin seit knapp einem Jahr auf der Suche nach einer neuen Stelle – mit einem Pensum, das sogar Herr Vogt als gerade so in Ordnung ansieht, nämlich 60%. Bisher haben meine Anstrengungen leider keine Früchte getragen. Ich bekomme jede Menge Lob für meine Bewerbungsunterlagen und – wenn es denn soweit kommt – für mein Auftreten in Vorstellungsgesprächen, aber den Job kriegt am Schluss immer jemand anderes. Ja, das frustriert mich, beunruhigt mich und belastet mich bisweilen auch. Ob die Tatsache, dass ich ein Kind habe, wirklich einen Einfluss darauf hat, dass ich bisher nicht erfolgreich bin bei der Stellensuche, weiss ich nicht. Konkret wurde ich nur einmal darauf angesprochen, wie denn die Betreuung organisiert sei, aber: mein Sohn ist in meinem Lebenslauf erwähnt und ich versuche nicht, die Lücke, welche durch meine Mutterschaft entstanden ist, anderweitig zu kaschieren. Das wäre einfach nicht ich.
Über die Demütigung, welche mit den Kontrollterminen beim RAV einhergeht, über die mangelhafte Unterstützung (dass in RAV «Arbeitsvermittlung» vorkommt – das ist ein Witz, oder?), über die Absurdität, dass mir empfohlen wird, mich auf der Plattform umzusehen, auf welcher die Jobs gemeldet werden müssen, für die neu der «Inländervorrang» gilt – mir, die vor vier Jahren wegen genau der Initiative, die am «Inländervorrang» Schuld ist, die Kündigung bekommen hat – oh, the irony! – über all diese Dinge schreibe ich vielleicht ein andermal. Mein bisheriges Fazit: die Art und Weise, wie mit stellensuchenden Menschen in diesem Land umgegangen wird, ist eine Katastrophe. Mir würde aus dem Stegreif eine längere Liste an Ideen einfallen, wie man das Geld, was für die Aufrechterhaltung dieses völlig sinnbefreiten Kontrollsystems ausgegeben wird, für tatsächliche Unterstützung bei der Stellensuche verwenden könnte. Aber mich fragt niemand, ich bin nur wütend. Daher: zurück zum Lob, das ich für meine Bewerbungsunterlagen erhalte.
Mir wäre es ja manchmal lieber, die Personalverantwortlichen, die mein Dossier loben, würden mir stattdessen offen und ehrlich sagen, warum ich die Stelle nicht bekommen habe. Ehrliche Auskünfte würden mir immerhin die Möglichkeit bieten, irgendwo anzusetzen, mich zu verbessern, voranzukommmen. Das passiert jedoch: nie.
Manchmal motivieren mich die nichtssagenden Begründungen dazu, noch eine Mail zurückzuschicken und meine Zweifel an der Ehrlichkeit subtil anzubringen. In einem Fall hat das zu einem Mailwechsel mit einer Personalverantwortlichen geführt. Sie hatte meine Unterlagen gelobt und mich quasi getröstet, damit würde ich sicher viele Einladungen zu Gesprächen erhalten. Damit lag sie leider falsch, und das habe ich ihr geschrieben. Daraufhin kam zurück, dafür hätte ich jetzt ja viel Zeit mit meinem Sohn, das sei ja auch toll und überhaupt, die Kinder seien so bald schon nicht mehr klein, das müsse man geniessen. Und überhaupt: sie habe nach der Geburt ihrer Kinder jeweils bald wieder 80% gearbeitet und wisse nicht, ob das der richtige Weg gewesen sei.
AAAAAAAAAARRRRRGH.
Das ist einer der Momente, in denen ich irgendwas kurz und klein schlagen möchte. Ich bin kein aggressiver Mensch, aber so etwas macht mich SEHR wütend. Ja, klar habe ich viel Zeit mit meinem Sohn, und das ist wundervoll und etwas, das ich geniesse. Wirklich. Ich versuche ja ständig, mir die Problematik der erfolglosen Stellensuche mit genau diesem Argument schönzureden.
