Manja Präkels‘ Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ zeichnet ein denkbar unsentimentales Bild der Nachwendezeit.
Kein Telefon im Haus. Zettelblock an der Tür. Das Hausbuch im Wohnblock, welches wie eine Concierge alle Besuche dokumentiert, jedoch aus geheimdienstlichen Gründen. Nichts sagen dürfen. Als Kind nicht verstehen, wieso man nichts darüber sagen darf, dass zu Hause RIAS gehört wird. Altstoffe sammeln und Geld dafür bekommen. Für Angola einen Kuchenbasar machen. Oder Nicaragua. Bei Oma einen Walkman bestellen, den sie auf ihrer Westreise einkauft. Kassetten tauschen. Haarspray und Depeche Mode. Isolierte christliche Schüler. Heimlich getauft werden. Jugendweihe feiern. Politische Gesinnung an Schnürsenkeln festmachen. Stadtviertel meiden. In besetzten Häusern feiern. Wegrennen vor Glatzen in Bomberjacken. Studieren. Wegziehen. Beobachten, wie in den Medien über fremdenfeindliche Hetzjagden im Heimatbezirk berichtet wird. Elbterrassen Magdeburg 1992: Naziüberfall auf einen Punkergeburtstag. Tiefe Stille. Torsten L., 23 stirbt an den Folgen seiner Verletzung, 1992. Zu weit. Die Angst.
Der Osten ist ein Gefühl? Die Kindheit im Pionierregime vergisst eine nicht. Die Gebote sind tief im kollektiven Gedächtnis eingraviert. Unsere Heimat, das sind nicht nur die Berge und Täler, heißt es im Standardkinderlied der Deutschen Demokratischen Republik. Nein. Die Heimat ist für jene, die die Kindheit der Wendezeit er- und verlebt haben, ein zwiespältiges Ding. Die Vergangenheit aus bunten Hahneneierbechern und wohligen Liedern. Die Vergangenheit, die aber auch den Verfall beobachtet. Verrußte Häuser, Kohleeimer, Altbausanierung. Arrivierte Vertreter*innen und Tristesse von Armut. Bauernschläue, Schildbürgerei. Was geschah mit dem Begrüßungsgeld? Eine Schallplatte oder einen Kassettenrecorder? Manja Präkels, Jahrgang 1974, taucht mit ihrem Debütroman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ am Beispiel einer Brandenburgischen Kleinstadt tief in das Gefühl der Nachwendezeit ein. Ohne jede Nostalgie.
Die Vorläufer des politischen Umbruchs, die persönlichen Bezüge und Schicksale Einzelner. Mimi und Oliver wachsen zusammen in Brandenburg auf.
„Mein neuer Freund Hitler, der damals noch Oliver hieß, wohnte drei Häuser weiter, war eine Klassenstufe über mir und lief meist allein über den Schulhof. Wir trafen uns nun öfter, wie zufällig, an der Havel oder auf dem Weg nach Hause. Von ihm lernte ich, dass Schweigen nichts Schlimmes sein muss. Er brachte mir bei, nicht alles laut auszusprechen und im richtigen Moment zu fragen.“
Oliver und Mimi gehen Angeln. Sind Nachbarskinder und irgendwie Freunde. Bis sich irgendwann ihre Wege deutlich trennen. Oliver schließt sich nicht nur der aufkommenden Bewegung der Neonazis an, sondern wird prompt ihr ungnädiger regionaler Anführer. Fortan als Hitler bekannt, versetzt er die Bevölkerung in Angst und Schrecken.
Authentisch werden die persönlichen Stationen geschildert. Hobbies, Pionierlager, Hausaufgaben, Mathe-Olympiade. Mimi verschreibt sich dem Anti-Ehrgeiz. Irgendwie passt sie nicht hinein. In der Kleinstadt ist die Stimmung exemplarisch für die kollektive Erinnerung anderer Städte in dieser Zeit: Magdeburg, Rostock, Dessau, Görlitz. Der Frust ist vor dem Mauerfall bereits da. Eigenes Unglück wird auf die anderen geschoben, auf Minderheiten in Reichweite. Beispielsweise der angolanische Fabrikarbeiter. Der ist an allem schuld. Missstand in der Provinz. Schleichend kommt die wachsende Unzufriedenheit und schleichend der Hass. Wohin damit? Auf die Straße. Die Kahlgeschorenen werden im Roman nur Gorillas genannt.
„Alle hatten die Bilder gesehen. Nicht alle mussten weinen. Pünktlich zum dritten Oktober, dem Tag der ersten Einheitsfeier, überfiel eine Meute das Wohnheim der Vertragsarbeiter draußen auf der Ziegelei.“
Oranges Futter in der Bomberjacke. Noch heute werden all jene, die damals diese Zeit der unverhohlenen Gewalt miterlebt haben, beim Anblick von solchen Jacken zusammenschrecken. Der Look ist jetzt High Fashion, genau so wie der Post-Soviet-Schick. Die Angst bleibt, da kann die Mode nichts richten. Was soll nur werden, diese Furcht vor der Zukunft ist allen Protagonist*innen gemein. Sie antworten auf ihre. Die Gorillahorde terrorisiert alles, jeden. Alle sollen folgen. Sie folgen. Mimi und Oliver bilden zwei Lager. Oliver wird der Chef der Gorillabande. Mimi die Zecke. Verfolgung und Verzeihen ist die große Klammer der Geschichte.
Eine so detaillierte und authentische Beschreibung der Post-Wende-Zeit wie in diesem Roman findet man nur selten. Ohne voyeuristisch-überhebliche Proll-Romantik. Mimi steht immer wieder auf und sieht dem Verfall zu. Manja Präkels‘ Roman ist auch eine Coming-of-Age Geschichte im Kontext der Neunzigerjahre. Nachbarn transformieren sich in einen Teil der unkritischen Masse. Eine absolute Leseempfehlung auch zur Analyse zeitgenössischer Vorgänge.
Manja Präkels: Als ich mit Hilter Schnapskirschen aß. Berlin: Verbrecher Verlag. 280 Seiten. € 20.
Renate Strümpel
Dieser Text erschien zunächst im ZMag, Ausgabe Jun/Jul 2019
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