Aber das klappt nicht. Denn es gibt so viele Gründe, weswegen ich mir einen Job wünsche, und mein Egoismus – die Tatsache, dass mein Sohn mir manchmal ziemlich auf die Nerven geht, wie das Kleinkinder so an sich haben, und ich extrem gern einfach einige Stunden am Stück konzentriert an etwas arbeiten würde, das meinen Kopf und meine Kompetenzen fordert – ist nur einer davon. Ein anderer ist, dass ich inzwischen die Hälfte des Arbeitslosengeldes, das mir zusteht, aufgebraucht habe. Am 18. September 2019 werde ich ausgesteuert, wenn ich bis dahin keine Stelle gefunden habe. Ganz und gar keine erfreuliche Aussicht.
Dass ich gerade keinen Job habe, dass ich nicht in der Lage wäre, im Ernstfall für mich und meinen Sohn zu sorgen, war im Übrigen einer der Gründe für unsere Hochzeit. Sehr romantisch, oder? Aber wären wir unverheiratet und meinem Partner würde etwas zustossen – ich hätte wirklich ein Problem, so als stellensuchende Alleinerziehende. Mehrere, grosse Probleme wahrscheinlich. Ich bin also aktuell finanziell von meinem Mann abhängig, etwas, das ich NIEMALS wollte, NIEMALS. Etwas, das angesichts meiner Ausbildung auch einfach absurd ist. Aber voilà.
Ich würde sehr gern etwas Substanzielles zu unserem Familieneinkommen beitragen. Hätte ich einen Job, würde ich aber zur Zeit auch nicht mehr als 60% arbeiten wollen – zu Herrn Vogts Leidwesen. Denn, Newsflash: Das ist nicht nur mein Kind. Mein Mann arbeitet 80% und möchte das gern so beibehalten, damit auch er Zeit mit dem Gu verbringen kann. Die Vorstellung, mehr als 140 Stellenprozent mit dem Gu und unserem Haushalt unter einen Hut zu bringen, lässt mich schaudern – über die unregelmässigen Arbeitszeiten meines Mannes habe ich andernorts bereits geschrieben, sie sind leider eine wirklich vereinbarkeits-feindliche Tatsache (hallo, liebe Krankenhäuser. Das geht an euch. Assistenzärzt*innen haben manchmal Kinder, stellt euch vor, und möchten vielleicht deshalb – oder aus anderen Gründen! – Teilzeit arbeiten).
Der Personalverantwortlichen hätte ich am liebsten eine sehr wütende Mail geschrieben und ihr erklärt, dass ich unter anderem arbeiten möchte, damit mein Mann weniger arbeiten muss und mehr Zeit mit unserem Sohn hat. Ich habe es gelassen. Aber hier noch einmal für alle, denen das nicht in den Kopf will (ja, Herr Vogt, ich schaue Sie an): Vereinbarkeit ist – VERDAMMT NOCHMAL – kein Thema, das nur Mütter betrifft.
– Ah, da fällt mir ein: zwei gute Haare muss ich ja trotz allem am RAV lassen. Erstens ist meine Personalberaterin tatsächlich ein Glücksfall und hat mich bisher bei meiner Vorgehensweise unterstützt und beraten, ohne mich zu nerven. Dass das ein Glücksfall ist, weiss ich aus leidiger Erfahrung, sie ist die dritte Personalberaterin, die ich kennengelernt habe. Und das zweite gute Haar: Sie hat mich auf eine Beratungsstelle aufmerksam gemacht, die sich auf Wiedereinsteigerinnen spezialisiert hat. Die Beratung wurde mir zwar nicht bezahlt (joa, wer hätte das gedacht), aber sie war sehr, sehr hilfreich. Die Frau, mit der ich mich dort unterhalten habe, hat mir erzählt, dass sie schon bald weniger öffentliche Gelder bekommen, weil sie auf Frauen im Berufsleben spezialisiert sind. Denn – so die Begründung – die Gleichstellung der Frauen im Arbeitsleben sei erreicht. Ha. Ha. Ha.
Vereinbarkeit geht also auch die Väter etwas an. Nur ist es so, dass sie hierzulande nach wie vor grossmehrheitlich in einem höheren Pensum Erwerbsarbeit leisten als die Mütter, diese leisten im Umkehrschluss mehr unbezahlte Care- und Hausarbeit. So weit, so nicht gut.
Stellen wir uns vor: ein Elternteil, der Realität in der Schweiz gemäss wäre es der Vater. Er arbeitet Vollzeit und hat einen Unfall. Er verletzt sich am Arm, so schwer, dass er einige Zeit im Krankenhaus verbringt, operiert wird, den Arm danach mehrere Wochen nicht belasten darf. Er muss regelmässig zur Physiotherapie. Da er körperlich arbeitet, ist er ziemlich lange arbeitsunfähig. Sein Arbeitgeber findet das natürlich nicht gut, hat aber eine Versicherung für genau solche Fälle. Der Mann kann sich in aller Ruhe erholen und kehrt nach eineinhalb Monaten gesund an seine Arbeitsstelle zurück. Die Zeit zu Hause hat er genossen, er fand es schön, seine Kinder so oft zu sehen. Schade, dass er seiner Frau so wenig im Haushalt und mit den Kindern helfen konnte. Er ist ihr wohl eher noch zur Last gefallen in dieser Zeit. Aber eben, der Arm!
So. Und jetzt stellen wir uns vor: ein anderer Elternteil, eine Mutter, sie geht keiner Erwerbsarbeit nach, kümmert sich um Haushalt und Kinder. Sie hat genau denselben Unfall. Sie muss ins Krankenhaus, wird operiert. Schon für die Zeit des Krankenhaus-Aufenthalts hat die Familie ein Problem, denn der Mann kann nur einen einzigen Tag kurzfristig frei nehmen, um sich um die Kinder zu kümmern. Ferien kann er keine beziehen, der Arbeitgeber bedauert das sehr, aber doch nicht in dieser Jahreszeit! – Familienmitglieder, die sich um die Kinder kümmern könnten, gibt es in der Nähe keine. Die Frau dürfte den Arm zwar eigentlich nicht belasten und zur Physiotherapie müsste sie auch, aber wie soll das gehen mit kleinen Kindern? Das Geld für eine Haushaltshilfe haben sie nicht, und die Krankenversicherung würde das nur mit Zusatzversicherung bezahlen. Eine Versicherung, die ihre Arbeitsunfähigkeit abfedert, gibt es nicht, denn genau genommen arbeitet sie ja nicht, kann also auch nicht arbeitsunfähig sein. Die Frau kämpft sich also durch. Hilfe bekommt sie von Frauen aus ihrem Quartier, die ebenfalls Kinder haben und sich nun neben allem anderen, das so auf ihren täglichen To-Do-Listen steht, noch Zeit nehmen, ihr unter die Arme zu greifen.
Vielleicht ist die Frau auch Mitglied in einer Facebook-Gruppe, die es seit Kurzem gibt, in welcher genau das organisiert wird: Hilfe von Müttern für Mütter in Notsituationen, für Mütter, die im Wochenbett zu wenig Unterstützung haben. Unfälle, Frühchen, Kinder mit Behinderungen, kranke Kinder, Zwillinge, postpartale Depressionen – um nur einige der Gründe zu nennen, aus welchen dort Hilfe für Mütter gesucht wird. Die Gruppe existiert erst seit einigen Monaten und hat offenbar einen Nerv getroffen. Gegründet von drei Müttern, die selbst erlebt haben, wie schwierig es sein kann, wenn man zu wenig Unterstützung in schwierigen Situationen erfährt, hat sie inzwischen über 1300 Mitglieder. Inzwischen wurde, um dem Ganzen Struktur zu geben, ein Verein gegründet: NIMAYA. Es gibt sie also doch, die Solidarität unter Müttern. Ich finde das wirklich ein wunderschönes Projekt und freue mich sehr, dass ich in mehreren Fällen bereits konkret jemandem helfen konnte. Ich werde weiterhin sehr, sehr gerne meine Zeit zur Verfügung stellen – denn wie so viele andere Mütter in der Schweiz musste auch ich wenige Wochen nach der Geburt mit dem Gu ganz alleine klarkommen. Und damit war ich noch privilegiert, mein Mann war fast vier Wochen zu Hause, mir ging es nach der Geburt relativ schnell wieder gut, der Gu war gesund und es gab keine älteren Geschwister, die auch noch meine Aufmerksamkeit gefordert hätten. Alles im grünen Bereich, im Vergleich mit anderen Familien.
Mütter übernehmen also zusätzlich zu all der Arbeit, die sie unbezahlt leisten, noch weitere – ebenfalls unbezahlt, freiwillig, aus Solidarität, um andere Mütter zu unterstützen. Das Fehlen einer Elternzeit, ja sogar eines anständigen Urlaubs für frischgebackene Väter (dazu hat die grossartige Nadine Jürgensen für Any Working Mom kürzlich alles aufgeschrieben, was es zu sagen gibt, übrigens featuring Herr Vogt ????) führt dazu, dass viele Väter wenige Tage nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten müssen. Die Konsequenz: jede Menge überforderte, allein gelassene Mütter, eigentlich noch im Wochenbett und auf Erholung angewiesen. Gäbe es eine Elternzeit in der Schweiz, ein Projekt wie NIMAYA wäre zwar nicht unnötig, aber ganz sicher viel weniger notwendig, als es jetzt der Fall ist. Einerseits ist es grossartig, zu erleben, wie die Solidarität unter Müttern eben trotz der vielzitierten «mommy wars» funktioniert. Andererseits ist es wieder einmal wie immer: da ist was kaputt am Sozialsystem – und weil weder der Staat noch die Wirtschaft sich zuständig fühlen, geschweige denn Geld dafür ausgeben wollen, irgendwer aber dafür sorgen muss, dass die ganze Sache nicht auseinanderfällt, springen die Frauen ein. Wir kriegen das hin. Irgendwie. Hat ja immer funktioniert, und ein bisschen mehr können wir auch noch leisten. Das macht mich wütend. Wirklich, wirklich wütend.
Dabei haben wir es in der Hand. Was passiert eigentlich, wenn wir einmal einfach nicht mehr tun, was wir sonst jeden Tag tun? Wenn möglichst viele von uns für einen Tag die Arbeit liegen lassen, sowohl die bezahlte als auch die unbezahlte? Was nach einem spannenden Experiment klingt, wurde bereits ausprobiert. 1991 zum Beispiel, hier in der Schweiz: der Frauenstreiktag. Oder schon 1975 in Island. Und dieses Jahr, am 14. Juni 2019, soll es wieder so weit sein. Es wird einen neuen Frauenstreik in der Schweiz geben. Ich freue mich nicht nur auf diesen Tag, weil es mein Geburtstag ist. Sondern auch, weil ich es mir ungeheuer ermutigend und berührend vorstelle, mit ganz, ganz vielen anderen Frauen in Bern auf dem Bundesplatz zu stehen, im Wissen: damit können wir ein Zeichen setzen. Es ist genug. Genug, dass wir Jahrzehnte nach dem entsprechenden Verfassungsartikel noch immer keine Lohngleichheit haben (und dass sich unser Parlament nur sehr, sehr zögerlich darauf einlässt, endlich zu handeln). Genug, dass die Vereinbarkeit noch immer allein als Frauen-Problem gesehen wird. Genug, dass wir aufgrund all der Zeit, die wir für unbezahlte, unversicherte Arbeit einsetzen, im Alter mit Armut zu kämpfen haben. Genug, dass unseren Partnern noch immer nicht zugestanden wird, die ersten Wochen und Monate im Leben ihrer Kinder hautnah mitzuerleben. Genug, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen nach wie vor kleingeredet (und sehr gern postwendend für perfide Hetze gegen Migranten missbraucht) wird. Genug, dass die Arbeitgeber zwar fordern, wir sollen unsere Pensen erhöhen, sich aber für Kinderbetreuung nicht zuständig fühlen. Genug, dass wir uns nur gegenseitig helfen können, weil sonst niemand hilft.
Lasst uns wütend bleiben!
Die Veränderungen werden uns auch in Zukunft nicht einfach so zufliegen. Wir werden weiterhin kämpfen müssen – gerade, weil es an der Oberfläche oft aussieht, als hätten wir alles erreicht.
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